„Anticipatory Shipping“ heißt die Technologie, die sich Amazon vor zehn Jahren patentieren ließ: Algorithmen rechnen anhand der Bedürfnisgeschichte der Kund*innen aus, was sie künftig bestellen werden. Auf dieser Basis können die dezentralen Lagerzentren vorauseilend beliefert werden. Während manche in dieser neuen Technologie eine „gespenstische Zukunftsvision“ (Rheinische Post) im Hinblick auf den „gläsernen Kunden“ erblicken, sehen andere darin ein gewaltiges Potenzial gesellschaftlicher Veränderung aufscheinen. Jack Ma, der Gründer und ehemalige Chef von Alibaba, der größten Handelsplattform der Welt, verkündete, dass man nun endlich die unsichtbare Hand des Marktes finden könne. Das erlaube erstmals, „die Planwirtschaft zu verwirklichen“. Auch riesige Handelskonzerne wie Walmart verleiten mit ihrer digital gesteuerten internen Koordinationsleistung zu radikalen Schlussfolgerungen. 30 Jahre nach dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West gibt es dank Big Data und künstlicher Intelligenz eine Planungsdebatte 2.0.
Worum geht es? Im Gegensatz zu Jack Ma, der eher von der optimierten Planung eines Marktes ausgeht, fragen die Autoren Leigh Phillips und Michal Rozworski in ihrem Buch The People’s Republic of Walmart: How the World’s Biggest Corporations Are Laying the Foundation for Socialism, ob man sich „die logistischen und planerischen Machtzentren – die Walmarts und Amazons dieser Welt – aneignen“ und sie für eine „egalitäre, ökologisch rationale Zivilisation umwidmen“ könnte – jenseits des Marktes.
Nun dienen diese Technologien im digitalen Kapitalismus einem ganz bestimmten Zweck. Es geht in der Regel darum, die Kosten zu reduzieren mittels Rationalisierung. Eine schnellere Lieferung kann den Umschlag der verkauften Waren erhöhen, die Lagerhaltung verkürzen. Auch den Unwägbarkeiten des Marktes, der Tendenz zur Überproduktion, soll damit vorgebeugt werden: je genauer die Bedürfnisse antizipiert werden können, desto zielgerichteter kann die Herstellung darauf reagieren. Produziert wird nur noch nach tatsächlicher Nachfrage. Auch zur Kontrolle der Beschäftigten wird diese neue Technologie eingesetzt. Kapitalistische Konkurrenz findet in KI, Big Data und Vernetzung ihre Optimierung: schneller, höher, weiter, billiger.
Gesellschaftliche Form drückt der Technologie ihren Stempel auf und Technologie schreibt sich auf spezifische Weise in diese Gesellschaft ein. Dieses Verhältnis müsste in den Mittelpunkt dieser Planwirtschaftsdebatte 2.0 rücken. Mitunter jedoch scheint es, als würde sie hinter die Diskussionen der 1920er Jahre zurückfallen. In jener Zeit stritten Ökonomen über die Funktion von Preisen und Märkten. Eine tief ausdifferenzierte arbeitsteilige Gesellschaft sei zu komplex, als dass ein Master Mind planen könnte, was die Menschen brauchen, so argumentierten liberale Ökonomen seinerzeit. Der Markt sei intelligenter. Angebot und Nachfrage würden über die Informationen vermittelt, die der Preis gibt. So kreiste man seinerzeit um des Gretchens Frage: Welche Koordinierungsfunktion hat der Preis, meint auch: Welche Rolle spielt Geld in einer Marktwirtschaft? Der Preis, so das Gegenargument, sei mitnichten eine geniale, neutrale Informationsinstanz. Vielmehr spiegelt er die soziale Ungleichheit und blendet ökologische Kosten aus. Der Publizist Evgeny Morozov bringt es auf den Punkt: Der Preis liefert die relevante Information für denjenigen, der sein Handeln an der Möglichkeit des Profits ausrichtet.
Möchte man also einen „fully automated luxury communism“, käme man um die Frage nicht rum: Wer würde in einer Gesellschaft, in der es nicht mehr um die Maximierung von Profit ginge, entscheiden, was wie für wen produziert werden würde? Welche Rolle würden Markt und Preis dann noch zu spielen haben? Die Digitalisierung mag das Potenzial haben, die Ermittlung von Bedürfnissen und die Koordination von Produktion und Verteilung zu optimieren. Wie das am humansten geschehen kann, darauf können Maschinen keine Antworten geben. Da braucht es menschliche Intelligenz.
Kommentare 13
"a.s." , "das versenden vor der bestellung"
mag anstehende bedürfnisse der kunden/verbraucher
voraus-sehen.
eine "planwirtschaft in der zukunft"
hätte aber nicht nur den bedürfnissen der kunden
besser/schneller zu entsprechen,
sondern sie nach sozialen uned ökologischen kriterien zu
k r i t i s i e r e n.
oda?
"Wer würde in einer Gesellschaft, in der es nicht mehr um die Maximierung von Profit ginge, entscheiden, was wie für wen produziert werden würde?" - Auf jeden Fall keine paternalistische Autorität, welcher Art auch immer. Sondern die Menschen, die produzieren UND konsumieren selbst.
"Der Preis liefert die relevante Information für denjenigen, der sein Handeln an der Möglichkeit des Profits ausrichtet." - Dieser Satz deutet eine Denkrichtung an. Der die Preise bezahlende, Geld-Ware-tauschende Konsument im Kapitalismus ist nicht nur ein vereinzelter Einzelner, sonder auch einer, der als Produzent seinem Konsumentenleben und als Konsument seinem Produzentenleben entfremdeter ist. Im Prinzip ist die Kompetenz, die Produktion zu bestimmen, da. Auch die Tools dafür. Aber diese Entfremdung muss überwunden werden. Grundbedingung dafür, schlicht und einfach marxistisch ausgedrückt: Gesellschaftliches Eigentum am Produktionsmitteln.
"Im Prinzip ist die Kompetenz, die Produktion zu bestimmen, da. Auch die Tools dafür. Aber diese Entfremdung muss überwunden werden. Grundbedingung dafür, schlicht und einfach marxistisch ausgedrückt: Gesellschaftliches Eigentum am Produktionsmitteln."
"Im Prinzip" ja, aber in der Praxis wird es unvermeidlich auch wieder Planung bedürfen. Und sobald es um Produktion(en) geht, die über den lokalen/regionalen Bereich hinausgehen (Unterscheidung dabei nach Bedürfnis und Bedarf), dann bedarf es wiederum größerer Abstimmungs- und Koordinationsprozesse.
Die Annahme allerdings, dass mit gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln bereits die Entfremdung überwunden wäre, halte ich für eine Fiktion. Denn dieser Prozess (oder Endzustand) bedürfte bereits der Wandlung vor diesem Ziel. Das erfordert aber ein Bewusstsein, dass zumindest die elementaren Strukturen der gesellschaftlich- ökonomischen Verhältnisse durchschauen kann. Wo nun lässt sich das außerhalb der üblichen 'Nischen' feststellen? Solange der Ansatz aber allein bei der Verbesserung von Arbeitsverhältnissen stehen bleibt, befindet man sich weiterhin im Denkmodell des alten Paradigmas (und bestärkt zudem das System!).
Allerdings bieten sich mit den heutigen IT-Systemen schon Möglichkeiten, die jenseits der Grenzen der alten Planwirtschaften liegen, also damals Utopie waren. Die darin liegenden Potentiale könnten die individuellen mit den kollektiven Aspekten so verbinden, dass der Vorwurf der Marktliberalen nicht mehr zutreffend ist. Denn in dem neuen System treffen sich Nachfrage und Angebot auch weiterhin am Markt, aber weder in einem Zufallsmodus, nicht spekulativ und natürlich nicht mit privater Gewinnaneignung. Das Prinzip wäre dann tatsächlich mal an den eigentlichen Interessen der Menschen ausgerichtet, wenn es auch ein dynamisches/offenes System mit Entwicklungspotential, also qualitativen Verbesserungsmöglichkeiten sein sollte.
So müsste wohl u.a. Amazon enteignet und die Strukturen dieses Konzerns für die neuen gesellschaftlichen Ziele verwendet werden. Klingt für mich zumindest wieder wie eine Utopie (Fiktion lasse ich mal weg).
tja, an der verfügungs-macht über investitions-mittel
können auch die besten versuche scheitern:
https://de.wikipedia.org/wiki/Einheit_von_Wirtschafts-_und_Sozialpolitik.
fiktion? utopie? :
statt wirtschafts-minister und privat-investoren-vorständen:
ein räte-parlament von konsumenten und unmittelbaren
produzenten, die partizipativ die sozialen und ökologischen
ziele vor-planen?
s.o.
wie hätten zwischen-schritte auszusehen?
Einen guten Morgen dem Mann, für den die DDR ein Wikipedia-Eintrag ist.
Da ich ja schrieb "Grundbedingung" - nicht einzige oder hinreichende Bedingung - sind wir eigentlich fast der selben Meinung. Amazon und Deutsche Wohnen enteignen wären Schritte zur grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Was die mentalen Voraussetzungen für diesen Wandel angeht, bin ich wohl etwas optimistischer als du. Überall auf der Welt funktionieren z.B. Genossenschafte. Was u.a. heißt: Die Leute sind als Produzenten nicht nur am Profit, sondern vor allem am Gegenstand ihrer Arbeit interessiert. Was wiederum heißt: Es reicht denen, vom Gewinn soviel zu nehmen, dass ein angenehmes Leben auf der kulturellen (in einem weiten Sinne) Höhe der Zeit möglich ist. Alles darüber hinaus wird re-investiert. Mit dem Heuschrecken-Kapitalismus Aktiengesellschaften hat das schon nur noch wenig zu tun. Die Mentalität, dass es egal ist, womit genau (Maximal-) Profit gemacht wird und demzufolge die Leute, die die Lohnarbeit dafür machen, auch nur eben an dem Lohn interessiert sind, ist überwindbar. Das ist keine "Fiktion", sondern empirisch nachweisbar.
Es hat in der Geschichte immer diese evolutionären (u.a. auch mentalen) Veränderungen gegeben. Sonst hätten aus zünftig gebundenen und abgesicherten Handwerkern keine freien Privatunternehmer werden können.
guten morgen.
sonst aber schon falsch:
es gibt mehrere wiki-artikel zum leben in der DDR.
und es gibt zudem eine fülle von neueren tv-dokus,
die auch damals dort gelebt habenden
licht in ihre black-box bringen können.
und: die DDR war kein china für mich...
aber zugegeben:
ich hab die DDR nicht aus allen
möglichen perspektiven erlebt,
wie mancher vorgibt.
So könnte man es angehen, aber vermutlich wird sich daraus auch wieder eine Distanz entwickeln zwischen der passiven Mehrheit und denjenigen, die aus den verschiedensten Gründen die Fäden in der Hand behalten (wollen). Denn wie ich die Menschen einschätze, ist aktive Demokratie/Engagement/Selbstmotivation/Interesse/Wille und ständiges Lernen (aus einem intrinsischen Impuls heraus), der nicht aus externen Vorgaben resultiert, eher selten ausgeprägt.
Zudem bezweifle ich, dass es vorher einen Reset gibt, sodass die Startbedingungen (Vermögen/Einfluss usw.) sich nicht auf gleichem Niveau befinden werden.
Selbst wenn es diesen 'Sprung' geben würde, wäre dann zumindest ein Minimum an Aktivität zur Kontrolle derjenigen notwendig, die im Auftrag der passiven Mehrheit die Beauftragten/Planer/Umsetzer sind. Und das wiederum bedarf hinreichendes Wissen, um das checken zu können.
Es müsste sich also ziemlich viel synchron bewegen, damit es gelingen kann.
Solche Träume gab es bereits in den 1960/70er Jahren. Damals war Kybernetik, also Steuerungs- und Regelungstechnik, der große Aufhänger. Die Anarchie des Marktes hat sich durchgesetzt. Warum sollte es nun anders kommen?
Im Zuge des kommenden weltweiten fossilen ‚Power Down‘ werden sich angepasste Technologien mit regenerativen Energiequellen durchsetzen.
Dabei werden wir uns auch das, was einmal war, vor der Industrialisierung, noch einmal genauer ansehen müssen.
Während viele Lebensbereiche von der Ideologie des ‚der Markt regelt das‘ abgekoppelt werden, gewinnt globales und lokales Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagement (Information, Communication, Knowledge Management, ICKM) sehr dynamisch an Bedeutung.
Ressourcen für diese Entwicklung müssen gemeinschaftlich identifiziert, gesichert und genutzt werden, vor allem für Anwendung und Nutztung auf der Ebene der Kommune.
Das ist in einem privatwirtschaftlich ausgerichteten Produktionssystem mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen kaum möglich.
Es ist auch zu erwarten, dass militärische Nutzung versuchen wird, vorrangig Zugriff auf knapper werdende Ressourcen zu behalten.
In ICKM liegt eine zentrale Stütz- und Begleitfunktion der langfristigen Anpassung an die Klimakrise und zur zukunftsfähigen ‚Climate Resilience‘ von Homo Sapiens.
Das ist eine strategisch-politische Priorität für politisches Handeln.