Zeitgeschichte 1983 Der einflussreichste Staatsmann der Zweiten Österreichischen Republik verlässt die politische Bühne. Die SPÖ wird danach nie wieder einen solchen Vorsitzenden haben
Nach 13 Jahren als Kanzler wollte Bruno Kreisky nur noch packen und gehen
Foto: Nora Schuster/ imagno/ dpa
Jö, da Kreisky“, seufzte meine uralte Großmutter, wann immer sie den österreichischen Bundeskanzler im Fernsehen erblickte. Nicht nur der 1893 geborenen Dienstmagd und Hilfsarbeiterin erschien „ihr“ Kreisky wie ein Synonym für Wohlstand, Sicherheit, Frieden, Urlaub, Rente, Auto, Schweinebraten. Die um 1960 geborenen Enkel wiederum kannten keinen mehr vor Kreisky. Er schien der, der schon ewig da war.
Bruno Kreisky, der jüdische Bürgersohn, wurde 1967 als Kandidat der Parteirechten zum SPÖ-Obmann gewählt. 1970 eroberte er die relative, 1971 erstmals die absolute Mehrheit für die SPÖ, die seinerzeit noch Sozialistische Partei Österreichs hieß. Dreimal in Folge ist ihm dann dieses Kunststück gelungen, es geschah
es geschah in den 13 glorreichen Jahren der „Kreiskyschen Monarchie“, wie der Publizist Günther Nenning die Zeit nannte.Umso überraschender, als Kreisky 1983 auf einmal weg war. Da hatte derjenige, der noch nie eine Wahl verloren hatte, tatsächlich nur mehr 48 Prozent und somit knapp die absolute Mandatsmehrheit verfehlt. Der Slogan „Kreisky muss Kanzler bleiben“, hatte nicht mehr gezogen. Im Mai demissionierte er als Regierungschef, im September als Parteivorsitzender und im Oktober gab er sein Nationalratsmandat auf. Mit Bruno Kreisky verließ der bis dahin prominenteste und einflussreichste Staatsmann der Zweiten Republik die politische Bühne. Eine Ära ging zu Ende.Die Jahre zuvor waren schon recht mühsam. Zwar demontierte er zielsicher seinen in Ungnade gefallenen Ziehsohn, den noch jungen Finanzminister Hannes Androsch, doch der Preis dafür war hoch. Kreisky isolierte sich zusehends in der eigenen Partei und ramponierte seine beeinträchtigte Gesundheit. Schwer angeschlagen war er ohnedies: Bluthochdruck, Diabetes, auf einem Auge fast blind, alle paar Tage zur Dialyse. So machte er nach der Wahlniederlage wie angekündigt Schluss. Er ging. Die folgende Koalition zwischen SPÖ und FPÖ (damals unter dem liberalen Haider-Vorgänger Norbert Steger) fädelte er aber noch ein. Mental waren ihm die Blauen lieber als die Schwarzen, die ihn 1935 in ein „Anhaltelager“ gesteckt hatten. Dort wurden die Feinde des christlich-sozialen Ständestaats (1934–1938) – also Sozialdemokraten, Kommunisten und Nazis – gemeinsam eingesperrt.Er holte vier "Ehemalige"Bruno Kreiskys Antifaschismus galt immer mehr den Austrofaschisten als den Nazis. Diese Haltung ist nicht untypisch für viele österreichische Sozialdemokraten. In keiner Weise soll behauptet werden, dass Kreisky Sympathien für die Nazis hatte, aber stets war auffällig, wie nachsichtig er sie behandelte. Auch dem Antisemitismus ist er nicht offensiv begegnet, selbst wenn er ihn selbst betroffen hat. Es gab in seiner Regierungszeit keine explizite Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit des Landes. Ja, Kreisky holte sogar vier „Ehemalige“ in seine erste Regierung. Das fiel zwar auf, aber nicht allzu unangenehm. Auch in der Kontroverse um die SS-Geschichte des langjährigen FPÖ-Chefs Friedrich Peter unterstützte Kreisky diesen gegen den Nazijäger Simon Wiesenthal, den er aufs Übelste beschimpfte und gar als Gestapo-Informanten denunzierte. Integration der Nazis, das war Staatskonsens von 1947 bis 1986. Die Abgrenzung von ihnen, wie sie heute zumindest auf der Bekenntnisebene dominiert, die wurde erst ausgelöst und ermöglicht durch die Affäre des Bundespräsidenten Kurt Waldheim.Der langjährige SPÖ-Kanzler setzte auf Wachstum, Vollbeschäftigung und soziale Absicherung. Seine Politik war klassisch keynesianisch. Der Wirtschaft vertraute er wenig. Er ging davon aus, dass der Markt zu zügeln und die Intervention der öffentlichen Hand unumgänglich sei. Durch kreditfinanzierte Investitionen wurden hohe Zuwachsraten des BIP erzielt. Vollbeschäftigung, niedrige Inflationsraten, sozialer Friede, kaum Streiks und eine funktionierende Sozialpartnerschaft machten Österreich zum sozialdemokratischen Musterland.Kreisky war aber mehr ein von der Modernisierung Getragener als ihr Träger, ein kluger Moderator, kein kühner Gestalter. Anders als seine christlich-konservativen Vorgänger versuchte er indes nicht, die Zeit anzuhalten und war auch in keiner Weise affin mit reaktionärem Gedankengut. Er erkannte den Nutzen der Frauenbewegung für die Sozialdemokratie und verordnete der Partei einen dosierten Feminismus. Vor allem die Öffnung der Universitäten für Kinder aus ärmeren Schichten, wird von nicht wenigen Kreisky als persönliches Verdienst angerechnet. Auch der Autor dieser Zeilen hätte, wäre er zehn Jahre früher geboren, nie studieren können. Ein Angebot von kleinen und großen Sozialleistungen ermöglichte Arbeiterkindern den Sprung aufs Gymnasium und an die Universitäten.Links war er nieNachwirkend hält sich das Gerücht, Kreisky sei irgendwie ein Linker gewesen, weltoffen und eine große intellektuelle Kraft. Das alles stimmt nur ungefähr. So war Kreisky zwar ein ausgesprochen gebildeter Mann, er hatte seinen Kraus und seinen Musil nicht nur gelesen, er konnte sie auch zitieren. Seinen Parteikollegen wie Gegnern war er geistig überlegen, aber nie ein Theoretiker wie Otto Bauer oder Karl Renner. Da fehlte einiges. Er war mehr ein Redner, selbst wenn man sich das anhand der Tondokumente nicht so recht vorzustellen vermag. Die Zeiten waren langsamer. Besonders war er ein Erzähler, seine Erinnerungen sind mit Gewinn zu lesen.Links aber war Kreisky nie, zumindest nicht in der Zweiten Republik. „Solange ich regiere, wird rechts regiert“, soll er einmal gesagt haben. Eine Zusammenarbeit mit Kommunisten wurde von der SPÖ per Dekret verboten, auch sonst herrschte ein rigider Kurs der Abgrenzung gegen jedwede Abweichung. Geduldet wurde da nichts. Mit der Anti-AKW-Bewegung vermochte Kreisky gar nichts anzufangen, deren Protagonisten beschimpfte er schon mal als „Rotzlöffel“. Der feine Herr konnte ziemlich derb sein, etwa als er den parteiinternen Paradekritiker Günther Nenning maßregelte und einen der wenigen sozialdemokratischen Intellektuellen zum „Wurstel“ degradierte.Den Zündstoff der ökologischen Frage hat er jedenfalls nie erkannt. Das Referendum über die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf hat er nur deshalb verloren, weil die ÖVP – obwohl sie prinzipiell für die Kernkraft eingetreten ist – Kreisky eins auswischen wollte und ein Nein empfohlen hatte. Doch die Konservativen sollten ihres Erfolges nicht froh werden. Nach dem Votum, im Mai 1979, fuhr der Kanzler seinen deutlichsten Wahlsieg ein.Was bleibt, ist eine latente Nostalgie. Unterm Kreisky war alles besser, so ein gängiges Vorurteil. In dieser guten alten Zeit hatten alle ihren Arbeitsplatz, die wenigen Arbeitslosen wurden nicht drangsaliert, die Studenten gelangten müheloser zu ihren Stipendien und bummelten, so lange sie wollten. Die siebziger- und achtziger Jahre gelten als kommode Phase der Gemütlichkeit, der Sozialstaat blühte, die Leistungen waren üppig, es gab mehr Freiräume – eine Mischung aus Legende und Wahrheit. Auf jeden Fall ist es Schnee von gestern. Ebenso die Größe der SPÖ, die seitdem schrumpft und schrumpft …Auf internationaler Ebene agierte Kreisky im Dreiergespann mit Willy Brandt und Olof Palme und spielte in der Sozialistischen Internationale eine bedeutende Rolle. Kreisky versuchte sich besonders in der Nahostpolitik. Diese war entschieden propalästinensisch und antizionistisch. Er hofierte Arafat und Gaddafi, wie auch diese ihn. Man kann sich Derartiges heute gar nicht mehr vorstellen, aber das war Konsens von rechts bis links. Kreisky, das war der sozialdemokratische Höhepunkt der Zweiten Republik. Persönlich war er stets integer und authentisch. Er wirkte nie falsch und verlogen oder gar zynisch. Die Menschen „da draußen“ waren ihm immer ein Anliegen. „Mir sind ein paar Milliarden Schilling Schulden lieber als ein paar hunderttausend Arbeitslose“, war einer seiner geflügelten Sätze.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.