Andrew Tate und seine deutschen Nachahmer: Hass auf Frauen erreicht Millionen Follower

Incel Andrew Tate ist nach seinem Twitter-Streit mit Greta Thunberg in aller Munde. Doch der frauenfeindliche Influencer ist nur das prominenteste Beispiel für Antifeministen, die im Netz verunsicherte Männer indoktrinieren
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 36/2022 | Aktualisiert am 30.12.2022, 12:25
Verunsicherte und verzweifelte Männer sind leichte Beute für Antifeministen im Netz
Verunsicherte und verzweifelte Männer sind leichte Beute für Antifeministen im Netz

Foto: Imago/Yay Images

Ein gutes Leben sei ein Leben mit Protz, dicken Autos und unterwürfigen, schönen Frauen. Der Ex-Kickboxer Andrew Tate verzeichnete mit seinem angeblichen Erfolgsrezept auf Instagram und Tiktok milliardenfache Aufrufe. Seinen Konsumenten, vor allem junge Männer im Alter von zwölf bis 20, wurde durch Tate in den sozialen Medien eine Männlichkeit vorgelebt, die nicht nur toxische Verhaltensweisen als Ideal postuliert, sondern Frauen abwertet, beleidigt, unterordnet.

Seit Ende August ist er nun auf Facebook, Instagram, Tiktok und Youtube gesperrt. Sein Image verdiente er mit dem Teilen von extrem frauenfeindlichen Äußerungen, die eindeutig Bezüge zu rechtsextremen und maskulinistischen Narrativen haben. So eine Prominenz entsteht nicht von ungefähr: Sie ist das Ergebnis von zahlenden, männlichen Kunden. In Tate finden sie die Figur, die ihnen Orientierung gibt – in Zeiten einer vermeintlichen Verweichlichung von traditionellen Rollenbildern.

Diese Entwicklung macht vor Deutschland nicht Halt. Auch hier erreichen selbsternannte Coaches vor allem auf Youtube Tausende von jungen Männern. So wie Klaus Thiele und Maximilian Pütz, die für die Bedürfnisse von „echten“ Männern eintreten. Sie glauben als Maskulinisten an die naturbedingte männliche Überlegenheit. Beide gehören damit im deutschen digitalen Raum zu den bekannteren Propagierern. Ihre ersten Berührungen mit der maskulinistischen, antifeministischen Szene bot sich beiden durch die frauenfeindliche Pick-Up-Szene – etwa in Onlineforen, wo verunsicherte Männer lernen, Frauen schnell zu verführen.

Maximilian Pütz ist laut eigener Bezeichnung „Verführungscoach, Männerrechtler und Feminismus-Kritiker“ und seit 2006 aktiv auf Youtube. Seine Videos mit Titeln wie „Was tun mit einer verwöhnten Frau“ erreichen fast zehn Millionen Aufrufe. Der Heyne-Verlag veröffentlichte bereits drei seiner Bücher und bezeichnet ihn als „Verführungsratgeber mit Erfolgsgarantie!“. Ähnlich wie Andrew Tate betreibt er eine Online-Plattform, auf der er „Coachings“ anbietet. Während Maximilian Pütz für derbe Sprüche und offenen Sexismus bekannt ist, inszeniert sich Klaus Thiele als intellektueller Akteur, der seine Aussagen durch pseudowissenschaftliche Belege zu untermauern versucht und seinen Zuschauern eine ähnliche Rhetorik liefert.

Misogynie ohne Filter auf Youtube

Thieles Youtube-Account mit 13.000 Abonnent*innen, den er seit 2016 betreibt, verzeichnet etwa 3,5 Millionen Aufrufe. Sowohl Thiele als auch Pütz hetzen in ihren Videos regelmäßig gegen Formate und Einzelpersonen, die sich pro-feministisch positionieren. Man könnte sie als Coaches abtun, die sich an den Unsicherheiten junger Männer eine goldene Nase verdienen. Ihre deutlichen Bezüge zur cyberkulturellen Red-Pill-Community und zur Incel-Ideologie sind jedoch ein Grund zur Sorge. Denn Red-Piller glauben, einen geheimen „Code“ der Gesellschaft geknackt zu haben. In etwa: Die Ursache für die Probleme der Gesellschaft sei die körperliche Selbstbestimmung von Frauen, Männer seien grundsätzlich diskriminiert und Opfer.

Sie teilen sich diese Narrative mit der Incel-Ideologie. Deren Anhänger glauben, dass sie ein Anrecht auf Frauen und Sexualität hätten. Sie hassen sich, aber vor allem hassen sie Frauen. Ein weiteres Problem: Maskulinistische und rechtsextreme Szenen sind bereits vernetzt. Auch wenn die Klickzahlen von Thiele und Pütz noch lange nicht an die von Tate heranreichen, zeigen sie eine gefährliche Tendenz: Sie bieten einen Orientierungsrahmen für junge Männer, die Fragen haben, aber die falschen Antworten bekommen. Die Attentäter von Hanau und Halle sind in Deutschland traurige Beispiele dafür. Beide wurden in Incel-Foren radikalisiert und in ihrem Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus bestärkt.

Die Journalistin Veronika Kracher forscht zum Thema Incels und sieht in den Foren eine Atmosphäre, in der Gewalt legitimiert und glorifiziert wird, als Wiedergutmachung für die narzisstische Kränkung, keinen Sex zu haben. Die Leipziger Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig von 2020 warnte bereits: Jeder vierte Mann in Deutschland hat noch immer ein geschlossenes, antifeministisches Weltbild. Diese Tendenz kann verstärkt werden, wenn junge Männer – die laut dem dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung deutlich häufiger Youtube nutzen als junge Frauen – Misogynie ohne Filter serviert bekommen. Neben präventiven Maßnahmen und der Auseinandersetzung mit Männlichkeit ist es wichtig, dass antifeministische Inhalte auch in Deutschland stärker kontrolliert und reguliert werden.

Fikri Anıl Altıntaş ist freier Autor und schreibt über Männlichkeiten und Rollenbilder

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