FAS Wo verläuft die Grenze zwischen progressiver Selbstkritik und rechter Polemik? Eine Auseinandersetzung mit der Kolumne einer linken Autorin in einer konservativen Zeitung
Es macht einen Unterschied, ob Ronya Othmann ihre Thesen in einem feministischen Magazin veröffentlicht – oder eben in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“
Foto: Imago/Schöning
Ronya Othmann ist eine junge und talentierte Kolumnistin und Schriftstellerin. Ihr Debütroman Die Sommer, der ihre Besuche im jesidischen Dorf ihrer Vorfahren in Kurdistan behandelt, wurde vielfach gelobt. In ihren journalistischen Texten, die bislang vor allem in Publikationen des progressiven Lagers erschienen, etwa hier im Freitag oder in der taz, argumentiert Othmann vor allem gegen Rassismus, Islamismus und die Unterdrückung der Kurd*innen. In kurzen Sätzen versucht Othmann komplexe Themen zu erklären, damit sie jede*r versteht. Doch dabei verfällt sie leider allzuoft in anti-linke Polemiken.
Um zu verstehen, wie das möglich ist, bräuchte man vielleicht einen längeren Atem beim Schreiben. Denn was Othmann stets sehr unkonkret „den Linken
einen längeren Atem beim Schreiben. Denn was Othmann stets sehr unkonkret „den Linken“, „den intersektionellen Feminist*innen“ oder den Vertreter*innen „der Identitätspolitik“ vorwirft, ist nicht so einfach zu belegen oder zurückzuweisen – die Schuld lautet: das Schweigen. Ein Schweigen gegenüber Rassismus, Rechtsextremismus oder Sexismus, wenn er nicht von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft kommt, sondern bei migrantischen Communities, vor allem aus dem Nahen Osten, zu beobachten ist. Dieser linke „Schweigereflex“ sei ein Zeichnen von doppelten Standards – und diese wiederum sollen, nach Othmann, die Errungenschaften des progressiven Lagers zerstören.Diese Kritik übt Othmann seit Neuestem auch in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. In ihrer neuen Kolumne, die den Namen Import-Export trägt, kritisierte sie den Umgang mit dem Thema Zwangsehe, oder besser gesagt, das Fehlen eines Umgangs damit durch intersektionelle Feminist*innen. Namen, Institutionen oder Zeitschriften dieser grob definierten Gruppe wurden nicht benannt – auch wer genau die altmodischen Feminist*innen seien, für die Solidarität mit den Opfern dieses Verbrechens eine Herzensangelegenheit sei, wurde nicht detailliert. Das Thema Zwangsehe soll dennoch die feministische Bewegung in der Bundesrepublik spalten. Die Grenzen seien durch Schweigen und Nicht-Schweigen markiert und auf der einen Seite stünden die selbsternannten Antirassist*innen, die ihren Mund halten, aus unberechtigter Sorge, Ressentiments über die vermeintliche Rückständigkeit fremder Kulturen zu bedienen.Nach dieser einfachen Lagerbildung kommt Othmann zur Beschreibung der Gewalt, die jungen Menschen angetan wird, die zu einer Ehe gezwungen werden. Feinfühlig erzählt sie vom Schicksal eines Mädchens, das in Deutschland aufgewachsen ist, Abitur machte und eines Tages Journalistin werden wollte, aber dennoch von ihrer ezidischen Familie unter massivem Druck zwangsverheiratet wurde. Dabei verrät Othmann, dass das Thema, das durch Politik und Medien in Deutschland oft als muslimisch eingerahmt wird, in der Tat auch mehrere nicht-muslimische Religionsgemeinschaften betrifft. Eine Erkenntnis, die leider zu kurz kommt. Weiter führt Othmann aus, wie Armut und die Unzugänglichkeit von Beratungs- und Bildungsangeboten Kinder- und Zwangsehen begünstigen. Nicht nur in Deutschland, wo 74 Verdachtsfälle im Jahr 2019 polizeilich erfasst wurden, sondern weltweit. Neben solchen strukturellen Problemen wird besonderes die aktive oder passive Unterstützung innerhalb der eng zusammengerückten Gemeinden als weiterer Faktor angeprangert.Wie befremdlich wirkt es doch, dass Othmann am Ende ihrer ausführlichen Schilderung dieses empörenden Sachverhalts, den sie zu Recht als institutionalisierte Form der Vergewaltigung anklagt, die wirklichen Täter*innen ausgerechnet im Lager der intersektionellen Feminist*innen ausmachen will. Erst durch das angebliche Wegsehen und Ignorieren durch diese aktivistische Szene sei das Ganze möglich gewesen, lautet ihr vernichtendes Urteil: „Zu schweigen, aus Angst rassistische Ressentiments zu bedienen, geht auf Kosten der Betroffenen“.Angesichts der tatsächlichen politischen Auseinandersetzung um das Verbot von Zwangsehen erscheint diese Feststellung mehr als fragwürdig. Als der Bundestag im Jahr 2010 Zwangsverheiratungen zur Straftat erklären wollte, wurde die Initiative von feministischen Organisationen und linken Parteien einstimmig begrüßt. Damals waren es aber nicht linke Ängste, sondern antimigrantische Ressentiments, die auf Kosten der Betroffenen gegangen waren. Denn die Bundesregierung von CDU/CSU und FDP konnte es nicht dabei belassen, nur gegen das Verbrechen der Zwangsehe vorzugehen. Durch die Hintertür wurde auch die Ehebestandszeit zur Erlangung eines unabhängigen Aufenthaltstitels von zwei auf drei Jahre erhöht. Damit sollten auch angebliche Scheinehen erschwert werden. Die feministische Organisation Terre des Femmes, die über jeden Verdacht erhaben ist, sich als intersektionell zu bezeichnen, kritisierte den damaligen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zwangsheirat, der gleichzeitig die Abhängigkeit vom Ehepartner um ein weiteres Jahr verlängert, als „blanken Hohn“. In einem offenen Brief an Angela Merkel, warnten sie gemeinsam mit zahlreichen anderen feministischen Initiativen, dass „in einer Gewaltbeziehung die Gesetzesänderung ein weiteres Jahr Ehehölle für die Frauen bedeuten“ würde. Umsonst.Mal FAS-Lesende politisieren?Aber man muss nicht nur in die Geschichte eintauchen. Auch im Jetzt reicht ein Blick auf die dürftige Finanzierungslage im Bereich Gewaltprävention, Frauenhäuser und soziale Arbeit, um die Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit Zwangsehen politisch zu schärfen. Gegen diese mangelnde Finanzierung protestieren übrigens sehr viele linke und intersektionelle Feminist*innen. Wäre es nicht strategisch klüger gewesen, in einem Artikel für eine Zeitung wie die FAS, die so gern von Verfechter*innen der Schwarzen Null gelesen wird, lieber die verheerenden Auswirkungen des vorangeschrittenen Sozialabbaus auf Frauen und LGBT*-Jugendliche, besonderes aus migrantischen Communities, zu thematisiern? Oder man hätte zumindest eine Initiative wie die Berliner Kriseneinrichtung Papatya für migrantische Mädchen namentlich erwähnen können, damit die gutbetuchte Leser*innenschaft womöglich auf die Idee kommt, ihnen eine Spende vor Ostern zu überweisen. Das haben sie mehr als nötig.Aus ihrem Fokus für die Kolumne hat Othmann auch die vielen Anträge der AfD zum Thema Zwangsehe auf Bundes- und Landesebene ausgeklammert. Wenn von Angst vor Rassismus gesprochen wird, sollte auch besprochen werden, woher diese Angst kommt. So wollten die Rechtspopulist*innen neulich von der Bundesregierung wissen, wie „junge muslimische Mädchen vor Zwangsverheiratung“ geschützt werden, während ihre Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus „Zwangsverheiratungen mit der Rückständigkeit patriarchaler Gesellschaften“ erklärte, „die auf religiösen oder kulturellen Einflüssen fußt, die unserer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft wesensfremd sind“. Dass das Thema für Zwecke des Kulturkampfes und Islamfeindlichkeit missbraucht wird, steht außer Frage. Den Opfern von Zwangsehen schadet diese Instrumentalisierung womöglich doch mehr als die „De-Thematisierung“ von Zwangsehen bei der nächsten akademischen Konferenz zur Intersektionalität.Ja, vielleicht werde ich jetzt selbst zynisch. Und ich glaube, ich mache es mir auch zu leicht, nur darüber zu sprechen, wovon Othmann in ihrer Kolumne geschwiegen hat, denn in einem Punkt hat sie doch Recht. Es gibt Themen und Situationen, in denen Linke lieber erstmal schweigen. Im schlechtesten Fall ist dieses Schweigen ein Zeichnen von Doppelmoral, oft vielleicht eines der Überforderung, im besten Fall aber kann es sich auch um ein gut überlegtes Schweigen handeln, das mit dem Sprechenlassen von anderen Stimmen verbunden ist. Es kann dabei weniger um Scham oder Angst gehen, selbst als Rassist*in oder Sexist*in zu gelten, wenn man „die Falschen“ kritisiert, als um die Frage, was mein Sprechen in welcher Situation bewirken kann, ob es denjenigen, denen ich beistehen will, eher schadet oder hilft oder ob es nur zur Selbstgefälligkeit führt. Denn das ist die Bedeutung von Solidarität.Dass Othmann mit ihrem erzählerischen Können die Geschichten jener Menschen öffentlich zur Geltung bringt, die von Zwangsehen betroffen sind, ist Ausdruck genau dieser feministischen Solidarität. Erfreulich auch, dass es ihr möglich gewesen ist, sie in einer Publikation zu platzieren, die sich gegenüber solchen Stimmen meistens verschlossen zeigt. Sicherlich wären ihre Beiträge auch in den meisten feministischen und linken Magazinen mehr als willkommen.Sie erscheinen aber nun einmal in der FAS. Ausgerechnet dort dem Lager der „Intersektionalist*innen“ die Schuld an der Situation von Frauen in Zwangsehen zuzuweisen, ruft das ungute Gefühl hervor, dass diese wichtigen Belange für etwas anderes instrumentalisiert werden. Ihr dringlicher Appell an „alle Feminist*innen“ sich „bei all den Grabenkämpfen und Begriffsklaubereien“ dem „Kerngeschäft des Feminismus“ zuzuwenden, hat mehr als ein Geschmäckle. Nicht unähnlich argumentierte auch die Berliner AfD in ihrem Antrag gegen Zwangsehe, in dem sie den Fokus der gesellschaftlichen Debatte zur Frauen-Gleichstellung „auf geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden“ bemängelte, während „weitaus gravierendere Frauenrechte täglich mit Füßen getreten“ werden. Das bedeutet keinesfalls, dass sich Othmann einer rechten Argumentation bedient. Jedoch erscheint ihre Kolumne inmitten einer wiederbelebten feuilletonistischen Kriegskampagne gegen eine junge Generation von Aktivist*innen, die Rassismus, Transfeindlichkeit und Homophobie auf die Tagesordnung setzen, und dieser Kontext ist nicht wegzudenken. Wird hier nicht vielmehr ein Brechen des Schweigens inszeniert, um die ganze Debatte um „Begriffsklaubereien“ zum Schweigen zu bringen? Eine Antwort darauf haben bestimmt die Herausgeber der FAS (nein, ohne Sternchen!). Denn das ist ihr Kerngeschäft.
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