Was braucht der Kapitalismus jetzt wie der Verdurstende eine Wasserstelle? Zahlungskräftige Nachfrage! Die hat er allerdings durch seine eigenen Funktionsmechanismen ausgetrocknet. Es ist das alte Lied vom inneren Widerspruch, das in immer schrilleren Tönen erklingt: Die den Gesetzen der Verwertungslogik unterworfenen Menschen sollen am besten für Gotteslohn arbeiten bis zur Erschöpfung, sparen wie die Weltmeister für ihr Alter, gleichzeitig mit vollen Händen Geld ausgeben als Konsumenten.
Die neoliberale Angebotspolitik nahm sich des Widerspruchs auf ihre Weise an, indem sie Kostensenkung um jeden Preis verlangte. Bei einem verbilligten Angebot wurde Wachstum gemäß den Marktgesetzen erwartet, was nicht zuletzt für das Angebot der Arbeitskraft au
tskraft auf den Arbeitsmärkten gelten sollte, deren Deregulierung überall die Reallöhne senkte und Billiglohnsektoren expandieren ließ. Das Problem der Nachfrage wurde scheinbar gelöst, indem in den USA und anderswo – trotz Erosion der Reallöhne – für die mehr oder weniger breite Mittelschicht substanzlose Kaufkraft aus den Finanzblasen entstand (etwa durch Hypothekenkredite). Die Folge war eine globale Defizitkonjunktur mit einseitiger Exportorientierung vor allem in die USA.Weil dieses Konstrukt nach dem globalen Finanzcrash seinen Geist aufzugeben beginnt, entdeckt man die keynesianische Nachfragepolitik von Neuem. Der Staat soll durch Konjunkturpolitik bröckelnde Kaufkraft beleben. Weit entfernt sind freilich die Zeiten, als unter weitaus komfortableren Bedingungen in der alten BRD die „konzertierte Aktion“ von Regierung, Unternehmensverbänden und Gewerkschaften einen keynesianischen Nachfrageschub erzeugte, der schließlich von der Inflation aufgefressen wurde. Von „Konzertierung“ heute keine Spur; die Konzepte gehen durcheinander wie Kraut und Rüben.Mit der Abwrackprämie wurde ein zentrales Konsumsegment direkt staatlich subventioniert für den Teil der Mittelschicht, der das Geschenk noch mitnehmen konnte. Dass diese Notmaßnahme den Charakter eines Strohfeuers hat, ist allgemein bekannt. Die weiteren Konjunkturprogramme bleiben zu schwach, weil die Rettungspakete für den Finanzsektor die Staatskasse bereits arg strapazieren – Nachfrage entsteht dort aber nicht. Das hätte man zu keynesianischen Zeiten anders gemacht.Neoliberale NostalgieDas schwarz-gelbe Versprechen, Steuern zu senken, um damit Kaufkraft zu schaffen, ist eine Fata Morgana. Das hat mit keynesianischer Nachfragepolitik nichts zu tun, sondern ist nichts als neoliberale Nostalgie. Fallende Steuern vorrangig für die obere Mittelschicht gehörten zu den flankierenden Maßnahmen der Angebotspolitik, die jetzt nicht mehr greifen. Sie sind erstens unfinanzierbar und würden zweitens verpuffen, weil sie angesichts der Krisenlage weder in Investitionen noch in den Konsum fließen dürften. Deshalb tobt bei den glorreichen Koalitionären schon nach drei Wochen Regierung der Familienkrach.Erst recht wird die verzweifelte Suche nach kaufkräftiger Nachfrage dementiert durch die Lage in den Betrieben. Die Belegschaften der von Insolvenz bedrohten Unternehmen überbieten sich gerade mit Zugeständnissen an das Management, weil sie von der Angst um den Arbeitsplatz getrieben werden. Nicht nur bei Opel und Arcandor ist der Verzicht auf Lohn, Urlaubs- und Weihnachtsgeld an der Tagesordnung. Bei Quelle hat es schon nichts mehr genützt. Dabei hat die Pleitewelle erst begonnen. Der von Betriebsräten ausgehandelte Lohnverzicht zwecks Rettung des Unternehmens dürfte weiter um sich greifen. In dieses Bild passt es, dass die Gewerkschaften sich in der Krise mit dem üblichen Verantwortungsbewusstsein für das schlechte Ganze auf eine Nullrunde bei den Tarifverhandlungen 2010 einzustellen beginnen. Wenn diese aus der Not geborene freiwillige Angebotspolitik der Ware Arbeitskraft honigsüß gelobt wird, steht das zwar in krassem Widerspruch zu einer Nachfrage-Orientierung – aber die Verhältnisse sind eben so.Trumpf in der globalen KonkurrenzIn dieser Lage ist die Forderung nach einem allgemeinen, ausreichend hohen, gesetzlichen Mindestlohn in den Hintergrund gerückt; und noch weniger darf die Rede sein von einer Aufstockung der unter das Existenzminimum gefallenen Transfereinkommen. Im Gegenteil, durch den Lohnverzicht beginnt der Billiglohn auf die Kernbelegschaften überzugreifen, und die untere Mittelschicht schmilzt ab. Die Strohfeuer staatlicher Nachfragepolitik werden ergänzt durch eine Fortsetzung der Angebotspolitik mit anderen Mitteln auf den Arbeitsmärkten. Diesen Trumpf im Spiel der globalen Konkurrenz will man nicht aus der Hand geben: immer billigere Beschäftigung. Deshalb richten die Eliten den Blick nach China, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass sich von dort eine neue globale Defizitkonjunktur als Umkehr der bisherigen einseitigen Exportströme starten lässt. Wenn der Wunderglaube an die Stelle nicht mehr tragfähiger Nachfrage-Konzepte tritt, ist der nächste Konjunktureinbruch programmiert. Dann wird es in der Fortsetzung der Abwärtsspirale nur noch Notrationen geben.