FREITAG: 130 katalanische Schriftsteller werden in diesem Jahr nach Frankfurt zur Buchmesse kommen. Als Nicht-Kenner des iberischen Raums gerät man da gleich ins Trudeln, denn es ist keinesfalls klar, wer als katalanischer Autor gelten darf. Stellt sich hier einzig die Autonome Gemeinschaft in Spanien vor mit ihrer Literaturhauptstadt Barcelona? Oder sind auch Autoren von den Balearen eingeladen worden oder aus Andorra, in denen das Katalanische offizielle Landessprache ist?
AXEL SANJOSÉ: Gast ist ausdrücklich die "Katalanische Kultur". Dazu gehören in jedem Fall alle katalanischsprachigen Gebiete mit immerhin 13 Millionen Menschen. So stammen die eingeladenen Autorinnen und Autoren keineswegs nur aus der autonomen Region Katalonien, sondern genauso aus den Balearen und aus València sowie aus Andorra und aus dem Roussillon. Es gibt außerdem noch eine kleine Katalanisch sprechende Gemeinschaft in L´Alguer/Alghero auf Sardinien. Dieses Miteinander ist übrigens keine Inszenierung für die Buchmesse: Auch in der Wirklichkeit der katalanischen Literatur spielt es keine Rolle, ob eine Autorin oder ein Autor aus Barcelona, Palma oder Perpinyà kommt.
Josep Bargalló, Direktor des den Buchmessen-Auftritt organisierenden Ramon-Llull-Instituts in Barcelona, hatte ursprünglich nur Autoren eingeladen, die ihre Werke auf Katalanisch schreiben. Was ist von dieser Entscheidung zu halten? Sind demnach Schriftsteller, die in Katalonien geboren wurden oder dort leben, aber auf Spanisch schreiben, keine katalanischen Autoren? Ist hier in dieser Trennung schon ein literarischer Separatismus verborgen?
Über den Einladungsmodus hat man schon in den letzten zwei Jahren, also bereits vor Bargallós Amtsantritt, heftig debattiert. Allerdings wird die Polemik hierzulande in den Feuilletons gewissermaßen nachträglich geschürt; in vielen Artikeln ist nur noch davon die Rede, wer alles nicht nach Frankfurt kommt. Dabei war von Beginn an klar, dass die Autoren in katalanischer Sprache - im philologischen Sinne also: die zeitgenössische katalanische Literatur - im Mittelpunkt stehen würden. Darum geht es ja schließlich auf dieser Buchmesse, denn die Sprache ist ein zentraler Aspekt einer Kultur. Dass man die spanischschreibenden Größen aus der Region von Goytisolo, Mendoza, Marsé, Ruiz Zafón und so weiter. mitberücksichtigen würde, hatte eigentlich auch niemand in Frage gestellt. Doch am Ende hat sich alles zugespitzt, es gab Empfindlichkeiten. Vielleicht wollten sich Bargalló und die Organisatoren nicht von außen diktieren lassen, wen sie einladen, und haben deshalb allzu sehr auf Geheimhaltung und Herauszögern gesetzt; umgekehrt empfand wohl mancher von den berühmteren Autoren, dass er nicht genug hofiert wurde. So sind dann die Absagen zustande gekommen. Absagen, wohlgemerkt, denn eine Einladung ist an die auf Spanisch schreibenden "Prominenten" sehr wohl ergangen.
Von einem nationalistischen Eifer der katalanischen Organisatoren zu sprechen, wäre also unangemessen?
Das Institut Ramon Llull tut im Grunde nichts anderes als das, was etwa das Goethe-Institut, das Institut Français oder das British Council auch tun: die Bekanntheit und Anerkennung der eigenen Kultur im Ausland zu fördern. In einer Situation der generellen Zweisprachigkeit vor Ort und der medialen Dominanz des Spanischen ist es durchaus angebracht, institutionell ein Gegengewicht zu setzen. Das hat per se nichts mit Feindbildern zu tun, weder auf Spanien bezogen noch auf die katalanischen Schriftsteller, die auf Spanisch schreiben. Natürlich gibt es durchaus auch Eiferer, aber die gibt es überall. Im Großen und Ganzen ist die Stimmung entspannt; in Katalonien lebt man schon immer mit all diesen Differenzierungen und Komplexitäten, das ist eigentlich wieder Teil der Kultur. Wie gesagt, manchmal habe ich den Eindruck, dass die Angelegenheit hierzulande künstlich dramatisiert wird.
Wie ist nun aber ein Autor wie der berühmte Eduardo Mendoza zu qualifizieren, der seine Romane auf Spanisch, seine Theaterstücke aber auf Katalanisch schreibt? Als spanischer oder als katalanischer Autor?
Mendoza ist Katalane, nach seinem eigenen und nach allgemeinem Verständnis. Seine wichtigsten Werke, die Romane, sind allerdings auf Spanisch geschrieben und damit Teil der spanischen Literatur, nicht der katalanischen. Bei den - weniger erfolgreichen - Theaterstücken ist es umgekehrt. Noch ein Beispiel: Pere Gimferrer schrieb seine ersten Gedichtbände auf Spanisch; sie sorgten in den sechziger Jahren für Aufsehen und sind unter dem Stichwort "Novísimos" in jeder Geschichte der spanischen Literatur zu finden. Ab 1970 veröffentlichte er auf Katalanisch, und auch diese Lyrik ist ein eminent bedeutendes Werk der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, doch mit anderen Anknüpfungspunkten und Resonanzen - katalanische Literaturgeschichte eben. Jeder Fall liegt etwas anders, aber grundsätzlich herrscht ja Einigkeit darüber, dass man die Literatur - wenn überhaupt- nach Sprachen gliedert. Nabokovs große Romane zählen definitiv zur englisch-amerikanischen Literatur, nicht zur russischen.
Welche Bedeutung hat eigentlich der Philosoph und Mystiker Raimundus Lullus beziehungsweise Ramon Llull für die katalanische Kultur und Sprache? Nach ihm ist ja das verantwortliche Institut für den Buchmessen-Auftritt benannt. Führt von seiner Ars Magna, dem Konzept des mechanischen Kombinierens von Begriffen mit Hilfe einer logischen Maschine, ein Weg zur katalanischen Sprache?
Das Institut Ramon Llull ist ja, wie gesagt, nicht nur für die Buchmesse zuständig, sondern hat eine ähnliche Funktion wie das Goethe-Institut. Die Namenswahl ist insofern besonders gelungen, als Llull oder Lullus nicht nur der erste Literat in katalanischer Sprache ist, ein Klassiker mit europäischer Ausstrahlung, sondern auch weil seine kosmopolitische und für die Zeit sehr tolerante Persönlichkeit ihn auch zur Symbolfigur macht. Llull war Missionar, aber zugleich Dichter und Philosoph, er arbeitete an einem umfassenden System der Wissenschaften, beherrschte zahlreiche Sprachen und war ein Mittler zur arabischen Welt, die er gut kannte, er verfasste auch Werke auf Arabisch. Katalanisch ist aber natürlich kein Produkt der Llullschen Kombinatorik, sondern eine aus dem Vulgärlatein hervorgegangene romanische Sprache wie Französisch, Italienisch, Portugiesisch oder Spanisch auch; aufgrund ihrer Geschichte zeichnet sie sich durch eine eher hohe Zahl an Unregelmäßigkeiten aus.
Wie sieht das literarische Leben in Katalonien und den verwandten Kulturregionen aus? Wieviele belletristische Bücher erscheinen jährlich in katalanischer Sprache? Welche Auflage erzielt ein Roman von, sagen wir, Jaume Cabré oder Quim Monzó? Und gibt es katalanische Autoren, die im deutschsprachigen Raum bekannt sind?
Die Anzahl der belletristischen Neuerscheinungen auf Katalanisch dürfte pro Jahr bei rund 2.000 Titeln liegen, bei einer Gesamtauflage von 8.577 Buchtiteln etwa im Jahre 2005. Die durchschnittliche Auflagenhöhe pro Titel betrug zuletzt etwa 2.900 Exemplare. Erfolgsbücher wie die der genannten Autoren erreichen schon mal eine Auflage von 200.000 Exemplaren. Sicher ist: Die Verlagsbranche in Katalonien spielt mit einem Anteil von rund 28 Prozent eine führende Rolle innerhalb des gesamten spanischen Buchmarkts, die rund 80 von 260 Verlagen, die katalanische Literatur publizieren, bilden einen wichtigen Stützpfeiler der katalanischen Kultur und Wirtschaft. Was den Bekanntheitsgrad der katalanischen Literatur hierzulande angeht, so ist das natürlich eine relative Angelegenheit. Aus der Vergangenheit dürfte vor allem Mercè Rodoreda (1909-1983) mit Auf der Plaça del Diamant und weiteren Romanen als "bekannt" gelten, von den zeitgenössischen Autoren sicherlich Quim Monzó mit Der Grund der Dinge. In der Lyrik zählt Salvador Espriu (1913-1985) zu den Großen aus der Kategorie etwa eines Montale, Celan, Larkin oder Brodsky, aber da geht es den katalanischen Lyrikern nicht anders als ihren Kollegen anderswo: Wieviel Bände von Paul Celan werden im Jahr gekauft?
Was hat dieser Buchmessen-Auftritt in Bewegung gebracht? Bislang war die katalanische Literatur im deutschsprachigen Raum eine kaum auffindbare Oase. 2005 wurden zum Beispiel nur fünf Titel übertragen, 2006 immerhin schon zwölf. Das ist eher karg. Ändert sich das jetzt?
In der Tat ist die Anzahl der bislang übersetzten Werke äußerst gering - im Grunde immer noch eine Folge der langjährigen Verleugnung des Katalanischen. Aber nun sind gut 45 neue Titel angekündigt, einige sind auch schon im Frühjahr erschienen, und das ist auf jeden Fall ein erster Schritt. Zu hoffen bleibt, dass die Messe Impulse für die nächsten Jahre und Jahrzehnte gibt - dass also die institutionelle Begleitung ebenso erhalten bleibt wie die Bereitschaft der deutschen Verlage, neben der Weltsprache Spanisch ebenso das Katalanische zu berücksichtigen. Es gibt noch einiges zu entdecken, die Erzähler Joan Sales und Manuel de Pedrolo, die Lyriker Carles Riba, Maria Mercè Marçal. Das sind Meilensteine des 20. Jahrhunderts in der katalanischen Literatur. Aber auch mancher Klassiker aus dem 19. und vor allem aus dem Mittelalter wäre eine zeitgemäße Übersetzung wert.
Das Gespräch führte Michael Braun
Axel Sanjosé, geboren 1960 in Barcelona/Katalonien, lebt seit 1978 in München. Er studierte Deutsche Philologie, heute ist er als Texter und Öffentlichkeitsarbeiter tätig. Daneben hat er einen Lehrauftrag an der Universität München. Im Jahr 2004 erschien sein Gedichtband Gelegentlich Krähen in der Landpresse (Weilerswist). Zuletzt übersetzte er: Pere Gimferrer: Die Spiegel. Der öde Raum. Gedichte. Hanser, München 2007, 128 S., 14,90 EUR
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