Fährt dieser Bus zum Camp?« - die Frage ist auf englisch, spanisch und portugiesisch vorm Haupt-Veranstaltungsort der Universität PUC ständig zu hören. Irgendwie beginnt hier schon das Jugendcamp des Weltsozialforums. Die Buslinien mit großen aufgeklebten Plakaten Offizieller Transport des WSF rollen an. Die Fahrgäste brauchen Geduld. Wer einsteigt, muss bei der Drehtür gleich bezahlen, und es dauert, ehe sich der Ziehharmonikabus bis zum letzten Stehplatz gefüllt hat. Einige sehen erschöpft aus.
Nur ein gutes Dutzend brasilianischer Jugendlicher lacht und singt: »Durchfahren! - Durchfahren!« Warum auch soll der Bus zwischendurch anhalten, alle werden ja doch am selben Ort aussteigen, am Praia de Belas - dem »Strand der Sch
»Strand der Schönen«.Im vergangenen Jahr entwickelte sich das Jugendcamp zu einer Art alternativem Weltsozialforum. Zehntausend waren es bereits damals, diesmal stehen die Zelte im Park an der Bucht noch wesentlich dichter. Die Gesichter scheinen aus aller Welt zu kommen, doch ins Ohr tönen vor allem portugiesische Laute. Was ist hier anders als beim offiziellen Forum? Im Vorübergehen höre ich jemanden sagen »Woodstock«, und tatsächlich lassen sich zumindest die Attribute der Alternativkultur nicht übersehen, während sich im offiziellen Forum eine Art Konferenzkultur in der Kleidung ausdrückt. Hier sehen alle »szenig« aus, und die Hippiekultur wird noch durch die Reihen von Ständen mit Federschmuck und Batik unterstrichen.Es sind diesmal viel mehr Stände als im vergangenen Jahr. Auch die Büros mit den Schildern »Gesundheit«, »Information« und »Sicherheitskräfte» sind neu. Und noch etwas ist anders: Hier steht ein kleiner Trupp von Polizisten, mit Schlagstöcken bewaffnet, dort reitet eine Patrouille. Auf der Straße zwischen Camp und Strand kontrollieren Uniformierte auf Motorrädern zwei junge Männer und halten sie fest. Das scheint akzeptiert, niemand bleibt stehen, alle gehen vorbei, als ginge es sie nichts an.Das Jugendcamp hatte im vorigen Jahr den Ruf erworben, das radikalere Forum zu sein. Hier trafen sich nicht nur junge Leute, sondern es fanden sich auch solche, die es bewusst ablehnten, in Hotels zu wohnen neben jenen, die es sich nicht anders leisten konnten, am Forum teilzunehmen. Gleichzeitig trafen sich hier Menschen, die mit den offiziellen Veranstaltungen unzufrieden waren, sei es, dass ihnen Themen fehlten, die sie für wichtig hielten, sei es dass sie sich am Vortragsstil der Seminare störten.Bewusst hatte es während des Europäischen Sozialforums (ESF) im Herbst in Florenz kein Jugendcamp gegeben. Es sollte vermieden werden, dass es wieder zu einer solchen Aufspaltung käme. Stattdessen aber erlangte dann der Versammlungsort mit Namen »hub« eine ähnliche Rolle. Er stand unter dem Motto: »Mit einem Bein im ESF, mit einem Bein draußen - letzteres aber mit beiden Füßen«. Die Abgrenzung lag in einem Verständnis von Widerstand als Selbstorganisierung, statt darauf zu zielen, den Staat zu Reformen anzurufen oder gar selber Staatsmacht anzustreben. Weitere Abgrenzungen lagen in der Forderung nach offenen Grenzen und dem (geld)freien Zugang zu Ressourcen.Beim Asiatischen Sozialforum (ASF) im indischen Hyderabad zu Beginn des Jahres hatten sich die Basisbewegungen ebenfalls zu einem speziellen Forum zusammengefunden, in Koordination mit dem ASF und zugleich in Abgrenzung dazu. In Indien herrschte gegenüber dem ASF der Vorbehalt, überwiegend eine Angelegenheit von Nichtregierungsorganisationen zu sein - und damit letztendlich von Organisationen, die ihr Geld aus dem reichen Norden bekommen.Dieses Bedürfnis zur Teilnahme am Weltsozialforum durch Selbstorganisierung mit einem eigenem Fokus ist auch 2003 wieder zu beobachten. So stehen im Halbkreis um das Camp herum - auf dem Sandstreifen direkt am Wasser - große Zelte als extra gekennzeichnete Veranstaltungsorte. Da ist die Werkstatt für Alternativen, in dem Frauen nach neuen Formen feministischer Bewegung suchen, während auf der anderen Seite des Camps ein altes Fabrikgelände zum Treffpunkt für »sexuelle Vielfalt« umfunktioniert wurde; da ist das Zelt Galactica, wo das Zeitverständnis der alten Mayakultur zu lernen ist. Hierher verirrt sich so mancher, der doch eigentlich ins Zelt Intergalactica wollte: jener Vernetzung eines radikalen Widerstandes, die sich im Jugendcamp des Vorjahres zusammengefunden hatte.Wirkt das Camp selber also besser strukturiert, fast etwas kommerzialisierter im Vergleich zu 2002, so liegt dies auch daran, dass Initiativen, die zuletzt spontan entstanden, nun bereits organisierter zusammentreffen. Werkstatt des globalen Widerstandes steht über dem als Flugblatt verteilten Programm, welches nicht ins offizielle Programm aufgenommen wurde. Die Auswertung des letzten Globalen Aktionstages, der Kampf der Armen gegen den permanenten Krieg stehen auf der Tagesordnung. Horizontalität, Autonomie, Gegenmacht und Arbeiten in Vernetzungen lautet der etwas umständliche Titel einer Veranstaltung. Menschen aus Mexiko, Spanien und vor allem Argentinien berichten von ihren Erfahrungen in ihren basisdemokratischen Bewegungen.Neka Jaka aus Argentinien von der Arbeitslosenbewegung MTD (s. nächste Seite) berichtet: »Wir haben uns vor fünf Jahren als Nachbarn zusammengetan. Zu Beginn hatten wir sehr unterschiedliche Erfahrungen. Das war sehr schwierig, und wir überlegten, wie wir uns befreien könnten. Inzwischen ist Solano eine Bewegung, welche die Selbstverwaltung organisiert. Für uns ist die Arbeit eine Möglichkeit, die Realität zu verändern. Es gibt keinen Chef, der uns sagt, was zu tun ist, sondern wir entdecken, wie wir mit Arbeit die Welt konstruieren können. Wir mussten unsere Realität neu erschaffen: Alles, was mit dem Leben zu tun hat - Essen, Bildung, Gesundheit. Darum kämpfen wir entschieden gegen den Kapitalismus - weil wir uns im täglichen Leben gegen ihn wenden.«Im vorigen Jahr traf Neka auf dem Weltsozialforum auf viele Akademiker in den Seminaren, die über die Arbeitslosenbewegung in Argentinien sprachen, doch nicht einer bat sie, von ihren Erfahrungen zu berichten. Hier im Camp geht es nicht darum, großen Theoretikern zuzuhören, was aber nicht bedeutet, dass die Bereitschaft, voneinander zu lernen, fehlen würde. Noami Klein, von der Times dank ihres Buches No Logo zur einflussreichsten Frau der Welt unter 35 erklärt, tritt auf und bemüht sich, eine von vielen zu sein. Das ist schwer für sie. Doch war es eine Überraschung, dass sie kam. In diesem Moment sei es verführerisch, sagt sie, auf Menschen wie Lula oder Chávez zu hoffen - darauf zu warten, dass die Welt von linken Präsidenten verändert werde. Die Menschen hier hätten zumindest eine Gemeinsamkeit: sie glaubten nicht daran, dass Menschen an der Macht eine andere Welt bauen werden. Am Tag vor dem Abschied planen Leute von der Peoples Global Action - jener Vernetzung von Basisbewegungen, die schon vor Seattle weltweite Proteste gegen die WTO koordinierte und inspirierte - die Widerstandsaktionen zur nächsten WTO-Konferenz, die im Herbst in Cancun (Mexiko) stattfinden wird. Vielleicht gibt es ja eine spezifische Ähnlichkeit zwischen dem legendären Festival in Woodstock und dem Jugendcamp am »Strand der Schönen« - als Etappen einer Bewegung, die das Gesicht der Welt verändert.
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