Als gäbe es keine Mauer

Erinnerung Die Geschichte des Staatlichen Filmarchivs der DDR erzählt auch etwas über weltweite Vernetzung in Zeiten des Kalten Kriegs
Ausgabe 39/2015
Der Eingang zu den DEFA-Studios in Babelsberg 1990
Der Eingang zu den DEFA-Studios in Babelsberg 1990

Foto: Detlev Konnert/imago

Als sich die Geisteswissenschaften in Deutschland mit knapp zehnjähriger Verspätung der Digitalisierung öffneten, rückten Archive als Speicher gesammelten Wissens ins Zentrum der Betrachtung. Den meist kulturwissenschaftlichen Überlegungen standen jedoch nur wenige Darstellungen zu konkreten Archiven gegenüber. Das ändert sich erst allmählich.

Nicht nur aus dieser Perspektive ist es ein Glücksfall, dass sich der langjährige Leiter des Staatlichen Filmarchivs der DDR, Wolfgang Klaue, verweigerte, als die DEFA-Stiftung ihm zum 80. Geburtstag eine Ausgabe seiner Schriften widmen wollte. Klaue schlug vor, stattdessen eine Sammlung von Texten zur Arbeit des Staatlichen Filmarchivs der DDR zusammenzustellen. Der entstandene Band Bilder des Jahrhunderts. Staatliches Filmarchiv der DDR 1955–1990. Erinnerungen gibt einen mustergültigen Überblick über die Arbeit des Archivs. Die abwechslungsreiche Darstellung ist als Quellensammlung fürs Fachpublikum ebenso geeignet wie als Schmökerbuch für eher allgemein Interessierte.

Die Kombination aus Überblicksdarstellungen und konkreter Schilderung von Erfahrungen geht von den ersten Seiten an auf: Auf Wolfgang Klaues Darstellung der Gründung des Archivs folgt die Aufzeichnung eines Gesprächs mit Gerd Meier, Archivmitarbeiter der ersten Stunde. Auf Rolf Aurichs Überblick über die Arbeit von Herbert Volkmann, dem zweiten, in Klaues Augen prägendsten, Direktor des Staatlichen Filmarchivs, folgt die schriftliche Fassung eines Gesprächs mit Volkmann. Der Wechsel zwischen Darstellungen und Gesprächen, bisweilen ergänzt um Anekdotisches, macht Bilder des Jahrhunderts nicht nur angenehm zu lesen – er macht die Texte auch bedeutend anschaulicher.

Heute unfassbar

Während die Abläufe im Kopierwerk und in den Sammlungen vor allem Fachleute unter der Leserschaft ansprechen dürfte, sind die beiden Abschnitte zur Arbeit von „Filmemacher(n) im Archiv“ und zur Kooperation zwischen Staatlichem Filmarchiv und Institutionen jenseits der Mauer („Blick über die Mauer“) eine Fundgrube für jeden, der sich für den Alltag der Filmbeziehungen im Kalten Krieg interessiert.

Den Grundstein für die Auslandsbeziehungen des Staatlichen Filmarchivs legte man schon ein Jahr nach der Gründung 1955, als das DDR-Archiv mit Unterstützung von Henri Langlois, dem legendären Leiter der Cinémathèque Française, Mitglied des internationalen Verbands der Filmarchive (FIAF) wurde.

Zwei Jahre später realisierte das Archiv in Kooperation mit der Cinémathèque im Berliner Zeughaus eine vielbeachtete Ausstellung unter dem Titel 60 Jahre Film. Zeit seines Bestehens blieb das Staatliche Filmarchiv eng in die Strukturen der FIAF eingebunden. Einige Einrichtungen der FIAF, die in den letzten Jahren noch einmal an Bedeutung gewonnen haben, wie die Kommission zur Bewahrung der globalen Filmbestände, gehen auf Anregungen der Direktoren des DDR-Archivs, auf Volkmann und Klaue zurück.

Die Erinnerungen von dreien der Gründer des Berliner Arsenals (Erika und Ulrich Gregor, Heiner Roß) an die Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Kino Arsenal und dem Staatlichen Filmarchiv über die Mauer hinweg sind aus heutiger Sicht unfassbar. So wurde ein fortwährender Kopienaustausch am Laufen gehalten, als gäbe es keine Mauer, was die Zusammenarbeit zwischen Ost und West von weniger politischen Hindernissen beeinträchtigt erscheinen lässt als die Kooperation so mancher westdeutscher Institutionen untereinander zu jener Zeit.

Bilder des Jahrhunderts vermittelt so am Beispiel des Staatlichen Filmarchivs auch einen lebendigen Eindruck von den Möglichkeiten und Grenzen einer international hervorragend vernetzten Institution im Kontext der DDR. Die DDR selbst ist recht gut zusammengefasst in einem Glossar von Wolfgang Klaue am Ende des Bands, das unter Schlagworten von „Alkohol“ bis „Zersplitterung“ Fragmente der Erinnerung versammelt.

Bilder des Jahrhunderts. Staatliches Filmarchiv der DDR 1955–1990. Erinnerungen DEFA-Stiftung (Hg.) Bertz + Fischer 2015, 372 S., 19,90 €

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