An mein Herz, Drama-Queen Horst!

Hegelplatz 1 Alle machen sich gerade über den Crazy Horst lustig. Unser Verleger aber hat ein Faible für Bayern und den Gefühlsmenschen Seehofer
Ausgabe 27/2018
Schuld war doch nur der Wein
Schuld war doch nur der Wein

Foto: Fossiphoto/Imago

Ich habe etwas übrig für Horst Seehofer. Das darf man heuer nicht so laut sagen. Aber hier am Hegelplatz sind wir unter uns. „Heuer“ habe ich gesagt, daran hören Sie schon, dass ich einschlägige Kenntnisse besitze: zwei Jahre München, Bayernredaktion der Süddeutschen Zeitung, als junger Mensch, das prägt. Ich war in Tuntenhausen und in Aschbach. Ich habe die Hand von Edmund Stoiber geschüttelt. Und ich habe gelernt, die Leute von der CSU, die konnten total nett sein – man durfte halt nur nicht mit ihnen über Ausländer reden, oder Frauen, oder Schwule. Aber das muss man ja auch nicht den ganzen Tag.

Jedenfalls rührt aus dieser Zeit das Gefühl einer grundsätzlichen Verbundenheit mit Bayern, seinen Sitten und Gebräuchen. Zentraler Bestandteil dieser Sitten und Gebräuche ist die besondere Rolle der CSU. Ernst Hinsken, gelernter Bäcker, spezialisiert auf Lebkuchen, jahrelang für die CSU im Bundestag, hat einmal im Bayernkurier den hübschen Satz geschrieben: „Bei uns gehen die Uhren nicht anders. Aber wie keine andere Partei hat die CSU die Kraft, sie anders zu stellen.“

Damit ist viel gesagt. Ernst Hinsken war übrigens lange Zeit der Erststimmenkönig im deutschen Bundestag – sein bestes Ergebnis lag, glaube ich, bei 74,6 Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis Straubing. Damit ist auch viel gesagt.

Ich war dabei, als die CSU ihren 60. Geburtstag feierte. Alle waren da: Seehofer, Glos, Huber, Glück und auch damals schon Söder. Männer, die Gesichter kantig, grob, gewitzt, mild. Dunkle Limousinen auf dem Platz vor der Mariahilf-Kirche, die Leibwächter, von einem Bein aufs andere tretend, rauchend. Die Polizei hatte alles abgeriegelt. Dunkle Mäntel, Händeschütteln und Schulterklopfen vor dem Portal, leises Nicken im Mittelschiff, und zuletzt Ministerpräsident Edmund Stoiber mit Gemahlin, der ganz nach vorn geht, wo sein Platz reserviert ist. Martin Scorsese und Coppola haben solche Szenen gedreht.

Jetzt machen sich alle über den Seehofer lustig. Crazy Horst nennen sie ihn Berlin ja ohnehin. Er ist halt ein Gefühlsmensch. Im Vergleich zu Angela Merkel fällt das besonders auf. Als die ihr letztes Gefühl hatte, kostete der Kaffee noch eine DDR-Mark. Kann ja sein, dass die Abwesenheit von Emotionen, oder deren totale Kontrolle, eine Dienstvoraussetzung für das Kanzleramt sind. Meinetwegen. Aber die Drama Queen Seehofer ist mir trotzdem sympathischer als die fischkalte Merkel.

Und übrigens ist der Seehofer Horst, wenn man es recht bedenkt, gar nicht so wahnsinnig, wie Angela Merkel und alle Kommentatoren im Moment wahrscheinlich denken. Er ist einfach Chef einer Partei, die wahnsinnig viel zu verlieren hat.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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