Willkommen zurück im frühen 2018 dieser Kolumne – wir erinnern uns dunkel: Es geht immer noch um irgendwas mit Büchern und unkonzentriertem Lesen in turbulenten Zeiten. Aktuell treibt „die Literatur“ gerade der Hype um Bitcoins und Cryptocurrencies um. Was „sie“ daraus lernen könnte. Die Antwort: Blockchains! Gegenseitiges Beteuern und Befeuern mit den drei Dauerbrennern: Erstens: FOMO (Fear Of Missing Out!), Zweitens: Kapitalismus. Drittens: Das dissidentische Gefühl, sich irgendwie außerhalb des Systems zu befinden. Und das Ganze dann möglichst unökonomisch umgewertet auf unser Feuilletonhausen, wo ja gerade zu Recht das Gefühl überwiegt, Männer haben jetzt mal Pause und Frauen sind dran. Passiert right
ran. Passiert right now:FOMO: Oder die gute alte Angst, etwas zu verpassen: Auf keinen Fall Nell Zinks neuen Roman Nikotin. Neugierig gemacht hat die Behauptung der enigmatischen Amerikanerin und Vogelschützerin, ihr Klappentext-Kumpel Jonathan Franzen (der ihr Debüt The Wallcreeper zu einem Bestseller machte) hätte sich dort ungünstig als sexsüchtig porträtiert wiedergefunden. Super auch das Thema: Smoking in America. „Die Leute sind am Arsch von illegalen Rauschmitteln oder Drogen auf Rezept … Aber rauch’ eine, und schon bist du bei allen auf der schwarzen Liste.“Leider bezieht sich des Weiteren Nikotin eher auf den Namen eines Hauses, das Hauptfigur Penny von ihrem geliebten Vater erbt und eigentlich gewinnbringend verscherbeln will, bevor sie die darin rauchenden Bewohner dann aber doch ganz lieb gewinnt und das Ganze nur ein etwas alternativerer Familienroman wird, den auch John Irving geschrieben haben könnte (wenn er 1964 als Frau geboren in Bad Belzig lebte und sich vom Zeit-Magazin im BH fotografieren lassen würde). Protagonisten mit Namen wie Jazz oder Sorry (sic!) rauchen insgesamt viel zu wenig und haben noch weniger Sex: „Als hättest du über Sex nur in den Romanen von Houellebecq gelernt. Jetzt glaubst du, wir hätten eine sexuelle Marktwirtschaft und du wärst überschuldet.“ Bist du das, Jonathan?Zweitens: Kapitalismus. Oder das Leben in großen Städten, für das Juliane Liebert in dem SuKuLTuR-Bändchen Scheiß auf das Weltall in 13 „poetischen“ Fragmenten gern einen „persönlichen und politischen Umsturz inmitten der Selbstoptimierung“ postulieren würde. Zu Schwarz-Weiß-Fotos von Punksängerinnen oder sich ritzenden Mädchen beim Bananeessen befürchtet man Schlimmstes. Aber Juliane Liebert, unsere neue Lieblingsjournalistin bei SZ und Spiegel (schreibt über Panpsychismus bei Star Wars, wie Princess Nokia sich Männer wünscht – weak as the economy! – oder was Morrissey eigentlich für ein Arsch ist), kriegt das immer dann am besten hin, wenn sie ihr Beschreibungstalent nicht zu sehr an innenperspektivische Großstadt-Entfremdung verschwendet, sondern in kleinen Geschichten über zum Beispiel eine geräumte Sozialwohnung auf den Punkt bringt. Genauso fühlt sich Berlin 2017/18 an: „hey, rollstuhlfahrer von der inn-, ecke weserstraße, es hat mich gefreut! tut mir leid, dass ich nie hallo gesagt hab. ich hoffe die sonne scheint oft und die zigaretten schmecken, wo auch immer ihr nun seid in dieser sonderbaren stadt. ich sag jetzt wenigstens einmal: guten morgen, gute nacht.“Hey, Elon Musk (kommt auch vor): Wie groß sind die Chancen, dass die das jemals lesen? Für einen Euro, im Automaten am Gesundbrunnen!Drittens. Dissidenz. Oder richtig falsch schreiben: Mara Genschel kenne ich nur, weil ich mit jeder Lyrik-Szene fremdle und sie vor Jahren mal mit einem befreundeten Professor zum Fußballgucken kam, wo sie dann eher null Interesse am Spiel hatte und uns lieber semi-obszöne Gedichte erzählte. In der schönen Reihe roughbooks ist jetzt ihr Band cute gedanken erschienen, bereits auf dem groß gedruckten Cover kehrt sie die Beweislast für die Entstehung ihres Buches einfach um und schiebt sie schön in Times New Roman dem Leser in die Schuhe: „Unter +1 319 930 6339 hätte mich zwischen dem 20.08. und dem 02.11.2016 telefonisch erreichen können, wer im Bilde gewesen wäre, dass ich das Angebot angenommen hatte, für diesen Zeitraum in der 430 North Clinton Street, Iowa City, IA 52242 (USA) offiziell die deutsche Literatur zu repräsentieren.“Denn wer wäre schon im Bilde? Und das geht sofort großartig nach hinten los: In ihr amerikanisches Mobiltelefon tippt sie 75 Tage lang jeweils ein Mini-Gedicht über das Scheitern des Kulturbetriebs als CIA-geförderte Völker-Selbstverständigung, die fehlerhaften Autokorrekturvorgaben des Handys lässt sie einfach drin: „Am 2. Tag gingen viele con und/ einkaufen und we’re wollte,/ machte wine city tour MIT.“Ähnlich wie Liebert ist allerdings auch Genschel besser, wenn sie ihren Fehlerstolz überwindet und mit Mut für Amerika einfach den Mainstream beobachtet: „Die Studentinnen/ kauerten mit fettigen oder/ geduschten Haaren über ihren/ facebook und drückten sich/ Pickel aus während die/ Vokabeln lernten.“ Ein perfekter Preis für diese Art zu schreiben wäre eigentlich ein Ego so groß wie Taylor Swift.Placeholder infobox-1