Alte Freunde

KOHL UND JELZIN Beide verschwinden nicht zufällig fast gleichzeitig unter dem "Mantel der Geschichte"

Der Rücktritt Boris Jelzins und die Fehltritte Helmut Kohls - so wenig beides zunächst miteinander zu tun haben mag, es lässt doch unschwer erkennen: Derzeit wird die Phase einer anarchischen Umverteilung beendet, in die sowohl Deutschland wie auch Russland 1989/90 eintraten. Die Politik der patriarchalen Männerfreundschaften, die das frühere Gemeinschaftsvermögen der Sowjetunion ebenso wie das der DDR ohne umständliche Rücksichten auf Verfassung, Recht und Gesetze unter der Hand verteilte, wird von den Nachfolgern zur Disposition gestellt, die auf Basis geschaffener Fakten Effektivität fordern. Die Macher tragen Namen wie Schröder und Putin und verkörpern die Politik der Erben.

Dabei sind uns die Russen einen Schritt voraus: Bereits nach dem großen Bankenkrach 1998 erkannten sie, dass die Zeit der Umverteilung in die Phase der Absicherung des Verteilten und der Positionskämpfe zwischen den Gewinnern übergeht. In den Korruptionsskandalen, mit denen sich Jelzin und seine Entourage seitdem konfrontiert sahen, eskalierten diese Kämpfe. Mit der Ernennung Wladimir Putins zum Premier, mit der neuen Duma, mit dem Rücktritt Jelzins wurde diese Periode abgeschlossen. Die erste Amtshandlung des Nachfolgers bestand folgerichtig darin, den Privatisierungsgewinnlern lebenslange Immunität zuzusichern. Der Ex-Präsident und sein Hofstaat konnten sich getrost zurückziehen. Die Aneignungen, Veruntreuungen, ja Verbrechen aus den Jahren einer gewaltsamen Umverteilung ruhen fortan unter der ehernen Grabplatte Generalabsolution.

Was jetzt folgt, ist eine offene Entwicklung. Die großen Geldmagnaten brauchen Ruhe im Land für die Reorganisation der von ihnen erworbenen Unternehmen und Liegenschaften, wenn sie überleben wollen. In dem von Putin per Internet vorgelegten Programm drückt sich dies in der Forderung aus, Russland müsse seinen "eigenen Erneuerungsweg" gehen, bei dem es nötig sei, vorhandene "Neigungen zu kollektiven Formen der Lebenstätigkeit" und "paternalistische Stimmungen" zu berücksichtigen. Im Tschetschenien-Krieg drückt sich der Versuch aus, die dafür notwendige Ordnung im Land mit Gewalt zu erzwingen. Ob das gelingt, ist fraglich.

Mit den CDU-Affären haben die Nachwirkungen der großen Umverteilung auch Deutschland erreicht. Man muss nicht über Namen spekulieren, wenn ein Ex-Kanzler schweigen möchte. Auch ohne Namensnennung ist klar, aus welchen Quellen die Schmiergelder seit der Öffnung der Mauer in Milliardenhöhe flossen: Die Aktivitäten der Treuhand, die Aufbauprogramme Ost, die ganze Übernahme Ostdeutschlands durch westdeutsche Führungskräfte ist selbstverständlich unentwirrbar verbunden mit der Aufteilung des DDR-Volksvermögens -und das oft illegal, unter der Hand.

Wir dürfen dem Ex-Kanzler dankbar sein, dass er durch seine Weigerung, Namen zu nennen, eine schnelle Vertuschung dieses Vorgangs durch dessen Reduzierung auf "bedauerliche Einzelfälle" verhindert. Auf diese Weise treten die Mechanismen der deutschen Einigung und der Kapitalisierung der DDR klar hervor. Der Unterschied zu Russland besteht lediglich darin: Dort weiß jedes Kind, dass sich ohne Wsjatki und Swjasi - Bestechungsgelder und Beziehungen - gar nichts bewegt. Das ist in russischen Gefilden seit ewigen Zeiten so. Jetzt kollidiert diese Tradition allerdings mit dem Anspruch auf einen "zivilisierten Kapitalismus", über dessen seltsame Gebaren Helmut Kohl an Aufklärung vieles schuldig bleibt, aber auch vieles offenbart. Das trägt in Russland mit Sicherheit zur Entkrampfung bei.

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