Kurz vor der Bundestagswahl steht ein Gewinner scheinbar schon fest. Die Alternative für Deutschland (AfD) wird allen Umfragen zufolge am 24. September erstmals in den Bundestag gewählt werden. Sie darf unter der Führung ihrer Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen und kann sogar die führende Oppositionsfraktion werden.
Die AfD wird das Bundesparlament als Tribüne für ihren Kulturkampf nutzen und ihre schon aus den Länderparlamenten bekannten Provokationsstrategien forcieren. Sie wird sich dabei als Partei der Populisten rechts von der Union präsentieren. Eine einheitliche Truppe ist die AfD jedoch nicht. Die Strategie der Partei ist nicht geklärt, ihr Führungspersonal agiert zerstritten
erstritten. Ein Blick auf die 16 Wahllisten der einzelnen Bundesländer sowie die Erfahrungen mit den bisherigen Landtagsfraktionen verdeutlichen die personellen Spannungen und möglichen Bruchlinien in der künftigen Bundestagsfraktion. Die AfD, die auf mehreren Landeslisten als reiner Männerbund antritt, ist nicht nur nach der Einschätzung Alexander Gaulands ein „gäriger Haufen“. Ihr drohen schlagzeilenträchtige Auseinandersetzungen, wie sie schon aus den Landtagen bekannt sind.In Sachsen beispielsweise kandidiert Frauke Petry, die noch amtierende Bundessprecherin der AfD, auf Listenplatz eins vor Jens Maier, ihrem Intimfeind. Maier, Zivilrichter in Dresden, kokettiert unter Anspielung auf den umstrittenen thüringischen AfD-Landesvorsitzenden gerne mit der Eigenbezeichnung „kleiner Höcke“. Im Vorprogramm von Björn Höckes „Dresdener Rede“ bemühte Maier im Januar mit Vokabeln wie „Mischvölker“ und „Schuldkult“ in seinem Beitrag den klassisch rechtsradikalen Jargon. Petrys Forderung nach einer „realpolitischen“ Mäßigung wird Maier, gegen den ein Parteiausschlussverfahren angekündigt wurde, auch im Bundestag kaum nachkommen wollen. Die baden-württembergische Liste wiederum führt Alice Weidel an. Sie kandidiert in einem Bundesland, dessen Landtagsfraktion sich unter ihrem Vorsitzenden Jörg Meuthen nur wenige Wochen nach dem Einzug in den Stuttgarter Landtag spaltete. Grund dafür war der Streit über die antisemitischen und verschwörungsideologischen Schriften ihres Abgeordneten Wolfgang Gedeon. Das angekündigte Parteiausschlussverfahren gegen Gedeon wurde seit Beginn der Affäre im Juni 2016 ebenso verschleppt wie das Verfahren gegen Höcke. Dieser erhält bis heute die Unterstützung von Gauland und Meuthen. Letztere traten Anfang September auf dem 3. Kyffhäusertreffen, einer Zusammenkunft des von Höcke gegründeten völkischen innerparteilichen Bündnisses „Der Flügel“, gemeinsam als Redner auf.Brodelnde LandtagsfraktionenDie Männerriege Gauland, Meuthen und Höcke repräsentiert den richtungsweisenden Machtzirkel in der Partei. Alexander Gauland verkündete am Kyffhäuser in apologetischem Tonfall „das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Ebenso wie Höcke kämpft auch Meuthen für eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Seine baden-württembergische AfD forderte in einem ihrer wenigen handlungsfähigen Momente schon im Januar die Streichung der Fördergelder für die NS-Gedenkstätte im französischen Gurs. Nach öffentlicher Kritik ruderte Meuthen in AfD-typischer Manier zurück: Der Antrag „beruhe auf einem Irrtum meiner Fraktion“. Sein in die Schlagzeilen geratener Parteifreund Gedeon wiederum nahm noch im April 2016 am Kölner Delegiertenparteitag der AfD teil und wütet auf seiner Homepage weiter gegen „zionistische Elemente“ in der AfD.Auch in anderen Landtagsfraktionen brodelt es. In Sachsen-Anhalt, wo die AfD bei den Wahlen 2016 mit 24,3 Prozent die zweitstärkste Partei wurde, klagen ihre Parlamentarier über einen inakzeptablen „Rechtsruck“. Die AfD-Fraktion mit ihrem Vorsitzenden André Poggenburg, einem engen Höcke-Verbündeten, verfügt jetzt nur noch über 22 der vormals 25 Abgeordneten. Und in Sachsen griffen Mitglieder der AfD zu einem drastischen Mittel. Nach Informationen der Freien Presse gründeten sie den „Verein gegen politischen und religiösen Extremismus in Sachsen“, der Anfang September ins Register eingetragen wurde. Zu den Initiatoren gehört auch AfD-Landtagsfraktionsvizin Kirsten Muster. Die Freie Presse zitiert sie mit der Bewertung, „dass auch in meiner Partei eine größer werdende Zahl von Mitgliedern rechtsextreme Positionen vertritt“.Wie weit rechts die AfD inzwischen steht, zeigt die Tatsache, dass sich eine Scharfmacherin wie Frauke Petry als Teil des moderaten Flügels inszenieren kann. Im Gespräch mit der NZZ mahnte sie gar, dass AfD-Mitglieder wie Gauland ihre „Worte sehr sorgfältig wählen sollten“. Ausdrücklich verwies sie auf den „strategischen Dissens“, den sie vor dem Kölner Parteitag zwischen „Realpolitikern“ und Vertretern der „Fundamentalopposition“ wie Gauland ausgemacht hat. Doch Petry ist in der Defensive. Die Landeslisten werden meist von ihren nationalkonservativen Kritikern angeführt, die wie der nordrhein-westfälische Spitzenkandidat Martin Renner gerne gegen „Umerziehung“ polemisieren. Petry wird in der Fraktion bald ebenso isoliert sein wie in der Parteiführung, wo sie sich den Posten des Bundessprechers noch mit ihrem Kontrahenten Meuthen teilt.Bei einem Wahlergebnis von rund zehn Prozent kann die AfD mit 60 bis 80 Abgeordneten rechnen. Das Personal wird sich dabei nicht nur aus Kandidaten zusammensetzen, die noch kurz zuvor erbittert persönliche Machtkämpfe ausgefochten haben. Über bundespolitische Erfahrung verfügt zudem kaum ein Kandidat der AfD. Mit einer prominenten Ausnahme: In Hessen kämpft Martin Hohmann auf Listenplatz sechs für einen Wiedereinzug in den Bundestag. Hohmann wurde nach seiner „Tätervolk“-Rede am 3. Oktober 2003 im hessischen Neuhof 2004 aus der Union ausgeschlossen und gibt seitdem den konservativen Rebellen gegen die Merkel-CDU. Da Hohmann in seiner larmoyanten Rede auch ausführlich aus Henry Fords antisemitischem Klassiker Der internationale Jude zitierte, darf die Öffentlichkeit gespannt sein, welche Lektüre einen Abgeordneten Hohmann inspirieren würde.Sound der StahlgewitterHohmanns Gesinnungsfreunde agieren meist im Umfeld nationalkonservativer und neurechter Periodika wie Sezession und Junge Freiheit. Im konservativen Teil der Union blieb deren Widerhall schwach. 2017 haben Autoren aus diesem Milieu feste Plätze auf den bundesweiten Wahllisten der AfD. Etwa in Baden-Württemberg. Hier steht mit Marc Jongen ein führender Rechtsintellektueller auf Platz drei. Den ehemaligen Assistenten Peter Sloterdijks haben einige Medien sogar zum „Parteiphilosophen“ der AfD erkoren.Zwar steht die angekündigte philosophische Grundlegung der AfD noch aus. Aber Jongen ist ein bemerkenswerter strategischer Kopf. Im „Antisemitismusstreit“ argumentierte er differenziert und dennoch klar gegen die Positionen Gedeons, für den selbst Horst Mahler ein „Dissident“ ist. Jongens Essays hingegen lesen sich wie die Programmschriften einer Rechten jenseits der NPD. Im Februar erschien in der Sezession unter der Überschrift „Migration und Streßtraining“ eine Grundsatzschrift gegen das „Merkel-Regime“, welches das „hunderttausendfache rechtswidrige Eindringen kulturfremder Menschen“ ermöglicht habe. Wer bislang über eine politisch sedierte Kanzlerinnen-Republik klagte, muss sich im Fall eines Abgeordneten Jongen an den Sound der Stahlgewitter gewöhnen. Die „politisch korrekte“ Wahrnehmung der Wirklichkeit werde „unter den Hammerschlägen der ihm grausam widersprechenden Realität zerbersten“. Sein Geraune über „die perfiden Pläne der im Hintergrund agierenden Subjekte“ in der internationalen Politik wird er im Parlamentsbetrieb auf Nachfrage konkretisieren müssen. Sein verzweifeltes Räsonnement, wie eine „Gruppe von Personen an die Regierung kommen und sich dort hartnäckig halten“ konnte, „deren Tun – und Unterlassen – geradewegs auf die Abschaffung der eigenen Kultur, des eigenen Volkes hinausläuft“, wird ihn nach einem Wahlsieg Angela Merkels weiter umtreiben. Seine auf Radikalisierung zielende Philosophie des modernen Populismus erhält im Bundestag ein prominentes Forum.Vielfach rekrutiert sich das Personal der AfD aus „neuen“ Rechten, die meist ältere Herren sind. Zwar werden vier von 16 Landeslisten von weiblichen Kandidaten angeführt. Aber vorzugsweise Männer werden die Parlamentssitze einnehmen – und zwar an zentraler Stelle jene Exemplare, die wie der 1941 geborene Spitzenkandidat Gauland nicht mehr so ganz taufrischen Datums sind. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen findet sich auf den von Martin Renner (Jahrgang 1954) angeführten 24 Listenplätzen gerade einmal eine Frau – auf dem vorletzten Rang. Im kleinen thüringischen Landesverband tritt ebenso wenig eine weibliche Kandidatin an wie in Gaulands Landesverband Brandenburg. Alice Weidel ist in Baden-Württemberg die einzige Frau unter den ersten zehn Nominierten. Sie führt dafür aber eine Liste an, die für AfD-Verhältnisse regelrecht zwangsquotiert wirkt: Immerhin vier Kandidatinnen finden sich auf den 30 Listenplätzen.Dass die Kandidatenriege der Partei einer Burschenschaft gleicht, scheint die weiblichen Mitglieder der AfD kaum zu stören. Noch obsiegt die Vorfreude auf die ersten Hochrechnungen. Aber nach der rauschenden Wahlparty wird gerade für einstige Führungsfiguren die Katerstimmung folgen. Die ersten Konflikte sind schon jetzt sichtbar. Frauke Petry drängte im Gespräch mit der NZZ auf eine strategische Richtungsentscheidung. Die personellen und politischen Kräfteverhältnisse in der Partei der „neuen“ Rechten und alten Männer zeigen aber, dass kurz vor der Bundestagswahl die prominenteste Verliererin in der AfD wohl schon feststeht.Placeholder authorbio-1Placeholder link-1