Als Raab einmal auf Krawall verzichtete

Medientagebuch "Unser Star für Oslo" nimmt die Kandidaten ernst. Die Zuschauer sehen allerdings lieber die Castingshow der Konkurrenz

Als „Kampf der Kulturen“ definierte der Spiegel den doppelten Gesangswettbewerb, der derzeit im deutschen Fernsehen stattfindet. Zum einen Deutschland sucht den ­Superstar, von RTL, nun schon zum siebten Mal präsentiert, zum anderen Unser Star für Oslo, von Stefan Raab ­aktuell für Pro Sieben und das Erste Programm entwickelt. Bei beiden Reihenshows geht es darum, wer in einem über mehrere Wochen laufenden ­Gesangswettbewerb obsiegt. Während dem Sieger bei RTL ein Plattenvertrag winkt, darf der Sieger bei ARD/Pro ­Sieben Deutschland im Eurovision Song Contest vertreten. In den Shows bis zum Finale müssen die Kandidaten immer neue Songs präsentieren. Eine wechselnde Jury bei Raab und eine ­feste um Dieter Bohlen bewerten den jeweiligen Auftritt, während die Fernsehzuschauer mit kostenpflichtigen ­Telefonanrufen entscheiden, wer drin bleibt und wer am Ende gewinnt.

Deutschland sucht den Superstar basiert auf dem englischen Format Pop Idol, das von FreemantleMedia entwickelt und weltweit verkauft wurde. Die englische Produktionsfirma gehört der RTL Group, die in Deutschland den Sender RTL betreibt und im Besitz der Bertelsmann AG ist. In der Jury der ersten Staffel saß mit Thomas Stein ein Angestellter von BMG, der damaligen Musiktochter von Bertelsmann. Es handelt sich also um einen Wettbewerb mit einer lange Zeit geschlossenen Verwertungskette. Unser Star für Oslo wiederum entstand aus einem Unbehagen an der von Juror Bohlen und seinen denunziatorischen Sprüchen bestimmten RTL-Show. Raab hatte im Rahmen seiner Sendung TV Total bereits mehrfach ähnlich Musikwettbewerbe initiiert, deren Sieger er dann selbst vermarktete. Zur neuen Sendung kam es, als die ARD mit ihren letzten Kandidaten im Eurovision Song Contest Schiffbruch erlitten hatte. Unser Star für Oslo soll also einen doppelten Zweck erfüllen.

Überanpassung

Bislang geht das Konzept auf. Die Kandidaten in der Raab-Show wurden in bislang allen Ausgaben ernst genommen. Die Juroren gingen fast schon zu sanft mit ihnen um und äußerten Kritik nur in homöopathischen Dosen. Das war aber auch insofern richtig, als fast alle Kandidaten wirklich singen können. Das ist bei Deutschland sucht den Superstar anders. Hier werden die Kandidaten weniger nach ihren künstlerischen Qualitäten ausgewählt als danach, welche private Geschichte sie in und neben der Show verkörpern. Erst das ermöglicht es Bohlen, in seinem Urteil über die Musik direkt auf die jeweilige Person abzuzielen; er bewertet Menschen. Solche Aggression führt zur Überanpassung; die meisten Kandidaten mühen sich, die musikalische Masche von Bohlen eine Art von Plastikpop zu imitieren.

Raab belässt den Kandidaten ihre Individualität, und so ist das musikalische Spektrum in seiner Show viel größer. Das macht sie umgekehrt berechenbar. Man ahnt schon, welcher Kandidat mit welchem Song in der nächsten Sendung aufwarten wird. Da Raab nach seinem Konzept ja auf den Krawall eines Dieter Bohlen verzichtet, fehlt es seiner Show an Überraschungen. Sie ist und bleibt ein Musikwettbewerb und ist eben keine Casting-Show. Die Zuschauer ziehen denn auch mehrheitlich die Konkurrenz vor.

Im Spiegel wurden beide Sendungen als Ausdruck einer gesellschaftlichen Drift bezeichnet: Während sich die gesellschaftlich „Zukurzgekommenen“ bei Bohlen bis zur Demütigung um den Aufstieg quälten, spielten die Bürgerkinder bei Raab in einer Art „bonbonfarben illuminierten Waldorfkindergarten“. Da ist was Wahres dran, verfehlt aber die reale Formatdifferenz beider Sendungen, und ähnelt nebenbei dem alten, wenn auch nicht zutreffenden Bonmot, demnach der Spiegel so etwas wie Bild am Montag ist.

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