Anarcho-Blick auf die 90er

Nachruf Es sollte für ihn immer nur nach vorn gehen: zum Tod des Fotografen Daniel Josefsohn
Ausgabe 33/2016

Nicht nur die Fotografien, die der 1961 in Hamburg geborene und jetzt verstorbene Daniel Josefsohn von anderen gemacht hat, werden im Gedächtnis bleiben. Fotografien, wie das 1998 entstandene Bild, auf dem die Schauspielerin Julia Hummer in einem riesigen Mercedes-Stern hängt. Oder Lieber Helmut, lieber George, ich wollte auch mal mit der Eisenbahn spielen (2008), eine Aktfotografie, die wie eine böse Hommage an Helmut Newton wirkt, mit nackten Models, die Stormtrooper-Helme aus Star Wars tragen.

Genauso werden jene Bilder im Gedächtnis bleiben, die Josefsohn selbst zeigen, etwa als jungen Mann auf einem Skateboard (Josefsohn war professioneller Skateboarder, bevor er sich entschied, Fotograf zu sein). Oder sein Selbstporträt mit dem Nerz der Großmutter, die Auschwitz überlebt hat. Oder das Selbstbildnis mit verstrubbelten Haaren, das 2012 kurz nach seinem Schlaganfall entstand. Es zeigt ihn in silbernen Paillettenhosen in einem Orangenhain in Israel – dem Land, aus dem seine Eltern nach dem Krieg in die Bundesrepublik zurückgekehrt waren.

Josefsohn galt im Leben wie als Fotograf als eigentümlich, schräg, für manche provozierend. Gemeinsam mit Wolfgang Tillmans und Juergen Teller reformierte er in den 90er Jahren die deutsche Fotografie. Dem Trio gelang es, einen unangepasst-ironischen Stil zu etablieren, der einen exzessiven, glamourösen Lebensstil feierte. Doch war der Glamour – gerade bei Josefsohn – eben nie eins zu eins zu verstehen, sondern stets gebrochen. Bekannt wurde er mit seiner MTV-Kampagne, die bis heute als stilbildend gilt. Für den Musiksender brachte er das Lebensgefühl der Generation-X- oder Slacker-Ära auf den Punkt: Gut aussehende junge Menschen waren da zu sehen, aber sie trugen knittrige oder löchrige T-Shirts, unfrisiertes Haar und tiefe Augenringe.

Neben freien künstlerischen Arbeiten hat Josefsohn vor allem Mode und Porträts fotografiert, oft für Hochglanzpublikationen wie Tempo oder das Zeit-Magazin. Für zwei Jahre arbeitete er zuletzt auch als Kreativdirektor der Berliner Volksbühne. Seit seinem Schlaganfall vor vier Jahren war er halbseitig gelähmt. Dennoch waren auch die Jahre nach diesem Unglück voller humorvoller, provokanter Bilder, von denen manche auch gemeinsam mit Josefsohns Lebensgefährtin Karin Müller entstanden – Bilder, die nun immer wieder um das neue, gehandicapte Leben Josefsohns kreisten.

Als Fotograf liebte er das Unperfekte und Schmutzige – und lieferte damit immer auch subtile Kommentare zu den glitzernden Konsum- und Glücksversprechen der neoliberalen nineties und Nullerjahre. Anders als Tillmans und Teller, die mehr Teil des internationalen Kunstbetriebs wurden, blieb Josefsohn eher ein Magazinfotograf. Sein anarchischer Blick auf den Alltag begeisterte viele. Und: Er war auch ein konzeptueller, ein politischer Fotograf. So inszenierte er eine Israel-Flagge vor der früheren Hermann-Göring-Villa auf Sylt. More Jewish Settlements on the Sylt Strip heißt das dabei entstandene Bild.

Erst 2014 kam mit OK DJ ein erstes Buch mit einer Sammlung seiner Fotografien heraus (Hatje-Cantz-Verlag). Vorher hatte Josefsohn nie Lust darauf, eines zu machen. Statt zurückzuschauen, sollte es immer weitergehen – nach vorn. Eines seiner späten Bilder zeigt seinen Rollstuhl, in Israel, von einer Herde von Schafen umringt. Der Exhbitionismus der Gegenwart, mit all seiner Skurrilität und versteckten Traurigkeit: Das war, so oder so, Daniel Josefsohns Thema.

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