Am Mikrofon begrüßt Sie ...

Radiopreis Am Freitag wurde in Hamburg zum ersten Mal der deutsche Radiopreis vergeben. Wir haben uns gefragt, welche Sendungen die Auszeichnung in jedem Fall verdient hätten

Ach, Du hörst auch Deutschlandfunk...“ Wer eine solche Entdeckung machen darf, auf einer Party oder anderswo, wird meist bestätigt finden: Als Radiohörer befindet man sich in guter Gesellschaft. Aber es ist dies eine Gesellschaft, die man in der Öffentlichkeit gar nicht so recht wahr nimmt. Gut also, dass es nun diesen Preis gibt, gestiftet von ARD, Deutschlandradio und der Radiozentrale, begleitet vom Grimme Institut. Gut, weil das „Qualitätsradio“ oft vergessen wird, wenn es um den Zustand der deutschen Medienlandschaft geht. Gut, weil es in den scharfen Diskussionen um die Öffentlich-Rechtlichen oft zu kurz kommt. Die Rundfunkgebühr beträgt derzeit bekanntlich 17,98 Euro. Davon erhält das Deutschlandradio (Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur) monatlich läppische 37 Cent: Das würde man doch glatt für jede einzelne der folgenden Sendungen ausgeben. (MA)

Wissenschaft im Brennpunkt So. 16.35 Uhr

„Neulich, ich glaube es war im Deutschlandfunk ...“ Ein solcher Satz fällt in jedem Gespräch mit meinem Freund Rüdiger. Mindestens einmal. Und eigentlich geht es dabei nicht um Glauben, sondern um Wissen. Erstens, weil wir beide gar keinen anderen Sender hören, soweit es die Frequenzen erlauben. Und zweitens, weil der Hinweis auf die Quelle immer mit Wissen zu tun hat, nie aber zum Beispiel mit aktueller Politik. Stets geht es um Dinge, die das gewisse Maß ausgefallen genug sind, uns zu begeistern. Weil wir zur Unterfütterung kulturpessimistischer Polemiken solche „Wahrheiten“ ebenso brauchen wie zur Befeuerung des regelmäßig auftretenden utopischen Fiebers: „Doch, das stimmt. Vertikale Landwirtschaft in Wolkenkratzern ist möglich. Neulich, ich glaube es war im Deutschlandfunk ...“ Mag schon sein, dass das eben Gehörte dabei stets ein wenig zu begeistert weitererzählt, ein wenig zu unkritisch für bare Münze genommen wird. Aber wir trösten uns damit, dass irgendwann an einem Sonntagnachmittag die Sendung Wissenschaft im Brennpunkt genau das zum Thema macht: Wie sich öffentlich-rechtlicher Rundfunk auf jene Leute auswirkt, die von all der Forschung eigentlich keine Ahnung haben. Ich würde Rüdiger davon sicher gleich berichten. Und er würde auf mein „neulich, ich glaube es war im Deutschlandfunk“ antworten: „Ja, ich habs auch gehört.“ Tom Strohschneider

Gutenbergs Welt, WDR 3 So. 12.05 Uhr

Radiohörer zappen nicht. Radiohörer legen sich fest. Mein Radiosenderwechsel von Radio Eins zum Deutschlandradio kam aus der Erkenntnis, nun erwachsener zu sein als das selbsternannte Radio für Erwachsene. Ich wollte ein klügeres Radio und bekam es. Mit Aufkommen der DSL-Verbindungen entdeckte ich Sendungen, die es bisher nicht in meine Küche geschafft haben. Zum Beispiel Gutenbergs Welt von WDR 3, wie der Name schon sagt, ein Ausflug in die Welt der Bücher, streng thematisch. Da ging es in den letzten Wochen um ewiges Leben, den besseren Menschen oder Fluchtorte. Die Temperamente, die da zu Wort kommen, sind höchst unterschiedlich und die Musik, wenn Guido Graf sie aussucht, erstklassig. Leider können die Sendungen aus urheberrechtlichen Gründen nicht vollständig als Podcast heruntergeladen werden. Da sie aber ein Gesamtkunstwerk sind, heißt es: Rekorder herunterladen, Sendung aufnehmen und hören, wann immer man will. Annett Gröschner

Von Annett Gröschner ist zuletzt erschienen: Heimatkunde Berlin

Fazit – Kultur vom Tage, DRadio Sa.-Do. 23.05 Uhr

Seit ich es mir leisten kann, die Nacht zum Tage zu machen, bin ich Hörer von Fazit – Kultur vom Tage, täglich nachts eine Stunde vor Mitternacht. Die Sendung versorgt mich mit Originaltönen der Matadore der Kultur und mit Kommentaren der Kritiker. Sie ersetzt die in jungen Jahren übliche Bettlektüre am Ende des Tages und verschafft mir das solide (Halb- )Wissen, das hilft, im Diskurs der Community zu bestehen. Nicht jede Nacht erlebe ich das Ende der Sendung, bin aber sicher, dass sie, wie immer, informativ, kritisch und unterhaltsam war. Klaus Kosiek

Klaus Kosiek bloggt als Koslowski auf freitag.de

Die Klassik-Diskothek, Kulturradio rbb, 1. Fr. des Monats 20.04 Uhr

Wenn das Radio nicht nur Quelle von Information und Unterhaltung, sondern Schule des Hörens sein soll, haben Michael Stegemann und Karl-Dietrich Gräwe für diese Sendung, die sie vor diversen Verschlankungsattacken ins 21. Jahrhundert retten konnten, alle Kulturpreise der Republik verdient. Trotz ihres Titels ist sie das genaue Gegenteil eines Easy-Listening-Angebots für Bildungsbürger. Hier fungiert Mozart ebenso wenig als gediegene Geräuschtapete wie Schönberg als Distinktionsmerkmal für Intellektuelle. Ernste Musik wird hier ernst genommen, und das heißt: bearbeitet, erörtert, kritisiert. Entgegen der postmodernen Neigung zum ständigen Themenwechsel verwenden die beiden Moderatoren oft lange Sendestrecken auf den Vergleich von drei, vier oder fünf Interpretationen des jeweils selben Musikstücks und handeln dabei nie nur Aktuelles ab, sondern erinnern stets an ältere Referenzaufnahmen.

Echte Kenner werden ihre Urteile manchmal vorschnell, ihre Kommentare überflüssig finden, aber die Sendung ist, dem Bildungsauftrag des Rundfunks gemäß, nicht für Kenner, sondern für interessierte Laien gemacht. Und denen wird einiges zugemutet: vergessene Komponisten ebenso wie abgelegenstes Zeitgenössisches. Und Gräwe und Stegemann gelingt es nicht nur, die Gegensätzlichkeit verschiedener Interpretationen akustisch nachvollziehbar zu machen, sondern Musik, auch komplexeste, den Hörern als artikulierte Sprache vorzuführen. Dass sie sich dabei – klug, witzig und nie überheblich – oft süffisante Wortgefechte liefern, ist ein zusätzlicher Lustgewinn. Zumal sie über ein rar gewordenes Talent verfügen: Sie trauen sich, das Schlechte schlecht und das Gute gut zu nennen. Magnus Klaue

Zwischentöne, DLF S0. 13.30 Uhr

WARNUNG! Bekommen Sie Ausschlag von Sätzen, die mehr als fünf Wörter umfassen? Werden Sie nervös, wenn Sie erleben müssen, wie Leute einander ausreden lassen? Umfasst Ihr Aufmerksamkeitsfenster genau die vom Fernsehen vorgeschriebenen zwei Minuten? Schlafen Sie wie auf Knopfdruck ein, sobald Sie bemerken, dass ein Thema vertieft behandelt werden soll? Interessieren Sie sich nicht für Persönlichkeiten, sondern vor allem für Phrasen und Posen? Verursacht es Ihnen Brechreiz, als erwachsener Mensch angesprochen zu werden? DANN HÖREN SIE AUF KEINEN FALL „ZWISCHENTÖNE“. Das Hören dieser Sendung kann in Ihrem Fall Schockzustände, Herzrhythmusstörungen und Nervenzusammenbrüche auslösen.

In allen anderen Fällen ist es eine Wohltat. So sehr, dass ich manchmal nach beendeter Autofahrt hinter dem Steuer sitzen bleibe, um weiter zuzuhören, wie sich zwei Personen über Gott und die Welt unterhalten. Juli Zeh

Das erste Buch von Juli Zeh hieß Adler und Engel. Acht weitere folgten bis heute

Gesichter Europas, DLF Sa. 11.05 Uhr

Ich putze dazu, manchmal lege ich mich dann auf die Couch. Die Einkäufe sind gemacht, das Wochenende steht bevor, hat aber noch nicht angefangen, eine Zeit wie ein leeres Blatt Papier, es gibt keine bessere für diese Sendung. „Am Mikrofon begrüßt sie Norbert Weber“. Armchairtravelling. Magie der O-Töne. Und „Atmo“, immer wieder „Atmo“ (Radiomacherslang). Mit Worten eine Landschaft so zeichnen, dass man sie riechen kann. Die Luxushotelinsel vor Venedig. Das Caffè degli Specchi von Triest. Und natürlich der Markt, da erfährst du alles über das Leben und das Sterben auf diesem Flecken Europa, nein natürlich nicht alles, nun spricht die Frau dort drüben, die für ein Visum ansteht. Es folgen die Erklärungen des Moderators. Warum es offiziell keine Madzedonier gibt hier im Norden Griechenlands. Jetzt bloß nicht staubsaugen, das dann erst nach 12. Michael Angele

Eine Ausnahme: Global Business, BBC World Service, unregelmäßig

Weil die Welt sehr viel größer ist als Deutschland und dort insgesamt sehr viel mehr los ist, bin ich mit dem BBC World Service verheiratet. Der ist im Grunde eine einzige Lieblingssendung, doch gibt es besondere Schmankerl. Eins davon ist Global Business mit Peter Day, fünfundzwanzig Minuten lang und ein Garant für gute Laune. Es geht in dieser Sendung weder um Aktien-Indices, noch um Analysen von Firmenübernahmen, sondern um die der Wirtschaft zugrundeliegende Struktur. Global Business besteht daraus, dass sich der unerschütterlich an allem interessierte Peter Day mit Leuten unterhält, die etwas versuchen oder sich allgemein Gedanken über die Organisation der Wirtschaft machen. Mal geht es um eine besondere Form der Unternehmensführung, mal um eine neue Art der Vermarktung, mal um ein Produkt, mal um eine Branche. Dass dabei jeweils Geld abfällt, ist in dieser Sendung zweitrangig. Folgt man Global Business, besteht der Sinn des Wirtschaftens vor allem darin, Langeweile zu vermeiden. Es ist eine Welt ohne Schattenseiten und ohne Lebensüberdruss, herrlich! Iris Hanika

Der neue Roman Das Eigentliche von Iris Hanika ist für die Hotlist nominiert.

Chaosradio, RBB Fritz letzter Mi. im Monat, 22.00 Uhr

Ich mag das Radio, es ist eine Kulturtechnik, die wir alle perfekt beherrschen. Gern würde ich mehr Radio hören, aber ich schreibe die meiste Zeit und kann’s nicht gebrauchen, wenn mir dabei jemand ins Ohr redet. Also hole ich mir das Beste aus dem Radio: Chaosradio – jeden letzten Mittwoch im Monat auf rbb Fritz ab 22 Uhr eine Reise in die Mitternacht und in das Herz der digitalen Welt. Quietschlebendige Informationen über die zunehmende Vernetzung und ihre politischen, sozialen, kulturellen Konsequenzen. Dazu Telefon ins Studio, Wiki, Blog und Chat zur Sendung, die Studiogäste wechseln zwischen den verschiedenen Dimensionen des Mediums. Dass die Sendung ein Klassiker ist, hört man schon an dem Jingle am Anfang – da krächzt noch ein Modem, wie früher, als man die Bits noch in Eimern herumgetragen hat. In seinen Glanzstunden ist Chaosradio wie erstklassige Software. Man vergißt dann einfach, dass man vor einem Computer sitzt oder eben vor einem Radio, und ist vollkommen im Thema. Peter Glaser

Vieles von dem, was unser Autor die meiste Zeit schreibt, ist auf seinem Blog Glaserei zu lesen

Lange Nacht, DRadio Fr. auf Sa. 0.05 Uhr

„Ja, meine Damen und Herren, unsere Sendezeit geht leider dem Ende entgegen …“! – „Ach, das ist mir zu spät“, höre ich Sie jetzt sagen – aber für harte Krimis oder andere, hier nicht näher zu bezeichnende Sendungen ist es doch auch nicht zu spät, oder? Man schreit sich auch nicht an wie anderswo, man redet und diskutiert über: Blues, Thomas Mann, Hospizbewegung, Erich Fromm, über alles Mögliche halt. Sich einlassen auf etwas, was ein anderer mir, dem unabgelenkten, vielleicht erst noch etwas müden, dann aber immer wacher werdenden Hörer sagt. Wenn es still ist rings um uns her, werden wir, werde ich doch ganz anders angeredet, und mir tut es dann auch gut, so oder so, mit meinen ungelösten Fragen, mit meinem Hobby, wovon ich vielleicht mit keinem so richtig reden kann, mit einer Frage, die gerade „vor zwei Tagen erst“ mal kurz zur Sprache kam! Die Lange Nacht, hochgeschätzt und nicht nur dann gehört, wenn ich nicht schlafen konnte. Helmut Zedlitz

Helmut Zedlitz ist Schriftsteller und lebt in Belin. Er ist geburtsblind

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