Vor ein paar Tagen ist der Berliner Grafiker Arno Mohr hochbetagt im Alter von 90 Jahren verstorben. Die Nachrichtenagentur dpa reagierte schnell mit einer fachkundigen Würdigung und teilte außerdem mit, dass es auch ein Foto des Toten im Bilderdienst gebe. Dieses jedoch zeigte den Bildhauer Heinrich Drake auf der Beerdigung für seinen Künstlerkollegen Fritz Cremer, der vor knapp zehn Jahren starb. Ein Anruf bei DPA Berlin informierte die Nachrichtenleute über ihren Fehler, sie bedankten sich, aber auf der wöchentlichen Gedenkseite des Spiegel ist statt Mohr immer noch der 1994 verstorbene Drake zu sehen. Vielleicht haben die Hamburger Journalisten die Korrektur nicht mehr mitgekriegt, ausgeführt ist sie noch worden.
Offensichtlich ist die ganze Sache nic
ist die ganze Sache nicht so wichtig, denn der Berliner Tagesspiegel teilte seinen Lesern mit, Arno Mohr sei ein "ostdeutscher Zeichner" gewesen. Eine bemerkenswerte künstlerische Einordnung, die sich vermutlich nicht darauf bezog, dass Mohr 1910 in Posen zur Welt kam, zumal seine Eltern ein Jahr nach seiner Geburt in die Hauptstadt übersiedelten. Die Mitteilung sollte vermutlich - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - insinuieren, dass einen Ostdeutschen zu kennen kein Muss bedeute. Zumal Mohr in Sachen IM ein unbeschriebenes Blatt war. Seine an Menzel, Chodowiecki und Liebermann geschulte Zeichen- und Radierkunst bedarf jedoch zum Glück helfender Ignoranz nicht, sie wird sich in ihrer heiligen Nüchternheit und Lakonie auch so gegen den Zeitgeist durchsetzen.Sind wir zu empfindlich? Vielleicht. Obwohl es Gründe genug gibt. In ihrer landauf, landab gepriesenen Sendung Wer wird Millionär? saß der Bildungsikone Günther Jauch kürzlich eine Frau aus Lauenburg an der Elbe - früher Zonenrandgebiet - gegenüber. Nachdem die sich tapfer auf 4.000 oder 8.000 Mark heraufgekämpft hatte, sollte sie raten, ob die Wartburg in der Nähe Eisenachs läge oder bei Görlitz beziehungsweise zwei anderen ostdeutschen Städten. Jauch bekam ein gütiges Gesicht und tröstete die Ahnungslose, das Ganze sei ja mehr eine Frage für die Neuen Länder. Wie das? Hatte Martin Luther, als er sich dort 1521 für ein Jahr versteckte, die Bibel ins Ostdeutsche übersetzt, zur Erbauung der Atheisten? War das Tintenfass, welches er nach der Rückkehr vom Reichstag aus Worms an die Wand des Studierzimmers schmiss, vielleicht Marke Pelikan aus dem Westen?Dringend klärungsbedürftige Fragen. Noch wie was vom Wartburgfest 1817 gehört, schillernder Moderator, als die Farben Schwarz-Rot-Gold als Symbol der deutschen Einheit zum ersten Mal gezeigt wurden? Der berühmte Sängerkrieg auf der Wartburg eine Veranstaltung der Ostplattenfirma Amiga? Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Biterolf und Heinrich von Ofterdingen Akteure der FDJ-Singebewegung? Die Wartburg nur noch ein Urlaubsziel von Zonen-Gaby, die dort mit dem Esel hinaufreitet, wie es sich für ihre Tumbheit ziemt?Natürlich wusste die biedere Madame aus Lauenburg mit der Frage nichts anzufangen, das Publikum half aus, und der Moderator schickte die pädagogische Bemerkung hinterher, dass sie eigentlich alles hätte ahnen müssen, da doch Lauenburg so dicht hinterm Stacheldraht gelegen habe. Wissensvermittlung in Zeiten der Fernsehunterhaltung. Ebenso ratlos entließ einen jedoch der Kommentar zum Sat-1-Fernsehfilm Vera Brühne auf der Titelseite der Berliner Zeitung, in dem ein Lorbeerkranz für die Schauspielerin Corinna Harfouch geflochten wurde. Nachdem auf Volkshochschul-Level der geneigte Leser erfahren hatte, dass die Akteurin aus Suhl gebürtig sei (nicht weit von der Wartburg!), in welchen Theatern sie gespielt habe, endete der Beitrag mit der bemerkenswerten Feststellung, die Harfouch habe die Brühne gut gespielt, obwohl sie deren gesellschaftliche Situation gar nicht miterlebt habe. Was der Schauspielkunst neue Dimensionen eröffnet, wenn wir nur an Sophokles, Shakespeare oder Molière denken. Wir werden Schauspielerleistungen künftig daran zu messen haben, wie sie den Stoff aus Jahrhunderten bewältigten, obwohl sie ihn gar nicht miterlebt haben. Andererseits: Solche Beckmessereien sind tröstlich. Sie schaffen das nötige Vertrauen in die eigene Unkenntnis, denn es erspart beispielsweise die Frage, wie viele Ostdeutsche schon einmal was vom Hambacher Fest gehört haben. Und sollte sich eventuell ausnahmsweise wieder jemand von ihnen in das Jauchsche Millionenspiel verirren, wird ihnen auf die Frage, ob die Meistersinger von Nürnberg in der Nähe von Stuttgart oder von Kaiserslautern spielen, vom gütigen Frager Verzeihung gewährt, falls sie es nicht wissen - es sei denn, sie stammen aus dem ehemaligen Grenzgebiet bei Meiningen oder Salzwedel. So wächst zusammen, was zusammengehört, wie es Willy Brandt 1989 hoffnungsvoll ausrief. An einen anderen Satz des SPD-Politikers sollten wir lieber nicht denken, an den von der ungeteilten deutschen Kulturnation nämlich. Obwohl, wenn wir es recht bedenken, korrespondiert er doch aufs Schönste mit Heiner Müllers nach der Wende formuliertem Diktum: "Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als fünf Deutsche." Eine tröstliche Botschaft mit Langzeitwirkung.