Es war die Zeit, als die Sonne rosarot am IT-Firmament glühte. Ob Old oder New Economy, plötzlich hatten fast alle großen Unternehmen wenigstens eine Person vorzuweisen, die mit redaktionellen Tätigkeiten betraut war, zum Beispiel dem hauseigenen Online-Auftritt. Sich einen Journalisten ins Haus zu holen, war Usus. Vor allem Kunden der Multimedia-Unternehmen und Start-Ups zeigten sich beeindruckt. »Content is king«, war überall zu lesen, im Netz und auf dem Papier. Eine neue Erkenntnis hatte die Wirtschaftsgemeinde des Internets in Aufruhr versetzt: Die User wollen mehr als Werbephrasen und Textblasen. Im IT-Jargon: Ohne Inhalt keine Clicks!
Aus den USA wurde eine neue Berufsbezeichnung herübergespült: der »Content-Manager« - und in der
und in der Branche rieb man sich die Hände. Seinerzeit reichte eine fremdsprachige Jobbezeichnung aus, um in der Firma eine gute Figur zu machen. Das neue Berufsbild stand unter einem funkelnden Stern und verhieß Erfolg, Geld und vor allem Jobs mit Perspektiven. »Für Redakteure, die aus dem Print-Bereich kommen, entsteht im Online-Bereich ein neues Tätigkeitsfeld«, frohlockte der deutsche Multimedia-Verband (dmmv), »Voraussetzung ist zumeist eine abgeschlossene Journalistenausbildung«.Doch haben die wenigsten Online-Redakteure eine klassischen Journalistenausbildung als Volontariat oder Praktikum bei einem Print-Medium absolviert. Man findet in der Regel Absolventen der Literaturwissenschaften, Soziologie, Politologie, Linguistik, Kulturwissenschaften und Quereinsteiger, etwa aus dem PR-Bereich. Unter ihnen sind solche, die nach Jahren mühsamer Bewerbungen glauben, über den IT-Sektor endlich in den Journalismus einsteigen zu können.Schreiben oder Texten?Auf einen ersten Blick unterscheidet Online-Redakteure wenig von den Kollegen im Druckbereich. Zur täglichen Arbeit gehören neben der Recherche das eigene Schreiben und Redigieren. Nur die Textaufbereitung für das Internet sieht ganz anders aus. Da das Lesen am Bildschirm anstrengend ist und die wenigsten Internetnutzer beim Online-Lesen scrollen möchten, müssen Texte im Netz kurz und prägnant sein - »kurz und knackig«, wie es in der Werbesprache heißt.Das Internet ist in erster Linie kein Lesemedium. Design, Spiel und Spaß sind je nach Zielgruppe wichtiger als Informationen, und entsprechend müssen die Websites aufbereitet sein. »Bei einer Jugendsite beispielsweise zählen Free-SMS, E-Cards oder Ähnliches zu den unabdingbaren Features«, erzählt die Content-Managerin Sabine Appel, die bei einem Kölner Sender für den Bereich Webshows zuständig war. »Die Site muss bunt sein, Spaß machen, man muss möglichst unkontrolliert chatten können.« Das hat auch mit Customer Relationship Management zu tun, dem Willen zur Kundenbindung. Jeder, der eine Website betreibt, wünscht sich nicht nur viele Clicks, sondern auch Besucher, die regelmäßig wiederkehren.Im Gegensatz zum Print-Journalisten, der je nach Position maßgebliche Entscheidungen fällen kann, sitzt der Online-Redakteur in einer IT-Agentur, die Klienten bedient, zwischen den Stühlen. Er muss natürlich zuallererst dem Kunden gerecht werden und dessen Ansprüchen an das in Auftrag gegebene Web-Produkt genügen. Doch auch die beteiligten Kollegen aus Konzeption, Projektmanagement, PR oder Design melden Ideen und Bedenken an: Die Konzepterin verlangt logische Verbindungen, damit der Seitenaufbau eingängig und verständlich ist, der PR-Mitarbeiter wünscht »spritzigere Subheadlines« und einen »Teaser, einen Anreißer, der die Sache besser auf den Punkt bringt«, die Designerin sorgt sich um das visuelle Erscheinungsbild ihres Entwurfs und ist nur widerwillig bereit, 20 Zeichen mehr einzufügen, dem Projektmanager dagegen ist fast alles recht - Hauptsache, der Kunde ist zufrieden. Mit dem jedoch beginnt der nächste Akt des Trauerspiels, das sich um den Text rankt. Mitunter sind bis zu sechs Produkt- oder Content-Manager in einen den Text betreffenden Entscheidungsprozess bis hin zur Abnahme involviert.Heraus kommt oftmals eine krude, auf vielen Händen balancierte Wortakrobatik, sprich: »interaktive Werbetexte«, für die sich Redakteure in Grund und Boden schämen. »Schweinebauchtexten halt«, resümiert Miriam Thieß, ehemals Online-Redakteurin bei einer Hamburger Fullservice-Agentur, nonchalant. »Die Grenzen zur PR sind längst verschwunden. Nur der Content ist King, der die Masse interessiert. Bei uns wurde die Regel quick and dirty vorgegeben: wenig Zeit investieren und das größtmögliche Ergebnis erzielen. Es lief zum Schluss auf eine reine Verwurstung von Inhalten raus: Die Dinge, die wir bereits im Datenbestand hatten, sollten auf andere Weise wieder aufbereitet werden. So ließen sich mit wenigen Mitteln neue Clicks produzieren.« Ein bitteres Fazit.Und selbst im Bereich E-learning, der die Qualität der Lerninhalte als oberstes Gebot pflegen müsste, ist knapp bemessene Zeit der Faktor, der alles diktiert. Aus Inhalten unbestimmter Herkunft entstehen Recyclingprodukte - Motto: »Ich war ein Text« -, für deren Qualität keiner garantieren kann. Vielleicht glaubte man auch zu fest an die Möglichkeiten des Copy and Paste: Denn viele im Web-Geschäft Tätige sind nach wie vor der Ansicht, dass man Content von überall her bekommen kann. Doch ist die Verwandlung alter Texte und Nachrichten in neue Geschichten eine Kunst, die unter den Anforderungen der IT-Branche nicht gedeihen will.Nach dem New Economy-DebakelInzwischen gehören beim Personalabbau Online-Redakteure mit zu den ersten, denen man den Laufpass gibt. Firmen kündigen heute lieber, als dass sie individuelle Kompetenzen abfragen und diese Mitarbeiter anderweitig einsetzen. Zwar hat der Arbeitsmarkt noch Bedarf an IT-Spezialisten, doch werden inzwischen fast ausschließlich Technik-Experten gesucht. Bevor der Beruf des Online-Redakteurs kreiert wurde, kooperierten die IT-Agenturen mit freien Werbetextern, oder die Textarbeit wurde auf gerade freie Kapazitäten in der Firma verlagert. In kleinen Agenturen ist der multifunktionale Einsatz des Personals bis heute an der Tagesordnung.So ist man bei Online-Redakteuren mit Festanstellungen vorsichtiger geworden. Während bei Multimedia-Agenturen vornehmlich 20- bis 25-Jährige das Gros des Personals stellen, haben Online-Redakteure in der Regel schon fünf bis zehn Jahre Berufsleben hinter sich, fordern tendenziell mehr Geld und hinlänglich geregelte Arbeitszeiten. Konsequenz: Die »internen Lösungen«, wie sie die kleinen Agenturen praktizieren, sind dann entschieden preisgünstiger als die »professionelle Variante«.Den Glauben an anspruchsvolle Inhalte im Internet hat Miriam Thieß noch nicht aufgegeben. »Es gibt viele Web-Sites mit Instant-Content, für den kein Redakteur gebraucht wird. Aber es gibt ebenso genügend Firmen, Verbände, politische Institutionen, Medienanstalten, die im Internet etwas mitzuteilen haben und dafür Redakteure benötigen. Es wird sich eben die Spreu vom Weizen trennen.«Die Crux liegt darin, dass kaum einer der Personalmanager bei Einstellungsgesprächen eine konkrete Vorstellung von der Arbeitsweise eines Online-Redakteurs hat. Doch fehlt dieser Spezies weniger die Aufgabe, sie entbehrt vielmehr Berufsbild und Selbstverständnis: schlicht einer Definition.Die Autorin hat in den vergangenen Jahren bei diversen Berliner IT-Firmen gearbeitet.
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