Der angenehm frische Geruch, und diese Ruhe! Man hört nur das leise Surren der Klimaanlage. Vielleicht noch ein paar Hipster, die über die Zutaten für den Wochenendbrunch diskutieren. Es ist ein tolles Gefühl, im Biosupermarkt einkaufen zu gehen. Das Kilo Rinderfiletsteak kostet hier bei Alnatura 64,90 Euro: glückliche Rinder, gesunde Kundinnen, sauberes Klima, so was kauft man sich ja nicht jeden Tag. Hier geht es sicher allen gut. Und bei diesen Preisen wird man sich eine selbstbewusst organisierte Belegschaft wohl leisten können. Denkste.
„Tarifgebunden ist keiner in der Biobranche“, sagt die Verdi-Handelsexpertin Erika Ritter. Ob etwa Alnatura nach Tarif bezahlt, könne sie nicht überprüfen. Was man aber überprüfen kann, ist die Existenz von Betriebsräten in Unternehmen. In gerade einmal einer von 133 Filialen gibt es eine gewählte Vertretung der Arbeitnehmer. „Die Arbeitgeber im Biosortiment wollen keine Mitbestimmung in den Betrieben haben“, sekundiert Paul Lehmann, Verdi-Gewerkschaftssekretär im Bezirk Oberfranken-West, „das zeigt der Erfahrungswert.“ Allein, es gab Versuche, an anderen Alnatura-Standorten Mitbestimmung zu erwirken.
Vom Union Busting in dem Unternehmen kann die Bremer Grünen-Politikerin Kai Wargalla ein Lied singen, sie hat dort bis 2016 gearbeitet. Dann ließ man ihren Vertrag aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“ auslaufen , sie hatte sich zur Protagonistin im Kampf der Angestellten für einen Betriebsrat aufgeschwungen. Alles ging damit los, erzählt sie, dass Alnatura die Filialleiterin in ihrem Bremer Markt entließ, weil sie hin und wieder alte Salatblätter für ihre Hühner mitgenommen habe. „Dazu muss man wissen: Bei Alnatura darf man nichts mitnehmen, auch nichts, was schon abgelaufen oder verschimmelt ist, wir müssen alles wegwerfen!“ Intern vermuteten die Kollegen noch andere Gründe hinter der Kündigung. Die Filialleiterin habe einen alten Vertrag gehabt, besser vergütet, „das war dem Management wohl ein Dorn im Auge“, meint einer von ihnen. Wargalla will daraufhin die Angestellten im Markt organisieren. Mit Organisation kennt sie sich aus, 2011 war sie Mitgründerin der Demokratiebewegung „Occupy“. Mit zwei weiteren Kolleginnen und Unterstützung von Verdi schickt sie eine Einladung zur Wahl des Wahlvorstandes an den Hauptsitz von Alnatura. Das Unternehmen reagiert prompt, lädt seinerseits zu „Einzelgesprächen“ mit den Mitarbeitern in der Filiale. „Da sagt dir natürlich keiner, dass du keinen Betriebsrat gründen darfst“, sagt Wargalla. Stattdessen habe es geheißen: „Euch ist schon klar, dass ihr dann die Arbeit derer übernehmen müsst, die für die Betriebsratsarbeit freigestellt werden?“ In der Mitarbeiterversammlung, die im Oktober 2015 stattfand, habe von Anfang an eine „feindselige“ Stimmung geherrscht. Dann schlug die neue Filialleiterin, in enger Absprache mit dem vor der Tür wartenden Gebietsleiter, selbst Kandidaten für die Wahl des Betriebsrates vor. Und zwar sich selbst, ihren Stellvertreter und einen weiteren Mitarbeiter. Durch diese Taktik wurde die erforderliche Mehrheit für die anderen Aspiranten verhindert. Eine Art „asymmetrische Demobilisierung“ im Biomarkt. Alnatura arbeitet auch noch mit anderen Tricks: Gelegentlich werden Angestellte mit Beförderungen geködert, damit sie von Betriebsrat-Plänen Abstand nehmen; eine perfide Strategie angesichts der Tatsache, dass dies gerade für Menschen mit geringer Qualifikation ein verlockendes Angebot darstellt.
Wer kämpft, wird gekündigt
In Bremen gibt es bis heute keinen Betriebsrat, Alnatura zieht das Verfahren mit Gerichtsprozessen in die Länge. Sogar verfassungsrechtliche Gutachten wurden angefertigt. Juristische Hilfe bekommt das Unternehmen dabei von Christian Winterhoff, einem Rechtsanwalt, der auf Anti-Gender-Symposien auch schon mal vor der schulischen Toleranz sexueller Vielfalt warnt und diese im gleichen Atemzug als rechtswidrig bezeichnet. Auf Nachfrage des Freitag bestätigt Alnatura die Personalie, jedoch handele es sich lediglich um eine von der Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen vorgeschlagene „Experten-Unterstützung“, die vonseiten der Biokette „nicht in Frage gestellt“ würde.
Der Betriebsrat in Bremen wäre der zweite innerhalb des Unternehmens, nur in Freiburg existiert einer. Ein stellvertretender Filialleiter in Berlin-Mitte erzählt, er habe zuvor zehn Jahre bei Bio Company gearbeitet, verglichen damit sei hier „alles super“. Dabei ist Bio Company, zumindest was die betriebliche Mitbestimmung anbelangt, schon weiter als Alnatura. Knapp 20 Jahre hat Verdi dort für den mehrere Filialen umfassenden Betriebsrat gekämpft. „Das war teilweise sogar konspirativ. Die Kolleginnen, die sich dafür eingesetzt haben, waren kurze Zeit später nicht mehr da, wurden versetzt oder haben Karriere in dem Unternehmen gemacht“, erinnert sich Ritter, „dann war das wieder vom Tisch.“ Ein Kollege von ihr findet noch deutlichere Worte: „Aus Gewerkschaftssicht sind die Biomärkte schlimmer als die Discounter!“ Bio Company zahlt unter Tarifniveau und hat es geschafft, den von Arbeitnehmerseite hart erkämpften Betriebsrat mit den eigenen unternehmensfreundlichen Leuten zu besetzen, die gewerkschaftsnahen sind in der Minderheit.
Doch selbst davon ist Alnatura meilenweit entfernt. Alnatura erklärt mit Blick auf die Mitarbeiterversammlung in Bremen, dort habe sich die Mehrheit der Beschäftigten „in einem ordnungsgemäßen und demokratischen Prozess gegen die Wahl eines Wahlvorstands entschieden“ und dies gelte es „zu respektieren und wenn nötig zu schützen“. Deswegen habe man auch gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bremen, nun endlich einen Wahlvorstand einzusetzen, „Beschwerde eingelegt“. Götz Rehn, Geschäftsführer von Alnatura, spricht in Interviews über Ökologie, mobile Hühnerställe und den umweltfreundlichen Stoffbezug seines Jaguars. In seinen Märkten prangt der Leitspruch „Sinnvoll für Mensch und Erde“ an den Wänden. Angesichts der realen Unternehmenspolitik ein paradoxes Benehmen, findet Verdi. Aber den Gewerkschaftern sind die Hände gebunden: Solange sich Beschäftigte von Alnatura nicht hilfesuchend an sie wenden, können sie von außen nichts tun. Die US-amerikanische Philosophin Elizabeth Anderson bezeichnet in ihrem Buch Private Regierung moderne Unternehmen als „kommunistische Diktaturen in unserer Mitte“, die sich paradoxerweise trotzdem auf die Loyalität ihrer Belegschaft verlassen könnten, „weil sie sich damit identifizieren und von ihm profitieren“.
So ging es auch einer Mitarbeiterin von Denn’s, einer anderen Biomarktkette. Auch dort wird unter Tarif bezahlt, trotzdem habe sie „gerne dort gearbeitet“, schreibt sie in einer Nachricht. Gegen Ende ihrer sechsmonatigen Probezeit hatte sie dann auf dem Weg zur Arbeit einen „schweren Autounfall“ und musste für einige Zeit ins Krankenhaus. Wieder zu Hause vergingen nur zwei Wochen, bis ihre Kündigung ins Haus flatterte. Die entlassene Denn’s-Angestellte, die namentlich nicht genannt werden möchte, spricht von der „Unmenschlichkeit“ des Unternehmens. Wenige Tage vor der Kündigung hatte sie noch die neue Krankmeldung in die Filiale gebracht, Hinweise auf ihre Entlassung habe man ihr dort nicht gegeben. „So etwas wie Kündigungsgespräche darf man in dem Bereich nicht erwarten“, sagt sie.
Paul Lehmann berichtet von einem ähnlichen Fall beim Mutterunternehmen Dennree im bayerischen Töpen. Dort habe man die Probezeit einer Angestellten auslaufen lassen, deren Ehemann zuvor in den Wahlvorstand zum Betriebsrat gewählt worden war. „Rechtlich ist das in Ordnung“, so der Gewerkschaftssekretär, „moralisch ist das aus meiner Sicht verwerflich.“ Der Gewerkschafter sieht das hohe Wachstumspotenzial der Branche als maßgeblich für die Gewerkschaftsfeindlichkeit. Ein Blick in die Jahresberichte von Dennree zeigt: 2012 erzielte der Biogroßhändler einen Umsatz von 535 Millionen Euro, voriges Jahr waren es 1,025 Milliarden. „Da sehen viele Arbeitgeber einen Betriebsrat eher als Hinderungsgrund“, meint Lehmann.
Im Mai fand dann die Betriebsratswahl bei Dennree statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent gingen acht der insgesamt 15 Sitze an die Gewerkschaftsliste, ein Erfolg für Lehmann. Und ein Pyrrhussieg. Denree arbeitet inzwischen mit den Anwälten von Schreiner + Partner, berichtet Lehmann – einer speziellen Kanzlei: Auf ihrer Homepage wirbt die „Anwaltsboutique“, wie sie sich selbst bezeichnet, mit Seminaren wie „Grenzen der Mitbestimmung“ oder „Die häufigsten Betriebsratssünden“.
Kommentare 12
„Aus Gewerkschaftssicht sind die Biomärkte schlimmer als die Discounter!“
Ich hoffe, wenigstens das biologische Rindersteak für € 64,90 das Kilo tut der Kundschaft munden.
Danke für die Info. Jetzt weiß ich wenigstens, wieso die bei meinen – ungefähr zweimal im Jahr erfolgenden – Einkäufen im Bio-Markt so einen verhuschten Eindruck machen.
Und wie so oft bleibt nur zu konstatieren: Es ist doch immer die gleiche Scheiße.
Weswegen ich persönlich das Gespinst "Grüner Kapitalismus" für fragwürdig halte und den politischen Aufschwung der Grünen diesbezüglich mit Skepsis beobachte. Ob ein Systemwandel gelingt ist mehr als ungewiss.
dieser artikel wird von einschlägigen kommentatoren mal wieder benutzt, um sich in ihrer "scheiß-grüne-bio"-meinung bestärkt zu fühlen. das ist wirklich langweilig, darum geht es gar nicht. bio ist auf jeden fall besser für die umwelt als nichtbio, und bioland/demeter ist besser für die umwelt als eu-bio.
wie im artikel trefflich konstatiert liegt es u.a. "am großen wachstumsmarkt" bionahrung. es ist konform-kapitalistisches verhalten, besonders in einem wachstumssegment die angestellten zu drücken, weil dies einen konkurrenzvorteil schafft (den schafft es immer, ich weiß), um sich ein besonders großes stück vom wachsenden kuchen zu sichern. bio macht da keine ausnahme.
bei biomarktangestellten fällt mir kein "verhuschtes" verhalten auf (besuche diese läden seit 25jahren, anfangs hauptsächlich kollektiv- oder familiengeführte einzelgeschäfte, die sind inzwischen leider selten). bzw. genau so verhuscht oder unverhuscht wie woanders.
die erwähnte kette denns gehört einer der 1000 reichsten deutschen (ist halt inzwischen ein business wie jedes andere). ich beobachte diese kette als besonders aggressiv in ihrem verhalten (dauernd überall neue läden, viel mehr als die konkurrenz, mehr sonderangebote als andere, usw).
gute, kleine bioläden halten häufig einen engen kontakt zu ein, zwei höfen im umland. diese sollte mensch, falls mensch interesse an bio hat, auch eher besuchen. sind aber meistens teurer als die ketten...weswegen sie leider nach und nach verschwinden. womit wir wieder beim kapitalismus wären, der diese branche eben auch formatiert.
"dieser artikel wird von einschlägigen kommentatoren mal wieder benutzt, um sich in ihrer "scheiß-grüne-bio"-meinung bestärkt zu fühlen. das ist wirklich langweilig, darum geht es gar nicht. bio ist auf jeden fall besser für die umwelt als nichtbio, und bioland/demeter ist besser für die umwelt als eu-bio."
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"gute, kleine bioläden halten häufig einen engen kontakt zu ein, zwei höfen im umland. diese sollte mensch, falls mensch interesse an bio hat, auch eher besuchen. sind aber meistens teurer als die ketten...weswegen sie leider nach und nach verschwinden. womit wir wieder beim kapitalismus wären, der diese branche eben auch formatiert."
Und den Widerspruch zwischen Ihrer Einleitung und dem Ende Ihres Kommentares bemerken Sie gar nicht? Anders gefragt, was konkret bzw. wieviel bleibt denn nach der kapitalistischen Transformation von "Bio" noch übrig von dem was Sie im Eingangsabschnitt formuliert haben?
Übrigens: Ausgehend von dem was Sie sonst im Kommentar ausführen vergrößert sich meine Skepsis bzgl. dessen, was von dem positiven Ansatz übrig bleibt, eher noch. Auch wenn das für Sie dann eine "scheiß-grüne-bio" Meinung ist.
Und noch etwas: Die "Bio"-Idee wäre ja nun auch nicht die erste Idee, die einfach kapitalismustauglich tranformiert wird. Insofern müsste man auch mal schauen, was in ähnlich gelagerten Fällen passiert ist. Z.B. das eine Energiewende auch nur unter kapitalistischen Regeln und ohen Systemtransformation gelingen können soll.
Ich kaufe am liebsten direkt beim Erzeuger und meide die großen Ketten. Die Erwartungshaltung, Bio bedeute gleich Verbesserung überall, scheint mir recht naiv. Erstens ist klar, dass auch Bio Marktgesetzen gehorchen muss, dass zweitens Negativbeispiele nicht ohne Nachweise generalisiert werden sollen, und dass drittens Bio in Sachen Umweltschutz immer noch besser sein dürfte als Nicht-Bio.
Bio durchsetzen und zugleich den Kapitalismus zähmen ist leider einfach nicht drin.
Mit "BIO" ist es wie mit dem westlichen (über)konsummodell überhaupt - es ist ein versprechen, das nicht globalisiert werden kann; oder anders gesagt: es ist ein Luxus, der nur deshalb funktioniert, weil ihn sich nur ein kleine schicht leisten kann. Der arme rest muss mit "nicht-bio" und gammelware vorlieb nehmen, um wenigstens zu überleben...
Was daran "besser für die umwelt" sein soll, wenn das kilo rindfleisch 64,90, statt 39,90 EUR kostet, erschließt sich mir nicht; furzen die bio-kühe weniger oder stossen sie nur CO2 statt Methan aus? (An der anzahl der tiere kann es nicht liegen, denn wenn der bio-markt wächst, muss auch die zahl der bio-rinder wachsen!)
>>...furzen die bio-kühe weniger oder stossen sie nur CO2 statt Methan aus?<<
In der Tat sondern Rinder bei artgerechter Ernährung (im Sommer Weidegras, im Winter vorwiegend Heu) weniger Methan ab. Aber der Ochse wächst langsamer als ein mit Soja und Mais gestopfter Mastochse, und die Kuh gibt nicht mal ganz halb so viel Milch wie die mit Mais & Soja gestopfte Discountmilchkuh. Als das noch üblich war, waren Fleisch und Milch teurer, kaufkraftbereinigt ungefähr genau so teuer wie heute Biofleisch und Heumilch. Ich habe nicht darunter gelitten, dass es einen Braten nur am Sonntag gab: im Gegenteil, man konnte sich auf die nicht alltägliche Delikatesse freuen.
Das ist halt der "greennewdeal"; Das ist wie mit den "Grünen", die werden immer noch an ihren Anfangsideen gemessen - und das "liberale-urbane-Millieu" merkt das nicht. Aber: Kapitalismus kann doch gar nicht anders funktionieren !
Ein sehr erhellender Artikel über den ganz gewöhnlichen Kapitalismus im Biosektor. Ich denke, die Legehennen werden besser behandelt als die Beschäftigten. Erst vor kurzen gab es da einen sehr erhellenden Bericht über die die Behandlung von Beschäftigten beim Markt für Biokosmetik Lush:
https://taz.de/Seifenhersteller-Lush-als-Arbeitgeber/!5610203/
Etwas grundsätlicher hat Katharina Hartmann "Die grüne Lüge" entlarvt (https://www.deutschlandfunk.de/kathrin-hartmann-die-gruene-luege.1310.de.html?dram:article_id=410423)
Es ist in diesem Geschäft wie in anderen auch. Wenn Selbstausbeutung das Überleben oder den erwarteten Profit nicht sichern, hilft manchmal Fremdausbeutung weiter. Eine Analyse zu Bioproduzenten in Sachsen-Anhalt zeigte, dass die Biobetriebe trotz der Förderungen keine grünen Halme erreichen.
Aber ich werde zukünftig Bio-Eier essen, nachdem ich in der letzten Woche aufgeklärt wurde, dass Hühner "essen". Sie picken nicht, sondern genießen jetzt den Regenwurm und Mistkäfer gegart und keimfrei mit Messer und Gabel,
auf ein gesundes Frühstücksei morgen und immerfort
Eure Meine Meinung.