Amerikas Geheimplan

Kriegspsychologie Der Mülheimer Theaterregisseur Roberto Ciulli über den Krieg gegen den Irak

FREITAG: Herr Ciulli, Sie waren jahrelang mit dem »Theater an der Ruhr« im Irak und Iran auf Tournee. Was kann man jetzt noch gegen den Krieg tun?

ROBERTO CIULLI: Ich war gerade in Marokko, Tunesien und Algerien. Dort traf ich Hédi Khélil, einen arabischen Intellektuellen, der sich in seinem Buch De l´extranéité à l´alterité mit Jean Genet befasst hat. Er ist jetzt nach Bagdad geflogen.

Mitten im Krieg?

Ein selbstbewusster wie medienbewusster Mensch kann sich nur dafür entscheiden. Was bleibt uns jetzt noch, wo wir das Gefühl von Ohnmacht verspüren? Es stellt sich ja die Frage, wie man diesen Wahnsinn des Krieges stoppt, ohne naiv zu sein. Die einzige Möglichkeit, die ich wirklich sehe, ist, dass zwei Millionen Menschen nach Bagdad gehen. Natürlich ist das naiv, denn es wird nicht passieren. Klar, es gab einige, die das getan haben, aber viel zu wenige. Sie verließen noch vor dem ersten Angriff das Land, weil sie nur eine Minderheit waren. Grundsätzlich ist die Frage, warum wir nicht den Mut dazu haben, das Recht des Menschen auf Leben im Irak zu verteidigen. Das Problem ist, dass wir alle, die wir in der westlichen Welt leben, theoretisch auf die Verteidigung universeller Prinzipien programmiert sind und uns dafür verbal engagieren.

Wie sehen Sie die Hintergründe des Krieges gegen den Irak?

Nun was ist da eigentlich passiert? Erst einmal haben wir akzeptiert, was da vor sich gegangen ist, wenn auch einige anfangen, aufmerksamer hinzuschauen und hinzuhören. Vieles, was sich da in Verbindung mit dem 11. September ereignet hat, ist ja höchst seltsam. Das fängt mit den Angriffen auf Afghanistan an. Man weiß, dass der amerikanische Geheimdienst von der Möglichkeit eines Anschlags wusste. Dazu wurden Bücher publiziert. Seltsam waren die verspäteten Reaktionen auf die Flugzeugangriffe auf das World Trade Center und das Pentagon. Dazu gibt es eine Theorie, welche die gesamte Reaktion in Frage stellt. Wir wissen von der Existenz eines strategischen Papiers, und wir wissen auch, dass es nicht nur um das Öl geht. Man möchte offensichtlich, dass wir denken, es ginge darum, damit alle vernünftigen Menschen im Westen eines Tages es richtig finden, dass für die Energie und damit für die Sicherung unserer Zukunft gekämpft wird. Wenn sogar das ZDF über die früheren Tätigkeiten von Bush, Rumsfeld Co berichtet, so neige ich zu der Ansicht, diese Informationen werden bewusst gestreut. Wenn man es nicht wollte, wüsste man es auch zu verhindern. So werden wir getäuscht im Glauben, bestens informiert zu sein. Ich gehe soweit, zu sagen, dass man uns weiß machen will, dass es nicht primär um Menschenrechte geht, sondern um das Öl. Man liefert uns eine plausible Erklärung, die den eigentlichen Grund für die grausame amerikanische Invasion verdeckt. Das strategische Papier, von dem ich spreche, ist viel älter als der Krieg. Es stammt aus der Zeit, da Bushs Vater Präsident der USA war. Darin geht es um einen geopolitischen Plan der amerikanischen Supermacht für die nächsten 20 Jahre, bis sie sich mit einer neuen Situation konfrontiert sieht. Dieser sieht vor, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion strategisch wichtigen Boden einzunehmen, zudem die Schaffung von Präzedenzfällen im Namen der Menschenrechte. Im Grunde ist das ein Beispiel für eine Art Manipulation seitens einer westlichen Demokratie amerikanischen Stils. Man tut so, als intervenierte man im Namen der Menschenrechte. Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes.

Worum?

Der Krieg gegen den Terrorismus ist eine Konzeption. Sie ermöglicht es, überall, und insbesondere in einem bestimmten Teil der Welt, einzugreifen. Das zweite Land, das auf der Abschussliste steht, ist Iran. Amerika braucht nur zu deklarieren, dort hielten sich Terroristen versteckt, das genügt bereits als Grund für den nächsten Krieg. Eine Supermacht, die sich das Recht nimmt, Krieg im Namen dieser Prinzipien zu führen, kann, wann immer sie will, ein Land angreifen. Dieser Strategie stand das Alte Europa im Wege. Genauer gesagt, der Gedanke von Immanuel Kant, wonach wir ein Minimum an Rechten etablieren müssen, an das sich alle gebunden fühlen. Nicht nur die Schwachen, auch die Mächtigen. Genau dieser Gedanke stellte ein Hindernis dar. Wenn da nicht die Polarisierung zweier Kräfte, hier das Alte Europa, dort Amerika, wäre, die sich gegenseitig blockieren, wäre die Geschichte der UNO weitergegangen. Im Grunde sahen die Amerikaner auch das bereits voraus. Es existiert ein Papier, das von der Annahme ausgeht, China werde in zehn Jahren als Großmacht so stark sein, dass es den USA die Stirn bietet. Die Amerikaner wissen also, dass ihnen noch zehn Jahre bleiben, um strategischen Boden zu gewinnen. Diese Zeit wollen sie, egal ob es gefällt oder nicht, ganz massiv und frech, wie ich finde, nutzen, um sich auf die Zeit vorzubereiten, da China Großmacht wird.

Was läuft da psychologisch ab?

Natürlich lässt sich da auch freudianisch deuten, wenn man sich die familiäre Situation vor Augen führt. Das Ganze ist auch theaterreif lesbar als Familiengeschichte eines missratenen Sohns des Präsidenten der Vereinigten Staaten, aus dem nichts geworden ist, der als Finanzmann versagte, Alkoholiker war und dank der Hilfe eines christlich fundamentalistischen Predigers geheilt wurde. Dieser Versager erweist sich als Marionette bestimmter Interessen. Er will es besser machen als der Vater. Das heißt, er versucht, diesen zu übertreffen. Es ist unterhaltsam, diesen symbolischen Vatermord so zu lesen. Diese Interpretation ist aber belanglos, weil dahinter etwas ganz anderes steht, nämlich das Imperium, das einzige Weltmacht sein und bleiben will.

Geht es nur darum, ein Gegengewicht zur werdenden Großmacht China zu schaffen?

Nein, aber da spielt die Angst, besser die Projektion eine große Rolle, wonach China Großmacht wird. Diese Möglichkeit einer Konfrontation mit China wird vorausgesehen. Deshalb will Amerika in Zentralasien und Arabien diese Form der Präsenz. Psychologisch geht es dieser Großmacht darum, sich militärisch in Asien und Arabien massiv zu zeigen, statt sich zurückzuhalten.

Wie bewertet die arabische Welt den militärischen Schlag gegen die irakische Hauptstadt?

Bagdad ist ein großes Symbol der arabischen Welt. Sie ist die Brücke zu ihrem universellen kulturellen Beitrag. Dort entstand die größte Bibliothek. Dort wurden die Griechen ins Arabische übersetzt. Für die Araber hat Bagdad eine symbolische Bedeutung, weshalb sie die Angriffe darauf auch anders werten. Diese empfinden sie als eine Erniedrigung. So, wie Rom Zentrum des Christentums ist, so ist Bagdad das Zentrum der arabischen Kultur und ihre Verbindung zur Welt.

Für die Amerikaner ist der Krieg gegen Bagdad aber bestimmt keine symbolische Handlung.

Nein, sie denken nur an die Entmachtung von Saddam Hussein. Es war völlig falsch, diesen Menschen zu verteufeln. Was im Irak passiert, lässt sich nicht mit dem alleinigen Hinweis auf die Angst aller vor dem Regime in Bagdad erklären. Täglich wächst in den arabischen Ländern die Zahl derer, die auf der Seite des Iraks kämpfen wollen. Saddam Hussein ist der einzige, der es gewagt hat, auf Israel zu schießen. Das ganze Ungleichgewicht, das zwischen Israel und den arabischen Ländern existiert, ist das Problem. Warum können die Israelis jeden Tag in die palästinensischen Gebiete einmarschieren und Vergeltungsschläge verüben? Natürlich haben sie das Problem mit dem Terrorismus. Wenn morgen Selbstmörder mit Sprengsätzen um den Bauch zu uns kommen, was dann? Bombardieren wir Marrakesch, nur weil wir hören, dass der Selbstmordattentäter in einem Kaufhaus in Düsseldorf ein Marokkaner war? Was ist das für eine wahnwitzige Strategie? Wenn man so handelt, gerät man in eine endlose Gewaltspirale. Es ist wunderbar, dass der ehemalige britische Außenminister Cook Blair dazu auffordert, die Soldaten sofort zurück zu holen.

Inwieweit spiegeln sich Ihre eigenen Erfahrungen vor Ort in Ihrer Beurteilung der Situation wider?

Ich habe festgestellt, dass die im Irak lebenden Menschen aufgrund einer falschen Entscheidung zugunsten eines zehnjährigen Boykotts 50 Jahre zurückverdammt worden sind. Das ist das Schlimmste, was man einer Bevölkerung antun kann. Sowohl bezogen auf die Kultur einer Stadt als auch auf die Lebensqualität. Wer wie wir, also das Theater an der Ruhr, dort gewesen ist, hat die schrecklichen Konsequenzen des Boykotts miterlebt. Da haben wir alle, auch die Europäer, etwas unwiderruflich falsch gemacht. Denn ein Boykott trifft immer nur die Bevölkerung und in dem Fall eine ganze Generation. Den jungen Menschen wurden zehn Jahre ihres Lebens geraubt. Ihnen wurde die Chance genommen, sich zu bilden. Das ist die Tragik. Beides, zehn Jahre Boykott und Krieg, muss man im Zusammenhang sehen. Die Situation in diesem Land vor dem ersten Golfkrieg war eine ganz andere. Es gab dort eine Intelligenz. Gut funktionierende Universitäten. Und kulturelle Institutionen. Die Besten verließen ihr Land sofort. Das Gerede vom sauberen Krieg dank intelligenter Bomben ist absoluter Blödsinn. Wenn es möglich ist, wie behauptet wird, einen sauberen Krieg zu führen in James-Bond-Manier, so frage ich mich, warum es nicht funktioniert. Meine Antwort, weil man diesen Weg gar nicht gehen will. Es ist ja heute durchaus möglich, das Militär völlig aus dem Spiel zu halten. Militär und Kriege im 21. Jahrhundert sind der größte Unfug.

Wenn man Bush und Blair dabei beobachtet, wie sie mit Engelsgesichtern die Gerechtigkeit ihres Krieges als christliche Botschaft verkünden, fragt man sich, ob sie glauben, was sie sagen?

Natürlich ist der Boden dieses Denkens christlich fundamentalistisch. Bush gehört der in Amerika starken Richtung eines fundamentalistischen Christentums, also diesem Predigertum an. Er gibt sich jedenfalls als gottgläubigen Menschen. Darin unterscheidet er sich nicht groß von dem Fundamentalismus, den er bekämpft. Jemand wie Bush bezieht, glaube ich, seine ganze Kraft aus diesem Denken. Er ist davon überzeugt, auf der gerechten Seite zu stehen.

Wieso wirkt das so stark auf die amerikanische Bevölkerung?

Wirkt das wirklich so ungebrochen? Es ist schwierig zu sagen, wie es wirkt. Es gibt dort auch eine Opposition, die so klein nicht ist. Auch die Intelligenz ist dagegen. Nehmen Sie nur einen Schauspieler wie Dustin Hoffmann, er ist einer von Tausenden, also keine Ausnahme. Mir fällt dazu ein Paradox ein. Wir sahen das amerikanische Mädchen, eine Schwarze in irakischer Gefangenschaft, die völlig schockiert war. Sie ist eine der 90.000 alleinerziehenden jungen Mütter, die in der amerikanischen Armee dienen. Vor dem Hintergrund versteht man den verängstigten Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie ist sich ihrer Rolle als Soldatin nicht bewusst. Übrigens war Bushs letzte Rede vor dem Militär aufschlussreich. Wenn Sie schauen, vor wem er sprach, so haben sie es nur mit Immigranten zu tun. 37 Prozent kommen aus Guatemala, Mexiko, Südamerika. Unter den amerikanischen Offizieren haben nur zwölf einen Abschluss von Yale.

Was bedeutet das?

Die amerikanische Armee setzt sich wie die irakische aus armen Leuten zusammen. Es gibt keine Reichen in der amerikanischen Armee. Allenfalls eine Minderheit unter Offizieren und Generälen stammt aus besseren Verhältnissen. Vor fünfzehn Jahren gab es in Amerika ein Gesetz, wonach man sich mit 100 Dollar vom Dienst bei der Armee freikaufen kann. Ich erinnere eine Szene, die ich in Peru im Fernsehen sah. Da bekämpften sich auf der Autobahn um Lima die Armen der Gesellschaft mit Waffen, und ich fragte mich, was da los ist. Die Polizei stand dabei, ohne sich einzumischen. Den Ärmsten der Armen, die vor Lima in selbstgebauten Hütten leben, standen die noch Ärmeren gegenüber, die nicht einmal ein solches Dach über den Kopf haben. Die Polizei hetzte beide Gruppen aufeinander und schaute zu, weil die dort Angesiedelten die Stadt gegen jene verteidigen, die versuchen, sich dort niederzulassen. Auch Amerika schickt seine Armen als Soldaten in den Krieg, und sie kämpfen nun gegen die noch Ärmeren des Iraks.

Obwohl die Amerikaner den Krieg so bewusst vorausgeplant haben, haben sie die Situation offenbar falsch kalkuliert. Woher kommt der Rückhalt für Saddam Hussein im Irak?

Er basiert auf der Vergangenheit. Viele glauben, dass Saddam vieles noch besser gemacht hätte, wenn der Boykott ihn nicht daran gehindert hätte. Er hätte das Geld einsetzen können für die Zukunft der Kinder. Es ist denn auch kein Zufall, dass Saddam Bilder von täglich sterbenden Kindern zeigt. Er hat diese wie vieles auch ideologisch benutzt. Die Bevölkerung glaubt, dass die sozialen Missstände durch den Boykott verursacht wurden. Ich erinnere gerade die fürchterlichen Berichte über Hunger in Bagdad. Das erste, was ich erfuhr, als ich dort ankam, war, dass Hussein es gleichwohl gelungen war, das Problem des Hungers zu lösen. Es gab keine geplünderten Geschäfte. Selbst diejenigen, die sich als Kritiker des Regimes von Saddam verstehen, bestätigten, dass da sehr gut organisiert worden war. Also, vieles stellt sich ganz anders als angenommen dar, wenn man vor Ort ist. Dass die Hoffnung auf den triumphalen Einmarsch so enttäuscht wurde, liegt daran, dass der Hass gegen die reichen Amerikaner groß ist.

Fehlt uns ein Verständnis der arabischen Kultur?

Wir haben uns nicht genügend mit der zwischen Okzident und Orient in den letzten Jahren geschriebenen Geschichte beschäftigt. Wir wissen zu wenig über die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber. Der Islam, der andere Teil der Welt hat das, was in unseren Geschichtsbüchern steht, spiegelverkehrt erlebt.

Das Gespräch führte Heinz-Norbert Jocks

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