Ich bin zum ersten Mal in dieser Stadt und stehe auf ihrem Marktplatz, ohne etwas in ihr oder von ihr zu wollen, und das wird sich noch als vorteilhaft erweisen. Eine junge Frau mit einer Warze auf der Oberlippe sieht mich erstaunt an. Den Namen der Stadt nennen wir nicht. Nichts ist hier wichtig oder groß oder sehenswürdig. Ich habe mein Auto abgestellt, ohne einen Parkschein hinter die Windschutzscheibe zu legen. Eine Wolke wirft ihren Schatten auf den Brunnen und das Rathaus und löst sich dann auf. Die Schaufenster vieler Geschäfte sind leer. Ich denke nach, aber ich habe wohl wirklich noch nie etwas über diese Stadt gehört.
"Schschsch..." Ein Vogelschwarm hat in einem Bogen seine Bahn verlassen und nimmt sich den Baum neben dem Brunnen zum Ziel. Doch die Vögel landen nicht, sondern schwingen sich wieder in die Höhe und setzen ihren Flug fort. Der Himmel ist strahlend blau. Was für eine Schuld hat dieses deutsche Städtchen auf sich geladen?
Statt jemanden zu fragen, hole ich die Tüte mit den Obstschalen aus dem Auto und werfe sie in einen Müllkorb. Dann fahre ich weiter.
Rupprecht Mayer, Jahrgang 1946, ist Autor, Sinologe, Übersetzer für Chinesisch. Er lebt in Burghausen und Berlin.
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