Die älteste deutsche Neonazipartei hegt neue Wahlhoffnungen. Am 17. September glaubt die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einziehen zu können. "Sieben plus X", verspricht Stefan Köster, NPD-Landesvorsitzender und Landtagskandidat, nicht ohne Grund. Zwischen Elbe und Ostsee scheint die neonazistische Szene in bestimmten Regionen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
In dem kleinen Städtchen Lübtheen ist Köster ein bekannter Mann. Der 33-Jährige lebt im nahen Paetow mit Frau und Kind im neuen Eigenheim. Um nach Lübtheen zu kommen, einem Ort mit etwa 5.000 Einwohnern, fährt man von der Autobahn 24 Hamburg-Berlin ab. Auf dem Weg wechseln alte Baumalleen mit frischen Feldern. Marode Plattenbauten oder eingefallene Werkhallen sind nicht zu sehen. Die "Griese Gegend" zeigt sich im Sommer von ihrer besten Seite, als grünes Kleinod. Hohe Arbeitslosigkeit besteht in dieser mecklenburgischen Region nicht. Rote Backsteinhäuser bestimmen das Stadtbild. Die Fußwege und Vorgärten sind sauber. Mit knapper Mehrheit regiert Ute Lindenau von der SPD den Stadtrat. Eine energische Frau, die - wie es auf dem Land gern heißt - "ihren Mann steht". Bei strahlendem Sonnenschein richtete die NPD am 18. Juni mitten in diesem Städtchen ihre Wahlauftaktveranstaltung aus. Auf dem Lindenplatz genossen die Besucher Bier und Bratwurst, Kaffee und Kuchen. Es war ein reges Kommen und Gehen. "Ich wollte nur mal vorbeischauen", wird Köster von einer Frau mit Kinderwagen begrüßt. "Schön", erwidert er. Auch andere Anwohner sagen "Hallo". Die Taxiunternehmerin und der Tischler kommen gern vorbei, ebenso ein Gründungsmitglied der Bürgerinitiative "Braunkohle-Nein!". Zünftige Blasmusik von der Kapelle "Landsturm" schallt über den Platz. Auf einer kleinen Hüpfburg, an der Torwand oder dem Dosenwurfstand vergnügen sich die Kinder, manche brav gekleidet in Dirndl, Knickerbockern und mit Zöpfen oder Scheitel.
Seit jenem Sonntag wird die Bürgermeisterin oft gefragt, wie sie die Situation vor Ort einschätze. Sie bestätigt, dass mancherorts "freundliche und nachbarschaftliche Beziehungen zu den Rechten bestehen". Aber heute möchte sie nicht lange antworten, sie verweist nur auf das virtuelle Gästebuch der Stadt: "Schauen Sie sich das an, dann wissen Sie um die Stimmung." Überraschend viele Einträge finden sich auf der Website zu "den Nazis". Die wenigsten Beiträge rufen zu Aktionen gegen die NPD auf. "Die Aufregung über die NPD ist einfach lächerlich", schreibt I. Über diese Partei, meint R., "werden schamlose Behauptungen aufgestellt. Die NPD ist eine demokratische Partei." Ein "braunes Nest", betont H., sei "unsere Lindenstadt nicht". P. schimpft, die "Bürgermeisterin stimmt ja kräftig (gegen Rechts) mit ein".
Im realen Raum - auf der Hauptstraße - verstehen manche Passanten die "ganze Aufregung" nicht. "Ach, lassen sie mich in Ruhe", meint ein älterer Herr, und eine jüngere Dame sagt: "Der Köster ist nett." Dass das Amtsgericht Itzehoe den NPD-Funktionär vor kurzen wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung verurteilte, scheint die nachbarschaftlichen Beziehungen wenig zu belasten. Angesehen ist auch Udo Pastörs. An der Hauptsraße führt der NPD-Spitzenkandidat ein Juweliergeschäft. In der Auslage liegt kein billiger Kitsch. Aber die Uhren oder Ketten sind erschwinglich. Der 53-jährige Pastörs, der um ein höfliches Auftreten, meist in teurer Trachtenkleidung, bemüht ist, kennt seine Kundschaft. Und sie kennt ihn. "Im Laden redet er nicht von Politik", sagt ein Mann; er ist von Pastörs Höflichkeit beeindruckt. Am Schaufenster hängen oft Plakate, aber nicht von der NPD, sondern von "Braunkohle-Nein". Bis heute stellt sich die Bürgerinitiative, die gegen einen Kohleabbau in der Griesen Gegend ist, vor ihr Gründungsmitglied Pastörs.
Gut sieben Jahre ist es her, dass der ehemalige Bundeswehroffizier und gelernte Uhrmacher von Bad Zwsichenahn nach Lübtheen zog. In Briest bewohnt er mit seiner Frau ein weitläufiges Parkgelände. Auffällig viele bekannte Neonazis aus der NPD und den "Freien Kameradschaften" siedelten zuletzt im Landkreis Ludwigslust an. In Amholz wohnen die NPD-Landtagskandidaten Thomas Wulff und Michael Grewe mit Familie. In ihren Gärten feiern sie Sonnenwendfeiern mit Kameraden. Im nahen Laupin lebt der verurteilte Revisionist Erhard Kemper. Der Ludwigsluster NPD-Kreisvorsitzende Andreas Theißen hat sich mit Frau und fünf Kindern in Langenheide niedergelassen; immer wieder beobachten Anwohner dort völkische Lager mit Kindern. "Wenn wir die Möglichkeit haben", sagt Thomas Wulff, dann "versuchen wir zusammen in eine Region zu ziehen. Dort wirken wir zunehmend in die Bevölkerung hinein." Köster hebt deutlicher hervor: "Nationale Menschen sind in Lübtheen in der Mitte des Volkes." Durch das alltägliche Miteinander, auch über die Kinder, sei man sich näher gekommen: "Lübtheener pflegten freundschaftliche Kontakte zu der nationalen Opposition", meint Köster. Fast prahlerisch erklärt der sonst zurückhaltende Pastörs: "Hier wächst eine Kernmannschaft der nationalen Opposition zusammen mit den Menschen, die hier leben."
Auf der Straße grüßt er, ganz in der Rolle des pflichtbewussten Biedermanns, stets höflich. Er ist sich nicht zu fein, den Müll vor dem Schaufenster des Frisörladens aufzuheben. Beim Mittelstandsunternehmer-Stammtisch ist er gern gesehen. Geschätzt wird auch die Frau des NPD-Kreischefs: Sie ist an der Grundschule Elternratsvorsitzende der Klasse 3A. Eine eigene Kinderkrabbelgruppe leitet sie außerdem.
Mittags geht Pastörs oft ins "Deutsche Haus", abends schaut er mal im "Bistro" vorbei. Im Laden des ehemaligen Wachschutz-Unternehmers und Türstehers Mario Baldauf schaut "die Jugend" rein. Auch die Jungs aus dem "Kraftsportverein Lübtheen" tun das, dem neben lokalen Neonaziskinheads auch Pastörs Schwiegersohn angehört. Beim Wahlauftakt der NPD stehen sie mit verschränkten Oberarmen und grimmiger Pose bereit.
Immerhin an die 400 Demonstranten zeigten an diesem Sonntag der NPD die "Rote Karte". "Es sind viel mehr hier, als wir erwartet haben", sagt Rotraut Reinicke vom Bündnis und gesteht: "Wir haben lange gezögert." Befürchtungen hatte auch Rolf Christiansen (SPD). Der Landrat des Kreises Ludwigslust sagt: "Die NPD hat ihre Strategie gewechselt. Sie erscheint freundlich und friedlich. Sie bringt sich in den Vereinen und Bürgerinitiativen ein." Ein Wandel, meint er, der sehr spät wahrgenommen wurde.
Vor Monaten warnten schon in seltener Eintracht Verfassungsschutz, Wissenschaft und Initiativen davor, dass die Partei durch ein "bürgernahes Auftreten" den Wahlzuspruch steigern könnte. Die NPD gewinne an "Seriosität", hebt Landesinnenminister Gottfried Timm (SPD) hervor. Mit ihrer "Legal-Strategie", betont der Rechtsextremismusforscher Hubertus Buchstein von der Greifswalder Universität, könne die Partei vor Ort erfolgreich sein. "Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber rechtsextremen Inhalten wächst weiter an", erklärt auch Karl-Georg Ohse vom "Mobilen Beratungsteam für Demokratien und Kultur". Eine Studie belegt, dass in diesem Bundesland 30 Prozent der Befragten "rechtsextreme Einstellungen" aufweisen. 16 Prozent sind es bundesweit. Der Einstellungswandel geht längst mit dem Wahlverhalten einher. Bereits bei der Kommunalwahl 2004 konnte die NPD sieben Mandate in Stadtvertretungen und Kreistagen gewinnen - auch in Ludwigslust. Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte sie in Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Prozent. Köster bekam 8,6 Prozent - mehr Stimmen als FDP und Grüne zusammen. In 35 Gemeinden erzielte die NPD zweistellige Ergebnisse. Vor allem dort, wo die NPD oder die Freien Kameradschaften fest verankert sind, wächst der Wahlzuspruch, betont Karl-Georg Ohse.
Das zeigt sich jetzt erneut in der Unterschriftensammlung für die NPD-Kandidaturen. In allen 36 Direktwahlkreisen kann die Partei ihre Bewerber aufstellen. "Mehr als 5.000 Landleute haben das Formblatt ausgefüllt", sagt Köster. "Zur Landtagswahl 2004 in Sachsen standen nur in 32 von 60 Wahlkreisen NPD-Kandidaten zur Wahl", erklärt Holger Apfel, der NPD-Landeswahlkampfleiter. Apfel, der auch sächsischer NPD-Fraktionschef und Stellvertretender Bundesvorsitzender ist, erinnert: Mit 9,2 Prozent kam die Partei in den Landtag. "Als viertstärkste Partei" ziehe sie im September "ins Schweriner Schloss", erwartet er. Bisherige Umfrageergebnisse von drei bis vier Prozent für die NPD beunruhigen ihn wenig. Der Multifunktionär wird wissen, dass Wähler bei Umfragen selten zugeben, eine rechtsextreme Partei wählen zu wollen. "Die NPD verfügt inzwischen über eine Stammwählerschaft in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns", warnt Beobachter Ohse.
In Lübtheen sind die Glatzen "bei den Garagen", wo sie sich treffen, auffällig unauffällig. Die NPD möchte eben keine schlechte Presse im Wahlkampf. Abends meiden Lübtheener den Ort aber sicherheitshalber.
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