Anders und anders anders

Film „Angelo“ erzählt die Biografie eines Wiener „Hofmohren“
Ausgabe 48/2019

Es ist eine Allegorie!“, erklärt der Museumsdirektor der Kaiserin, als sie vor der halb nackt und mit Federschmuck präsentierten toten Hülle des „Hofmohren“ Angelo Soliman steht. Das trifft auch auf Angelo zu, die Verfilmung von Solimans Biografie: Der Film will zeigen, nicht unterhalten. Und Solimans Geschichte eignet sich hervorragend, um exemplarisch die verschiedenen Facetten einer rassistischen Kultur zu beleuchten: Anfang des 18. Jahrhunderts als Kindersklave aus Afrika nach Sizilien verschleppt, kommt er später als „Hofmohr“ nach Wien, bis ihm schließlich durch eine bürgerliche Heirat die Emanzipation aus der Versklavung gelingt. Zwar ist Solimans bizarre Biografie nur bruchstückhaft dokumentiert, doch selbst wenn man sich an die belegten Fakten hält, lässt sie sich kaum besser ausdenken.

Unmissverständlich macht der Film klar, dass es ihm dabei nicht um das Einzelschicksal geht: Als ein erster Angelo gleich nach seiner Taufe an einem unerklärlichen Fieber stirbt, folgt ein harter Schnitt zur Taufe von Angelo Nummer zwei. Auch das Gesicht dieses Jungen sehen wir selten in Großaufnahme. Wir sollen darin kein Individuum ergründen, dessen Empfindungen, Wünsche und Bedürfnisse lesen. Dass Angelo in jeder Phase seines Lebens von einem anderen Schauspieler dargestellt wird, hält die Nicht-Identität von Darsteller und Dargestelltem bewusst.

Soliman wurde 1721 vermutlich im heutigen Nigeria geboren, kam im Alter von acht Jahren nach Sizilien und starb 1796 in Wien. Es liegt nahe, in den Phasen seines Lebens die Entwicklung des Rassismus durch die Denker der Aufklärung gespiegelt zu sehen. In dieser Zeit entwickelte beispielsweise der Biologe Carl von Linné eine Rassentypologie nach Hautfarben, denen er Temperamente zuordnete. Auch die Physiognomik wurde damals populär – Wissenschaftler vermaßen Köpfe und Gesichtswinkel und glaubten, daraus auf Charakter und geistige Eigenschaften der Rassen schließen zu können.

So weit ist es jedoch noch nicht, als Angelo zu Beginn der Filmerzählung von einer italienischen Komtesse erworben wird. Hofmohren dienen zu dieser Zeit oft als Symbol für die Weltläufigkeit ihrer Herren. Für die Komtesse ist der Junge zudem eine Art Lebendexperiment: Sie will aus dem vermeintlich wilden Kind einen gebildeten Menschen machen, lässt ihm Sprach- und Musikunterricht erteilen. So wird Soliman zum Ausnahmeafrikaner, analog zum Ausnahmejuden nach Hannah Ahrendt. Er verkehrt in den höchsten Kreisen der Gesellschaft, steht dabei aber immer unter dem Druck, die ihm zugeschriebene Rolle zu erfüllen. Indem die Komtesse ihren Hofmohren in exotische Fantasiegewänder kleidet, markiert sie ihn als anders. Der schweigsame Angelo wird zur Projektionsfläche für die Afrikafantasien der Zeitgenossen. Seine schillernde Rolle als geheimnisvoller schwarzer Prinz sichert Soliman einen privilegierten Platz am Hof. Als er schließlich frei ist, zerbricht er fast daran, dass es keine alternativen Rollenbilder für ihn zu geben scheint.

Den Bezug zur Gegenwart stellt der Film kontinuierlich her: Gleich in der dritten Einstellung strahlt bei der Begutachtung der Neuankömmlinge aus Afrika fahles Neonlicht von der Decke. Später, als Soliman im Kaiserlichen Naturalienkabinett eine Afrika-Kulisse betrachtet, verströmt das kalte Kunstlicht den Geist der Aufklärung. Hier spielt zum großen Teil das düsterste letzte Drittel des Films: Die Schändung von Solimans Leichnam vernichtet alle Ambivalenz, die seine Identität zu Lebzeiten bestimmte. Diese hässliche Wendung lässt sich aber auch als Folge des inzwischen weit entwickelten Rassismus interpretieren. Zu dieser Zeit hatte bereits eine regelrechte Jagd nach Schädeln eingesetzt, um sie zu vermessen und zu kategorisieren.

Info

Angelo Markus Schleinzer Österreich/Luxemburg 2018, 111 Minuten

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