Freunde eines radikalen Schuldenschnitts haben während der sogenannten Eurokrise immer wieder an das Beispiel Argentinien erinnert: Ein Staatsbankrott, wie ihn die Regierung dort 2001 Hals über Kopf erklärte, könne für hoffnungslos überschuldete Länder wie Griechenland oder Zypern einen Ausweg aus der Krise bieten. Wie im Fall des südamerikanischen Landes werde wirtschaftliche Erholung nicht ausbleiben, sei erst einmal die Last der Schulden abgeworfen.
Tatsächlich ging die argentinische Staatsinsolvenz vom Dezember 2001 mit einem unerhörten Chaos und einer Serie von drastischen Notmaßnahmen – etwa dem Einfrieren der Bankkonten – einher. Die nationale Ökonomie brach zusammen, die Arbeitslosigkeit erreichte nie gekannte A
gekannte Ausmaße. Ende 2002 setzte eine langsame Regeneration ein. Das war möglich, weil mit der Abkopplung des Peso vom Dollar und seiner kräftigen Abwertung der Export von Soja, Weizen und Rindfleisch auf den Weltmärkten wieder Käufer fand.Argentinien war in den 90er Jahren ein Musterland unter den Schwellenländern, nirgends sonst wurden neoliberale Wunderkuren mit solchem Glaubenseifer und unter lauteren Lobgesängen des Internationalen Währungsfonds betrieben. Und nirgendwo führten diese Therapien so unaufhaltsam in die Krise wie in Argentinien: Eine Regierung nach der anderen stürzte, die Bevölkerung versank im Elend und wehrte sich so heftig, dass der politischen Klasse gar nichts anderes übrig blieb, als Mut aufzubringen für den Staatsbankrott nach innen und außen. Eine Umschuldung folgte der anderen (die letzte kam 2011), bei denen nationale wie ausländische Gläubiger wohl oder übel Verluste von 70 bis 75 Prozent des Nominalwerts ihrer Anleihepapiere hinnehmen mussten.Mit Zins und ZinseszinsZehn Jahre später, im Sommer 2012, verkündete die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner stolz: „Es ist vollbracht!“ Die Umschuldungsaktionen seien fast beendet, die Restschulden weitgehend abbezahlt. Im Interesse der Unabhängigkeit und Stabilität des Landes werde der Schuldenabbau konsequent fortgesetzt, ließ sich La Señora Kirchner im Stil der schwäbischen Hausfrau vernehmen.Leider haben Geschichten von Depressionen und Verfall, Staatspleiten und Wiederaufstieg zumeist einen großen Haken. Und daran hängt Argentinien bis heute. Viele Investoren hatten sich schon 2001/02 geweigert, das Angebot aus Buenos Aires zur Umschuldung anzunehmen – in der Hoffnung auf bessere Zeiten und günstigere Lösungen. Wer die Verluste beim eigenen Aktiendepot nicht schlucken oder wenigstens minimieren wollte, konnte seine Argentinien-Papiere verkaufen, wenn auch mit Verlusten. Etliche US-Hedgefonds waren damals schon auf Geschäfte mit verlustträchtigen Staatsanleihen spezialisiert und pflegten ein einfaches Modell: Man erwirbt die Schuldverschreibungen fast bankrotter Staaten zu einem Bruchteil des Nominalwerts und klagt dann auf die volle Rückzahlung zum Nominalwert der Papiere – mit Zins und Zinseszins.Diese einstigen Käufer waren die neuen Kläger, darunter US-Hedgefonds wie Elliott Management des Fondsmanagers Paul Singer oder Aurelius Capital Management, die dem argentinischen Staat nie Geld geliehen hatten, aber ab 2001 anfingen, Staatsanleihen wie Schrottautos aufzukaufen. Danach verweigerten sie sich jedem Angebot zur Umschuldung und klagten vor amerikanischen Gerichten auf Begleichung des vollen Nennwerts der Papiere samt Zinsen. Bei buitre Singer, dem Aasgeier, wie ihn Argentiniens Außenminister Héctor Timerman nennt, geht es um 1,3 Milliarden Dollar Nennwert plus 200 Millionen Dollar Zinsen – der 21-fache Erlös, verglichen mit dem Kaufpreis der entsprechenden Papiere. Da sie vom argentinischen Staat einst in US-Dollar ausgegeben und in New York nach US-Recht gehandelt wurden, sind nun US-Gerichte für den Fall zuständig. Der Rechtsstreit ging durch alle Instanzen und endete nach der Berufung mit einem vollen Sieg für den Singer-Hedgefonds. Dadurch stand Argentinien erneut am Rand des Staatsbankrotts. Bis Ende Juni waren die 1,5 Milliarden Dollar fällig. Um die Zahlung zu erzwingen, hatten Singers Anwälte weiter amerikanische Gerichte bemüht. Diesmal, um die Auszahlung einiger Hundert Millionen Dollar an andere Gläubiger zu stoppen, die sich an Umschuldungen 2005 und 2010 beteiligt hatten.Infolge dieses Störfeuers steckt die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas in der Klemme. Werden die Hedgefonds ausgezahlt, wie die US-Richter fordeten, ist eine erschlagende Klagewelle zu befürchten. Dann hätte man die seinerzeit umschuldungswilligen Gläubiger klar schlechter behandelt als die Verweigerer. Doch es wurde nicht gezahlt und nach der Galgenfrist bis zum 31. Juli musste sich das Land nun offiziell als insolvent erklären. Was war der Regierung in Buenos Aires anderes übriggeblieben, als den Konflikt auf die internationale Bühne zu bringen, indem sie sich einerseits verhandlungsbereit erklärte, zugleich aber die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aufforderte, sich der Sache anzunehmen? Alle OAS-Mitglieder bis auf die USA hatten dem zugestimmt, waren aber nicht von vergleichbaren Attacken der „Aasgeierfonds“ mit Sitz in den USA oder in Großbritannien betroffen.Willfährige RichterAls in Europa 2010 die Eurokrise ausbrach und es völlig unsicher war, ob und wie lange Griechenland noch in der Währungsunion bleiben würde, fielen dessen Staatsanleihen auf das Ramschniveau von 17 Cent pro Euro. Etliche Hedgefonds kauften sie als Massenware, um damit einen feinen Schnitt zu machen, wozu sie nicht mehr brauchten als willfährige Richter in Großbritannien, denn die meisten in der Eurozone aufgelegten Staatsanleihen werden in London nach britischem Recht gehandelt. Nach seinem Schuldenschnitt von 2012 wird es Griechenland also mit britischen Richtern zu tun bekommen, sollten sich Altgläubiger oder die Käufer einstiger Schrottpapiere bemerkbar machen. Die jüngste Finanzgeschichte Argentiniens kann und wird sich wiederholen – mit anderen Akteuren und anderen Summen, aber nach dem gleichen Muster.Schließlich ist die Macht der Staatsgläubiger dank der internationalen Finanzmärkte größer als je zuvor. Unternehmen können bankrott gehen, nach nationalem oder internationalem Recht – Staaten nicht. Für die Staatspleite, obwohl sie oft genug vorkam in der Geschichte des Kapitalismus, fehlt die adäquate juristische Form. Es gibt kein ordentliches, international anerkanntes Insolvenzverfahren für Staaten. Der IWF wie auch die EU könnten durchaus ein Insolvenzrecht kreieren, sollten sie die gebotene Courage haben, den Spekulanten der Aasgeierfonds in die Parade zu fahren.Es gibt den Pariser Club (und den Londoner Club), in dem Gläubiger- und Schuldnerstaaten zusammen mit Großbanken seit Jahrzehnten und Tagen über die Abwicklung von Schulden verhandeln. Besser als nichts, aber lange nicht genug, handelt es sich doch um ein in die Jahre gekommenes Provisorium. Man hat es eben nicht mit internationalen Organisationen, sondern mit Clubs von Regierungen und Bankern zu tun. Die können Ad-hoc-Agreements nach Lust und Laune treffen, aber kein gleiches Recht für alle setzen.
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