Am Mammutbaum gewachsen

Aktivisten Der Star-Anarchist David Graeber erzählt eine kleine Geschichte der US-Protestbewegung
Der Baum als antikapitalistischer Halt: Hier kämpfen französische Aktivisten 2012 gegen ein Flughafenprojekt bei Notre-Dame-des-Landes
Der Baum als antikapitalistischer Halt: Hier kämpfen französische Aktivisten 2012 gegen ein Flughafenprojekt bei Notre-Dame-des-Landes

Foto: AFP/ Getty Images

Nordkalifornien ist berühmt für seine Mammutbäume. Denis Johnson siedelte Mitte der Neunziger dort sein Epos Schon tot an, einen Abgesang auf die kalifornische Hippie-Kultur. Immer wieder tauchen in dem mit a california gothic untertitelten Roman die gigantischen Redwood-Bäume auf. Dem Schriftsteller Johnson dienen sie als Allegorie einer so geisterhaften wie natürlichen Einzigartigkeit.

Die Mammutwälder, die George Lukas in Star Wars – Das Imperium schlägt zurück als Kulisse für den Planeten Endor verwendete, stehen zum großen Teil unter Naturschutz. Ganz wie die Hippies selbst. Aber so wie Denis Johnson diese Subkultur verabschiedet hat, sollten Ende der Neunziger auch zahlreiche Mammutbäume gefällt werden. Im Humboldt County, einige Kilometer nördlich von Johnsons Post-Hippie-Biotop, entwickelten sich daraufhin heftige Proteste. Die 17-jährige Julia Butterfly Hill besetzte für 738 Tage einen Redwood-Baum und verhinderte seine Fällung durch die Pacific Lumber Company. Die Geschichte floss auch in T. C. Boyles Öko-Science-Fiction-Roman Ein Freund der Erde ein.

Interessantes zum Humboldt County fördert nun David Graeber in seinem jüngst erschienenen Buch Direkte Aktion zutage. Der Vorzeige-Anarchist plaudert aus dem Nähkästchen und schildert neben New Yorker Hausbesetzeranekdoten aus den Achtzigern vor allem Bewegungsgeschichte seit den Protesten in Seattle 1999. Während er den friedlichen Charakter der damaligen Blockadeaktionen betont, gibt er auch zu Protokoll, wer die gerade mal paar hundert Randalierer waren, die mit einigen eingeworfenen Schaufensterscheiben den Antiglobalisierungsprotest weltweit auf Platz eins der Nachrichtenagenda hievten.

Maskierte Heimsuchung

Die Black-Block-Aktivisten von Seattle rekrutierten sich vor allem aus radikalen Umweltschützern, Skatepunkern und Hardcore-Fans von der Westküste, von denen viele in „Earth First“ organisiert waren und im Zuge der Proteste im Humboldt County ihre Radikalisierung erlebten. Als ein Aktivist bei den Aktionen gegen die Baumfällungen, die ein Stück weit an die jüngsten Proteste vergangenen Herbst im Hambacher Forst erinnern, ums Leben kam, weigerten sich die Behörden, ein Ermittlungsverfahren gegen Pacific Lumber einzuleiten.

Ein Holzfäller hatte den Aktivisten zuvor noch gedroht, sie beim Baumfällen zu töten. Kurze Zeit später erschlug ein gefällter Redwood den 25-jährigen David Chain. Aber Graeber hat noch weitere Horrorgeschichten aus Humboldt County auf Lager. So soll die Polizei Gefangenen mit auf den Rücken gefesselten Händen Pfefferspray in die Augen geträufelt haben. Der San Francisco Chronicle sprach damals von Folter. In Seattle, so Graeber, schlugen die durch die Vorgänge im Humboldt County radikalisierten Aktivisten vor allem bei den Firmen Scheiben ein, die sie für ökologische und ökonomische Verbrechen verantwortlich machten. Die Presse stilisierte das damals zum Kern der globalisierungskritischen Bewegung hoch.

Die geisterhaften, verzauberten Riesenbäume, bei Denis Johnson meist in Nebelschwaden getaucht, scheinen jenseits des fiktionalen Hippie-Epos über enorme Fähigkeiten zu verfügen, Bewegungen gegen das Kapital und seine zerstörerische Verwertungslogik zu erzeugen. So kehrte nach Francis Fukuyamas eher misslungener Prophezeiung vom Ende der Geschichte die militante Kritik am Kapital zurück – als gespensterhafte, maskierte Heimsuchung downtown Seattle.

Ganz im Sinne Jacques Derridas, der ebenfalls Mitte der Neunziger in Marx’ Gespenster als Antwort auf Fukuyamas neoliberales Sektkorkengeknalle den wiedergängerischen Charakter des Kommunismus betonte. Und das nahm genau dort Fahrt auf, wo George Lukas den erfolgreichen Aufstand gegen das „Imperium“ in Szene setzte. Es gibt doch kein Ende der Geschichte – auch dank der nordkalifornischen Redwood-Bäume.

Direkte Aktion David Graeber Sophia Deeg (Übers.), Edition Nautilus 2013, 352 S., 28 €

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