Als Dompteur im Staatszirkus

Italien Giorgio Napolitano hat die Verfassung stets kreativ ausgelegt. Parteien waren dem Präsidenten egal, Reformen allerdings nicht. Nun tritt er ab
Ausgabe 04/2015

Wie tief der Einschnitt ist, wird sich noch zeigen: Am 14. Januar, einen Tag nachdem Italiens Premier Matteo Renzi die italienische EU-Ratspräsidentschaft mit einer Rede in Brüssel beendet hat, erklärt Präsident Giorgio Napolitano (89) seinen lange angekündigten Rücktritt. In fast neun Amtsjahren hatte er deutlich mehr Gelegenheit, Spuren zu hinterlassen, als Renzi in den sechs Monaten an der EU-Spitze. Napolitano verstand es, seine laut Verfassung begrenzten Kompetenzen so extensiv auszulegen, dass Kritiker gelegentlich auf Verfassungsbruch plädierten. Doch nun häufen sich die Hymnen auf den „weisen alten Mann“ im Quirinalspalast, der einem Land in schwerer Zeit viel Stabilität gegeben habe.

Letzteres trifft zweifelsfrei zu, wenn man unter Stabilität reibungsloses Regierungshandeln ohne lästige Interventionen der Opposition versteht. Napolitano hat allen fünf von ihm ernannten Ministerpräsidenten den Rücken gestärkt: Romano Prodi (2006 – 2008), Silvio Berlusconi (2008 – 2011), Mario Monti (2011 – 2013), Enrico Letta (2013 – 2014) und besonders Matteo Renzi, der seit Februar 2014 regiert. Auch die Außenpolitik hat er geprägt: Als Berlusconi im März 2011 wenig geneigt schien, mit der NATO Krieg gegen Muammar al-Gaddafi in Libyen zu führen, drängte ihn der Präsident zum Einstieg – das sei für Italien geboten.

Nationale Interessen wollte Napolitano schon in den 70er und 80er Jahren nicht vernachlässigt sehen, als er noch im Nationalkomitee der Kommunistischen Partei für deren internationale Politik zuständig war. Nach einem USA-Besuch 1978 verschaffte sich Henry Kissinger mit der Schlagzeile Gehör, Napolitano sei sein „persönlicher Lieblingskommunist“.

Als Napolitano im April 2013 nach einer Amtszeit von sieben Jahren demissionieren wollte, musste er mit fast 88 Jahren vorerst bleiben. Die Mitte-Links-Allianz hatte es in fünf Wahlgängen nicht zustande gebracht, einen Nachfolger zu wählen – also gab es einen „historischen Kompromiss“: Napolitano hielt aus, doch musste ihm konzediert werden, weiter mehr Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen zu können, als das die Verfassung zuließ.

Berlusconi abserviert

So konnte der Präsident drei Ministerpräsidenten ernennen, die nicht durch Wahlen legitimiert waren. Im Herbst 2011, noch in Napolitanos erster Amtszeit, als das dekadent wirkende Kabinett Berlusconi international jede Reputation verlor, hievte er den Mann in den Palazzo Chigi, den Deutschland und die EU-Zentrale als Krisenverwalter auserkoren hatten – den parteilosen Mario Monti. Der neoliberale Ökonom, zwischen 1994 und 2004 EU-Kommissar, brachte mit einem Experten-Kabinett eine Politik auf den Weg, die nicht nur Angela Merkel, sondern ebenso Napolitano für „alternativlos“ hielt. Sie bestand darin, das Rentensystem zu reformieren, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren und Spardogmen zu implantieren, um für eine EU-konforme Haushaltssanierung zu sorgen. Nach den bleiernen Berlusconi-Jahren hätte es zwar zwingend Neuwahlen geben müssen, doch wäre dabei auch über den rigiden Spardruck abgestimmt worden, wie ihn der damalige EZB-Präsident Claude Trichet und sein Nachfolger Mario Draghi kurz zuvor in einem Brief nach Rom artikuliert hatten. Berlusconis Widerstand, einem unpopulären Kurs zu folgen, führte zu seinem Sturz.

In solcher Lage verzichtete Napolitano wohlweislich darauf, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Das gefiel nicht zuletzt dem Partito Democratico (PD), dessen fest einkalkulierter Wahlsieg im Februar 2013 freilich unvollendet blieb, weil Mitte-links im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, die Mehrheit fehlte. PD-Frontmann Pier Luigi Bersani wurde kurzerhand abserviert und durch Parteifreund Enrico Letta ersetzt. Ausgedacht hatte sich Napolitano dieses Szenario nicht, aber er spielte seinen Part – aus „nationalen Erwägungen“. Entscheidend war Lettas Erbötigkeit, die „Agenda Monti“ zu beherzigen. Unverschämter ließ sich der Wähler schwerlich betrügen. Montis Liste hatte beim Parlamentsvotum nur neun Prozent geholt. Letta entschied sich für die Große Koalition mit Berlusconi, dessen politische Karriere – so das Versprechen im Wahlkampf – mit einer Regierungsübernahme von Mitte-links ein für alle Mal beendet sein sollte.

Grillo abgewatscht

Ein Jahr später ernannte Napolitano dann Matteo Renzi zum Regierungschef. Auch dieser war nicht durch Wahlen legitimiert, galt aber als Hoffnungsträger und durchsetzungsfähiger Macher. Die Rhetorik änderte sich, der Inhalt der Politik blieb unverändert. Napolitano versah öffentliche Sympathiebekundungen für den jungen Premier mit Rügen für Beppe Grillo und dessen „antipolitische“ Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento Cinque Stelle/M5S). Grillos Alarmismus mag destruktiv und verstiegen anmuten, aber dass ein – laut Konstitution über den Parteien stehendes – Staatsoberhaupt öffentlich gegen ihn Stellung bezog, erschien einigermaßen ungewöhnlich. M5S war schließlich bei der Wahl Ende Februar 2013 mit 26 Prozent der Stimmen zur drittstärksten Partei aufgestiegen. Der Verriss von höchster Stelle war insofern auch eine Maßregelung von fast neun Millionen Wählern.

Zuletzt hat Napolitano in zwei Reden kurz vor seinem Rücktritt zum nationalen Burgfrieden mit der Regierung und zu einer allenfalls maßvollen, immer „konstruktiven“ Opposition ermahnt. Er wandte sich am 16. Dezember an die „Repräsentanten der Institutionen, der politischen Kräfte und der Sozialgesellschaft“ und etwas später mit einer im Fernsehen übertragenen Neujahrsansprache an das ganze Volk.

Wer Napolitano beerbt, bleibt offen. Gemunkelt wird über ein geheimes Agreement zwischen Renzi und Berlusconi: Ihr gemeinsamer Kandidat würde, sobald gewählt, den zum mehrjährigen Mandatsverzicht verurteilten Berlusconi begnadigen, auf dass dieser wieder unbehelligt mitmischen und bei Wahlen kandidieren könnte. Ob dieses Tableau mehr ist als die in Italien beliebte „Dietrologia“ –, die Suche nach den Akteuren hinter den Kulissen – wird sich in Kürze zeigen. Schon für den 29. Januar ist der erste Wahlgang angesetzt.

Die zersplitterte Linke hofft derweil auf Rückenwind aus Griechenland. Zur Wahl des EU-Parlaments Ende Mai 2014 als Liste Tsipras angetreten, hatte sie mit 4,03 Prozent die Sperrklausel denkbar knapp überwunden. Nun soll ein Wahlsieg von Alexis Tsipras’ Syriza noch einmal den Kräften einen Schub geben, die eine Linkswende für das Gebotene halten. Das ist genau die Opposition, von der Napolitano gern abgeraten hat.

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