Amigos

Hochwasser Den suspendierten Dresdner Oberbürgermeister holt die Flut ein

In diesem Saal des Dresdner Landgerichtes hat man schon einmal eine Männerfreundschaft zerbrechen sehen. Oder erwies sich die zwischen dem früheren SED-Bezirkschef Hans Modrow und dem damaligen Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer erst hier als ein Zweckbündnis? So zu beobachten bei den Wahlfälschungsprozessen 1991 und 1996.

16 Jahre nach dem Ende der Ära Berghofer treffen Untreuevorwürfe seinen zweiten Amtsnachfolger Ingolf Roßberg (FDP). Der jetzt vor Gericht auf dessen Kosten seine Haut zu retten versucht, ist Rainer Sehm, ein vertrauter Unternehmer. Das Gericht hat ihm eine Höchststrafe von zwei Bewährungsjahren in Aussicht gestellt, wenn er ein Geständnis ablegt. Und Sehm gestand gleich am ersten Verhandlungstag vor einer Woche. Der seit Anfang Mai vom Dienst suspendierte Dresdner OB Roßberg, von dem man sonst eher nassforsche Auftritte gewöhnt ist, wankt seither mit tiefgeränderten Augen am Arm seiner Frau zum Gerichtssaal. Vom Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats muss er sich gar anhören, er erzähle "dummes Zeug". Dem nunmehr schweigenden Roßberg drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Es geht im Kern um einen lukrativen Anstellungsvertrag als Koordinator für die Hilfe nach der Hochwasserkatastrophe 2002, den Roßberg seinem Freund zugeschanzt haben soll. Die justiziablen Vorgänge haben aber ein ganz legales Vorspiel. Als sich der damals gerade 33-jährige Stadtentwicklungsdezernent Roßberg 1994 schon einmal um den Oberbürgermeisterposten in Dresden bewarb und scheiterte, empfahl ihn der erfolgreiche Unternehmer Sehm im benachbarten Radebeul als zweiten Beigeordneten. Sieben Jahre später konnte der Liberale Roßberg mit Hilfe eines breiten Mitte-Links-Bündnisses im zweiten Anlauf Herbert Wagner von der CDU die Amtskette im Dresdner Rathaus abluchsen. Bei Sehm bedankte er sich 2001 mit dem Pöstchen eines Beraters in Wirtschaftsfragen.

Finanziell relevant wurde die Geschichte der Amigos, als nach dem Hochwasser ein Planer und Koordinator für die hunderte von Millionen Fluthilfe gesucht wurde, die der Stadt zustanden. 2.600 Euro monatlich aus der Stadtkasse erschienen dafür nicht gerade opulent, zumal das meiste davon der Insolvenzverwalter der zuvor pleite gegangenen Sehmschen Speditionsfirma schluckte. Fest steht bislang nur, dass extra für Sehm eine Ein-Personen-Tarnfirma gegründet wurde, mit der die Stadt einen Vertrag über 8.100 Euro netto abschloss. Am Stadtrat und auch am Insolvenzverwalter vorbei. Wie dieser Vertrag zustande kam, ist beim aktuellen Verhandlungsstand die spannendste Frage. Die Staatsanwaltschaft unterstellt in ihrer Anklage jedenfalls Beihilfe zum vorsätzlichen Bankrott, Untreue und Vorteilsnahme.

Der Prozess erregt auch deshalb ein breites Medieninteresse, weil hier erstmals ein ostdeutscher Oberbürgermeister auf die Anklagebank musste. Im Westen nichts Neues. Doch auch der Osten hat bei der Vermengung privater und öffentlicher Interessen das Westniveau schon fast erreicht. Dass die Affäre Roßberg-Sehm ans Tageslicht kam, ist zunächst ein Verdienst des sehr aktiven damaligen sächsischen Datenschutzbeauftragten Thomas Giesen. Zur Aufklärung trug wesentlich auch die Antikorruptionseinheit INES bei, eine sächsische Besonderheit. Allein die Tatsache ihrer Gründung 2004 sagt viel über die Ausbreitung des kommunalen Filzes aus, wie er durch die mehr als ein Jahrzehnt anhaltende CDU-Hegemonie begünstigt wurde.

Doch als im Vorjahr auch der ehemalige Wirtschaftsminister Kajo Schommer ins Visier der Ermittler geriet, hatte ihr Eifer wohl eine unsichtbare Grenze überschritten. INES selbst geriet in den Verdacht des Geheimnisverrats an einen Journalisten. INES-Chef Claus Bogner wurde Anfang dieses Jahres versetzt. Der Linkspartei-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Klaus Bartl beklagt, seitdem würden heikle Verfahren regelrecht verschleppt, die regionalen Staatsanwaltschaften fühlten sich ausgebremst. Für den SPD-Chefaufklärer Karl Nolle, der sich nur mühsam der seit der Landtagswahl 2004 geltenden Disziplin der CDU-SPD-Koalition unterwerfen kann, war die geräuschvolle Etablierung von INES nur eine von vornherein "nicht ehrlich gemeinte Wahlkampfaktion" von Ministerpräsident Milbradt.

Die Zähne von INES seien schärfer geworden, behauptet hingegen Staatsanwalt Christian Avenarius, neuer Sprecher der Antikorruptionseinheit. "Da werden sich manche noch wundern." Der Beweis dafür steht noch aus. Die Ermittlungen im Fall Roßberg fanden jedenfalls noch in der Ära Bogner statt.


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