Altbewährtes Horrorszenario

Linksterrorismus Wie kann der Zombie "Linksterrorismus" wiederbelebt werden? Mit Zahlen nicht. Also bemüht sich der neue Verfassungsschutzbericht rhetorisch

Wie kann der alte Zombie „Linksterrorismus“ wiederbelebt werden? Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat nun den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 vorgestellt, doch der Bericht lässt keine massive Bedrohung vermuten - zumindest nicht anhand der Zahlen.

Rhetorisch hingegen ist man sichtlich um Panikmache bemüht: Bei einem Anstieg der potentiell gewaltbereiten Linksextremisten von 6.600 auf 6.800 ist von "gigantisch anwachsenden Zahlen" die Rede. Tatsächlich ist es eine gigantische Schätzung, denn behördlich sind lediglich rund 800 Menschen in der neu eingerichteten Datei "Gewaltbereite Linksextremisten" vermerkt, über die restlichen 6.000 potentiellen Gewalttäter weiß man schlichtweg nichts.

Gewalt. Gewalt?

Immerhin stehen den 6.800 Linken im Verfassungsschutzbericht 9.500 „gewaltbereite Rechtsextremisten“ gegenüber. Friedrich betonte aber, von den Linksextremisten gehe deutlich mehr Gewalt aus.

Gewalt? Das ist beispielsweise auch der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wer sich während einer Festnahme beim Castor-Transport gegen die Laufrichtung stemmt, fällt in Friedrichs Statistik. Ohnehin sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da hier Verdächtigungen der Polizei und nicht etwa Gerichtsurteile zählen.

Wo bleiben die Fakten, die eine Linksterrorismus-Panik rechtfertigen könnten? Im letzten Jahr wurden vier Ermittlungen wegen linksterroristischen Straftaten eingestellt, der Generalbundesanwalt hat auch keine neuen Ermittlungen eingeleitet. Der Paragraf, der "Mitgliedschaft, Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" unter Strafe stellt, wird anscheinend nicht allzu häufig gebraucht.

Brennende Autos und Angriffe auf Polizisten

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann ist dennoch überzeugt: Linksextremisten sind eine Gefahr. „Sie zünden Autos an und greifen Polizisten gezielt an“. Dabei nähmen sie in Kauf, dass Menschen ums Leben kommen.

Autobrände lassen sich jedoch nicht pauschal Linksextremisten zuordnen. Erstens ist die Aufklärungsrate ziemlich mies. Zweitens rät auch Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen von diesem Kurzschluss ab. Er geht davon aus, dass es sich oft „um ganz normale Brandstifter“ handele.

Auch hinsichtlich der beschworenen „Gewalt gegen Polizeibeamte“ ist das empirische Material dünn. Die Studie, auf die sich in der Regel berufen wird, stützt sich ausschließlich auf Selbstauskünfte von Polizeibeamtinnen und -beamten.

Und die Medien?

Staatliche Stellen haben ein Interesse, die Angst vor Extremisten zu schüren und einen starken Staat als Lösung propagieren zu können. Die eigentlich interessante Frage lautet deshalb, warum auch die Medien die staatlich inszenierten Bedrohungsszenarien kritiklos übernehmen.

Die Lust am Schrecken gehört zweifelsfrei zum Kerngeschäft des Boulevards, besorgniserregend ist aber die Art der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Gefahr. Sie trägt nicht zu einer politischen Beschäftigung mit Konflikten bei, ist aber umso hilfreicher, wenn es darum geht, eine schweigende Mehrheit für repressivere Maßnahmen des Staates zu gewinnen und linke Positionen ins moralische Abseits zu verweisen. Eine Erkenntnis, die so alt ist wie der Linksterrorismus der 70er Jahre.

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