"Stell dir vor: Du bist die einzige Frau, die mir erklären konnte, wie Pond funktioniert. Das ist schon krass." So lautete das Kompliment, das ich vor kurzem von einem Freund zu lesen bekam. Und mir war sofort klar: Solch ein Kompliment will ich nie mehr hören.
Im Gespräch ging es darum, dass ich im Fach Informatik noch viel zu lernen habe. Kurz zuvor hatte ich gerade wieder einmal mein Betriebssystem zerstört. Das kann passieren, wenn man mit Software arbeitet, die auf den ganzen Rechner Zugriff hat und überall Änderungen ausführen kann. Das Risiko ist dabei noch höher, wenn der Rechner vollständig verschlüsselt ist. Ein falscher Klick, und dann ist alles innerhalb von ein paar Sekunden weg. Schlimm war das aber nicht: Meine Dateien liegen
en liegen nicht auf dem Rechner, und mein Linux-Betriebssystem kann ich innerhalb einer halben Stunde selbst wieder installieren.Bei dem Missgeschick habe ich nur eine Datei verloren: meine Pond-Installation. Pond ist eine experimentelle Software für verschlüsselte Kommunikation. Wer Pond benutzt, hat keinen Account, der wie zum Beispiel beim E-Mailen auf einem Server liegt und von überall abgerufen werden kann, sondern eine auf dem Rechner gespeicherte Datei, die alle Kontaktinformationen enthält. Das heißt: Wer diese Datei verliert, verliert auch all seine Kontakte.Ein Smiley als AntwortNatürlich hatte ich diese Datei auch auf einer verschlüsselten Festplatte gespeichert. Doch bringt das nichts, denn bei Pond wechseln die Schlüssel zum Verschlüsseln und Entschlüsseln von Nachrichten regelmäßig. Das heißt: Noch mehr Sicherheit, aber auch kaum Möglichkeiten, beim Verlust der originellen Datei seine Kontakte wiederherzustellen.So erzählte ich diesem Freund, mit dem ich oft über Pond in Kontakt bin, dass wir eine neue Verbindung über Pond machen müssen. Dabei erklärte ich ihm auch, welchen Fehler ich gemacht hatte, und warum die Wiederherstellung meiner Kontaktliste nicht funktionierte. Anscheinend hatte ich ihn sehr damit beeindruckt. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich damals auf sein Kompliment reagiert habe. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was ich tatsächlich gesagt habe, was nur gedacht. Wahrscheinlich habe ich im Chat wortlos einen Smiley zurückgeschickt und das Thema schnell gewechselt.Ich hätte anders reagieren müssen. Ich hätte sagen müssen: Oh, ein Kompliment, wie schön. Das will ich aber nicht. Wenn du sagst, dass es krass ist, dass ich dir das als Frau erklären kann, sagst du eigentlich, dass Frauen solche Sachen normalerweise nicht erklären können. Du sagst eigentlich, dass ich als Frau prädestiniert bin, nicht zu verstehen, wie Computer funktionieren. Du glaubst, dass du mir Komplimente machst, aber dabei behandelst du mich wie eine Idiotin. Warum bekomme ich als Frau, die das Funktionieren von experimenteller Software versteht, mehr Respekt als ein Mann? Diesen Respekt brauche ich nicht. Wenn ich am Rechner sitze, wenn ich mich mit meinem Rechner auseinandersetze, dann bin ich einfach ein Mensch. Ein Mensch, der in der Lage ist, das zu verstehen, was er gerade macht.Das heißt nicht, dass ich überhaupt keinen Respekt brauche. Natürlich will ich ernst genommen werden: Wenn es etwas gibt, das ich besser als andere kann. Da spielt mein Geschlecht keine Rolle. Und es gibt etwas, was ich richtig gut kann: CryptoParty, eine globale Bewegung mit dem Ziel, Menschen beizubringen, wie man Kommunikationen verschlüsselt. Dafür muss man verstehen, wie die Werkzeuge funktionieren und wie man sie am besten erklärt. Das kann ich gut.Seit einem Jahr reise ich ab und zu durch Europa und organisiere CryptoPartys in Orten, wo es solche Workshops noch nicht gibt. Meistens mache ich das in Osteuropa. Die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, sind sehr unterschiedlich. Ich kann mich natürlich an schöne Momente erinnern – an CryptoPartys, wo alle Anwesenden großartig zusammenarbeiten konnten, ohne dass ihr Geschlecht irgendeine Rolle spielte. So müsste es ja immer bei CryptoPartys sein.Ich kann mich aber auch an den Abend erinnern, an dem eine junge, schüchterne Frau eine Gruppe von Männern das Verschlüsseln von E-Mails meisterhaft beibrachte, bis ein Mann die Entscheidung traf, dass sie „gerettet“ werden musste und grundlos die Leitung der Gruppe übernahm. Ich kann mich an CryptoPartys erinnern, wo sich Frauen nicht trauten, Männergruppen das beizubringen, was sie konnten, weil sie den Eindruck hatten, dass sie dort als Frauen nicht ernst genommen würden. Oder an CryptoPartys, die ich mit Männern organisierte, die ganz einfach auf jeden meiner Vorschläge nicht antworteten und mich konsequent ignorierten, weil ich als Frau doch nichts zu sagen hatte – und das, obwohl ich eine derjenigen mit der meisten Erfahrung in der Gruppe war.Achtung, SystemänderungenIch kann zwar nicht programmieren, das ist eine Tatsache. Es gibt aber andere Sachen, die ich kann. Dass ich nicht programmiere, hat auch überhaupt nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin: Ich habe es einfach nie gelernt. Wenn ich in der Informatikszene unterwegs bin, will ich nicht, dass man mich entschuldigt, weil ich eine Frau bin. Ich will auch nicht ignoriert werden. Ich will nicht, dass man davon ausgeht, dass ich weniger weiß. Ich will nicht, dass man mir als Frau alles vereinfacht erklärt. Und ich will nicht mehr die einzige Frau in der Männergruppe sein.Informatik ist ein Männerbereich. Frauen können Computer benutzen, aber bitte ändert nichts am System. Dort könntet ihr alles kaputt machen, und dann würde der Rechner ja nicht mehr funktionieren. Texte schreiben, Fotos bearbeiten, Filme schauen, mailen, surfen, am liebsten auf rosaroten Foren über Kinder, Kuchen und Make-up diskutieren, das können Frauen schon.Übertrieben? Kaum. 2013 zeigte eine Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, dass der Frauenanteil bei den Erstsemestern im Informatikstudium im Jahr 2012 bei 22,5 Prozent lag – und das war ein Rekordhoch. Informatik ist ein technischer Bereich, und bleibt als solcher weiter überwiegend Männersache.Männer unter sich in der Informatik-Welt – ein Klischee? Wohl kaum. Ein Problem? Sicher. Die Rolle der Computer in unserem Leben, in unserer Gesellschaft ist zu wichtig, um sie nur der einen Hälfte der Bevölkerung zu überlassen. Wer Computer, das Internet und unsere Kommunikationsmittel gestaltet, entscheidet auch mit, wie sie funktionieren. Wer versteht, wie sie funktionieren, hat sie im Griff.Wollen wir Frauen die Kontrolle über diesen ganzen Bereich unseres Lebens einfach mit der Ausrede aufgeben: „Informatik ist halt eine Männersache“? Wollen wir uns weiter der fatalistischen Aussage ansschließen, dass wir diesen technischen Bereich als Frauen sowieso nicht verstehen könnten? Machen wir es uns da nicht zu einfach? Ist das nicht schlicht eine Kapitulation?Informatik ist ein Fach, das man genauso wie jedes andere lernen kann. Wenn Frauen Computer und das Internet mitgestalten wollen, dann ist das durchaus möglich. Ich kenne Frauen, die so gut programmieren, wie nur sehr wenige Männer es können. Ich wünsche mir, dass diese Frauen bald keine Ausnahmen mehr sind.Zu klagen, dass Männer Frauen nicht ernst nehmen, bringt da nichts. Unsere Aufgabe ist es, uns an den Rechner zu setzen und das zu lernen, was zu lernen ist. Unsere Aufgabe ist es, auch hier genauso gut wie die Männer zu sein. Und das haben nur wir in der Hand. Dass es nicht einfach sein wird, die Sitten in der Informatikwelt zu ändern, ist klar. Aber auch als einzige Frau in einer Männergruppe, und auch wenn man sich nicht ernst genommen fühlt: Wir dürfen nicht aufgeben.Sich von den Männergruppen abzutrennen, die zurzeit die Tech-Szene beherrschen, und eigene Frauengruppen zu gründen, ist auch keine Lösung: Es geht darum, zusammenzuarbeiten. Es geht darum, dass Männer sich daran gewöhnen, dass wir da sind. Wir dürfen nicht weglaufen, sondern müssen uns durchsetzen und zeigen, dass Frauen auch können, was Männer können. Dass das Geschlecht in der Informatik eigentlich überhaupt keine Rolle spielt: Jeder kann verstehen, wie Pond funktioniert.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.