An der Realität vorbei

Diskriminierung Ein Gericht bestätigt zwar, dass eine Arbeitnehmerin nach ihrer Elternzeit diskriminiert wurde, doch der Urteilsspruch setzt diese Erkenntnis nicht um

Das Antidiskriminierungsgesetz sollte eigentlich Menschen zu ihrem Recht verhelfen, die aufgrund bestimmter Merkmale gegenüber anderen benachteiligt werden. Doch in seiner konkreten Anwendung zeigt sich jetzt eine paradoxe Situation, die bezeichnend sein könnte für Prozesse dieser Art.

Zum ersten Mal hat eine Arbeitnehmerin das noch relativ neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) prominent zur Anwendung gebracht: Sule Eisele, eine deutsche Arbeitnehmerin türkischer Herkunft, hat vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden geklagt, weil sie nach einer Babypause an einer schlechter dotierten Stelle im Unternehmen eingesetzt wurde. Sie erhielt einen Arbeitsbereich, der wesentlich weniger Provision ermöglichte. Deshalb warf sie ihrem Arbeitgeber, der R+V-Versicherung, Diskriminierung aufgrund ihrer Mutterschaft und damit ihres Geschlechts sowie aufgrund der ethnischen Herkunft vor und forderte eine ungewohnt hohe finanzielle Entschädigung von fast 500.000 Euro. Diese Summe ist in etwa die errechnete Differenz gegenüber der höheren Provision ihrer alten Stelle, hochgerechnet bis ins Rentenalter.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist ernüchternd: Lediglich drei Monatsgehälter in Höhe von knapp 11.000 Euro wurden der Klägerin zugebilligt. Der Richter hat lediglich anerkannt, dass die Versetzung nicht rechtens war und ordnete in seinem Urteilsspruch an, dass diese rückgängig gemacht wird. Damit begründete er gleichzeitig die Hinfälligkeit des hohen Schadenersatzes. Aber kann Frau Eisele wirklich auf ihre alte Stelle zurückkehren?
Die richterliche Anordnung ist rein theoretischer Natur. Es ist absurd: Denn einerseits bestätigt der Richter die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, indem er die Versicherung verpflichtet, Frau Eisele in ihrer alten Position einzusetzen. Andererseits geht in den meisten Fällen ein solches Urteil an der Realität vorbei. Denn durch die Auseinandersetzungen und den Prozess ist das Verhältnis zwischen beiden Parteien zerrüttet. Sie begegneten sich auch nicht auf Augenhöhe: Den Kürzeren zieht nun die Klägerin, Frau Eisele ist abhängig von dem Unternehmen, letzteres aber nicht von ihr. Die Versicherung hat höchstens einen Ruf zu verlieren, bei Frau Eisele geht es letztlich um den Job. Sie ist mit dem Prozess ein hohes Risiko eingegangen, denn ein Verfahren dieser Art erschwert es einem Arbeitnehmer, in einem Betrieb überhaupt weiterbeschäftigt zu sein. Aus diesem Grund wäre eine hohe Schadenersatzsumme gerechtfertigt, weil sie gleichzeitig eine Funktion als Abfindung besäße. Wenn das Gleichbehandlungsgesetz zu solchen Urteilen führt, dann ist es das Papier nicht wert, auf dem es verfasst ist. Es macht aber eher den Anschein, als sei es nicht wirklich angewandt worden. Dem Urteil ist anzumerken, dass deutsche Gerichte sich offenbar noch schwer tun mit dem AGG. Einen Urteilsspruch wie diesen hätte jedes x-beliebige Arbeitsgericht auch ohne Antidiskriminierungsgesetz fällen können. Da hat es sich ein Richter etwas zu leicht gemacht.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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