Alte Zeiten

Linksbündig Was Fernsehwahlen von Nationalhelden sagen über das Publikum, das sie heute schaut

Nun also Salazar. Die älteren unter den Leserinnen werden sich erinnern. Portugiesischer Diktator von 1932 bis 1968, gestorben 1970, vier Jahre bevor Portugal die Diktatur stürzte und seine Kolonien frei gab. Sie werden sich auch, das mit erheblich freundlicheren Gedanken, an den portugiesischen Kommunistenführer Alvaro Cunhal erinnern, der Salazar biologisch und politisch überlebte und bei der "Nelkenrevolution" 1974 eine aktive Rolle spielte. Bei der Fernsehwahl zum "Größten" Portugiesen des Staatssenders RTP belegte er hinter Salazar (41 Prozent) den zweiten Platz mit 19 Prozent.

Die Ranking-Sucht zahlreicher Mainstream-Medien kann man mit Recht als ansteckende Krankheit sehen. Je weniger übersichtlich Lebensplanung, Gesellschaft und Politik werden, um so mehr steigt das Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung. Das versuchen die Medien mit möglichst viel Marketing-Lärm zu bedienen. Dass sie auch mit dieser Methode nur eine Illusion verkaufen, gehört nach ihrem Selbstverständnis zum Geschäft. Die ZDF-Gesichter Johannes B. Kerner, der die ZDF-Show Unsere Besten moderierte, und Guido Knopp, der für den späteren Sieger Adenauer plädierte, sind Meister dieser Komplexitätsreduktion. Aus ihr spricht die Verachtung der vermeintlich intelligenten Medienmacher für ihr Publikum, das in ihren Augen entschieden dümmer ist als sie selbst.

Wie so oft war die BBC die erste Fernsehanstalt, die diesen Zirkus unter dem Titel 100 Greatest Britons veranstaltete. Dort gewann Churchill. In den USA war es Ronald Reagan, im deutschen ZDF wie gesagt Konrad Adenauer und in den Niederlanden, ein ähnlich spektakuläres Ergebnis wie in Portugal, der ermordete Rechtspopulist Pim Fortuyn.

Was wollen uns solche Ergebnisse sagen? Vor allem sagen sie, welches Publikum seine Abende vor der Glotze verbringt und für welches Publikum das Fernsehen noch immer das Leitmedium ist. Einfacher ist das in Deutschland mit dem fortdauernden Quotenerfolg der "Volksmusik" zu erklären. Solche Sendungen erreichen an dunklen Winterabenden fünf bis sieben Millionen Zuschauer. Das ist dann ein Marktanteil von 15 bis 20 Prozent. Das heißt: 80 Prozent gucken etwas anderes. Die Mehrheit aber, und das ist gesellschaftlich noch entscheidender, sitzt nicht vor der Glotze, sondern weiß mit dem Samstagabend etwas Sinnvolleres anzufangen. Dabei sind die vor der Glotze die Alten; die, die sie vermeiden, die für ihren angebliche Mediensucht gescholtenen Jungen.

Der Intendant des Senders, der "die besten Deutschen" wählen ließ, Markus Schächter (59), wird - so ein derzeit kursierendes Bonmot - in einem Jahr endlich das Durchschnittsalter seines Senderpublikums erreichen. So gesehen kann das ZDF-Ranking von 1. Adenauer, 2. Luther, 3. Marx, 4. Sophie und Hans Scholl und 5. Willy Brandt nicht überraschen.

Churchill war der letzte Brite, der einen Krieg gewonnen hat (naja, der Falkland-Krieg war ja kein "richtiger"); gleiches gilt für den französischen "Besten" de Gaulle, beide im übrigen Zeitgenossen des deutschen Siegers Adenauer. In Russland würde so gesehen vermutlich Breschnew gewinnen, wie es in den USA Reagan getan hat. Es ist das Unwohlsein der Couch-Potato-Generation vor den heutigen Unsicherheiten der Globalisierung, den Auswirkungen des Neoliberalismus und der gesellschaftlichen Individualisierung. Die Siegerfiguren dieser TV-Wahlen verkörpern die "besseren Zeiten" in denen - angeblich, aber nicht wirklich - alles noch stabiler war. Haben 60-Jährige und Ältere das in ihrer Mehrheit jemals anders gesehen?

Das macht, so schlau sind auch die Jüngeren, nicht alles falsch, was die Älteren sehen. Darum sind es ja viele Junge, die im Juni gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm demonstrieren wollen und auch die Kirchentage bevölkern. Mag sein, dass viele von ihnen auch solche Medienwahlen verfolgen, etliche auch spielerisch daran teilnehmen (und eine Figur wie Daniel Kübelböck, längst vergessen, seinerzeit im ZDF auf Platz 16 wählten). Aber sie nehmen es nicht so ernst, weil sie ein souveräneres Verhältnis zu den Medien entwickeln. Sie gehen mit den zahlreichen neuen medialen Alternativen bewusster um als ihre Eltern und vor allem die Politikerinnen, die, völlig ahnungslos, ihnen alles Mögliche, was sie selbst nicht kennen, verbieten oder zumindest kontrollieren wollen.


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