Von politischen Eliten aufgezwungen, zum Staatskatechismus erhoben, mit provinziellen Scheuklappen versehen – mit solchen oder ähnlichen Worten wurde in den letzten Jahren die offizielle deutsche Erinnerungspolitik angegriffen. Ein neuer akademischer und publizistischer „Historikerstreit“ um die Deutungsmacht über die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts brach aus. Eine der immer wieder bemühten Argumentationsfiguren betraf die starke Präsenz des Phänomens Holocaust im Bildungswesen und im Kulturleben. Bereits im Jahre 2001 hatte der Literaturtheoretiker Karl Heinz Bohrer in einer unter dem Titel Erinnerungslosigkeit veröffentlichten Rede die „Nichtexistenz eines Verhältnisses (...) zur deutschen Geschichte jenseits des Bezugsereignisses Nationalsozialismus“ beklagt und dafür die Fokussierung auf den Holocaust verantwortlich gemacht.
Der vergleichend-quantifizierende Blick gelangte schließlich bei der Geschichte des Kolonialismus an. Die Dominanz des Holocaust-Gedenkens habe, so hieß es, bewirkt, dass die kolonialistischen Gewaltverbrechen aus der Erinnerungs-, Bildungs- und Forschungspolitik ausgeklammert wurden. Zwei Beispiele veranschaulichen diese These: Studierende des Würzburger Afrikazentrums diagnostizierten in ihrem Internet-Blog eine „koloniale Amnesie der Deutschen“ und behaupteten, der Grund für diese „Amnesie“ liege unter anderem im „Lehrplan deutscher Schulen, der den Schwerpunkt auf den Holocaust“ lege. In der Süddeutschen Zeitung behauptete 2020 ein junger Publizist, er habe in der Schule „alles über die Schoah, den antisemitischen Rassenwahn, unsere einzigartige Schuld“ gelernt, nichts aber „über Namibia (...), über Rostock, Hoyerswerda, Mölln, über Tansania und China“.
Man beachte die Gegenüberstellung von „alles“ und „nichts“. Selten wurde die Frage gestellt, ob es nicht unter anderem der „Aufarbeitung“ des Holocaust zu verdanken ist, dass endlich andere staatlich organisierte Verbrechen in den erinnerungspolitischen Blick genommen werden.
Mit den Gedenk-Rankings verschiedener Genozide ging häufig das Infragestellen der Singularität und der Präzedenzlosigkeit des Holocaust einher. Heute ist es der „postkoloniale Diskurs“, der den Holocaust mit dem Kolonialismus verknüpft, ihn – wie der Historiker Dan Diner in dem Sammelband Ein Verbrechen ohne Namen schreibt – „der Gestalt kolonialer Gewalt anverwandelt“. Diese Anverwandlung drohe den Holocaust seiner Singularität und Ursprünglichkeit zu berauben und ihn zu relativieren, wie er bereits während des ersten Historikerstreits (1986) als bloße Reaktion auf die stalinistischen Massenmorde relativiert wurde.
Die Zeithistorikerin Sybille Steinbacher fasst die bekannten Gründe für die These der Präzedenzlosigkeit des Holocaust noch einmal zusammen: „der unbedingte Vernichtungswille (…), die Systematik des Mordprogramms, dessen geografische Reichweite (…), und der Umstand, dass die Angehörigen der deutschen Volksgemeinschaft (sic) (…) in die Verbrechen an den Juden einbezogen waren“. Weniger bekannte Argumente – etwa der jahrhundertealte, neu geschürte Hass auf den ethischen, religiösen und intellektuellen Genius des Judentums, den Primo Levi einst erwähnte – werden in dem Sammelband allenfalls indirekt angedeutet.
Genozide vergleichen
Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber den postkolonialen Deutungen des Holocaust begrüßen die Beitragenden des Bandes das sich entwickelnde Forschungsinteresse an den noch heute fortwirkenden Kolonialverbrechen Europas. Sie unterstreichen, dass die Präzedenzlosigkeit des Holocaust keineswegs Vergleiche mit anderen Genoziden verbiete, sofern diese zwecks Herausarbeitung der Unterschiede und Ähnlichkeiten vollzogen würden. Steinbacher bringt ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass der Holocaust durch Einbindung in die „globale Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts“ nicht seiner „strukturellen (…) präzedenzlosen Besonderheiten“ beraubt werde.
Ein wirklicher Brückenschlag zwischen der Holocaustforschung und der von den Postcolonial Studies inspirierten vergleichenden Genozidforschung dürfte indessen schwierig sein; denn der postkoloniale Diskurs bleibt nicht bei der kolonialen Verortung des Holocaust und schon gar nicht bei bloßen Vergleichen stehen. Er nimmt vielmehr, zuweilen in militanter Weise, die zionistische Bewegung, die Politik des Staates Israel und die deutsche Unterstützung Israels ins Visier.
Diesem Teil des postkolonialen Diskurses schenkt der deutsch-israelische Soziologe Natan Sznaider, der mit soziologischen, geschichts- und literaturwissenschaftlichen Ansätzen arbeitet, große Aufmerksamkeit. Das Einzigartige seines unkonventionellen Buches liegt darin, dass er den Fokus auf gegensätzliche Geschichtsinterpretationen und Sichtweisen legt. Er versucht, die entgegengesetzten oder parallel verlaufenden Wahrnehmungsperspektiven in einem einzigartigen Sowohl-als-auch zusammenzudenken. Er gelangt zu folgender Erkenntnis: „Der Holocaust kann durchaus aus kolonialistischen Strukturen verstanden werden, aber gleichzeitig auch singulär sein.“
Während die Verortung des Holocaust in übergreifenden Zusammenhängen wie dem Kolonialismus und die Beschreibung des nationalsozialistischen Eroberungsfeldzugs in Osteuropa als kolonialistisch nachvollziehbar sind, öffnet der Versuch, den Zionismus und die Politik des Staates Israel mit dem Kolonialismus zu verknüpfen, eine gewaltige Kluft zwischen zwei entgegengesetzten Diskursen. Ersterer argumentiert – hier in groben Zügen wiedergegeben – so: Die zionistische Bewegung war eine aus Europa kommende (wenn auch nicht im „klassischen“ Sinn) kolonialistische Bewegung. Die zionistischen Siedler unterdrückten die nichteuropäische Bevölkerung Palästinas und beeinträchtigten ihre Existenzgrundlagen. Der Staat Israel vertrieb einen Teil dieser Bevölkerung und diskriminierte den im Land verbliebenen Teil. In den besetzten Gebieten agiert er wie eine Kolonialmacht. Er benutzt das Holocaust-Gedenken, um eine gewisse Immunität zu genießen. Dem steht diese Sicht entgegen: Die zionistische Bewegung war die antikolonialistische Befreiungsbewegung einer in Europa unterdrückten, „intern kolonisierten“ Minderheit. Es gab im Zionismus sozialistisch-anarchistische Strömungen, die nicht auf Staatsgründung abzielten. Diese ist indessen als ein Akt der Emanzipation und Dekolonisierung zu verstehen – ein Akt, der die Rückkehr des jüdischen Volkes aus dem Exil ermöglichte. Der Staat Israel ist berechtigt, seine Legitimität durch Bezug auf den Holocaust zu stärken, denn er bot den Überlebenden des Holocaust Zuflucht.
Es geht Natan Sznaider darum, nach gemeinsamen Fluchtpunkten der entgegengesetzten Beschreibungen und Perspektiven zu suchen. Anhaltspunkte findet er in den Werken von jüdischen, afrikanischen und palästinensischen Intellektuellen wie Hannah Arendt, Aimé Césaire, Albert Memmi, Edward Said, deren Gedanken er jeweils eindrucksvoll wiedergibt.
Wie also den partikularen Beschreibungen entrinnen, in denen die Leidensgeschichten der eigenen Nation, Minderheit, Gruppe die Hauptrolle spielen, die Leiden der Anderen jedoch kaum vorkommen? Sznaiders Antwort, genial und bündig: Es geht „nicht um Universalismus gegen Partikularismus, sondern um das Austauschen von verschiedenen Partikularismen.“ Anders ausgedrückt: Es geht darum, das Leiden der Anderen ebenso in den Blick zu nehmen und anzuerkennen wie das eigene und so die entgegengesetzten partikularen Positionen in einer neuen Beschreibung aufzubrechen.
Gedenkkulturen sind, wie Kultur überhaupt, Wandlungen unterworfen. Das deutsche Holocaust-Gedenken hat sich bereits mehrfach gewandelt. Wie der Schriftsteller Imre Kertész im November 2000 in einer Rede sagte, können „wir den Holocaust heute, mehr als fünf Jahrzehnte danach, als globale Erfahrung, als europäisches Trauma betrachten“. Dass wir dies tatsächlich tun, verrät der häufige Gebrauch des Begriffs „Menschheitsverbrechen“. Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman geht in seinem Werk Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust (1989/1992) noch einen Schritt weiter: Er sieht den Holocaust „als eine der Moderne inhärente Möglichkeit“ an und rät dazu, „die Untersuchung des Phänomens Holocaust für die Diagnose der Gesellschaftsform, in der wir leben“, zu nutzen. Sznaider weist in diese Richtung, wenn er die Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass „die Erinnerung an den Holocaust zu einem Mahnmal an die allgegenwärtige Barbarei“ werde.
Info
Ein Verbrechen ohne Namen. Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust mit Beiträgen von Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher, Dan Diner, Jürgen Habermas Verlag C.H. Beck 2022, 91 S., 12 €
Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus Natan Sznaider Hanser Verlag 2022, 256 S., 24 €
Kommentare 13
»Mit den Gedenk-Rankings verschiedener Genozide ging häufig das Infragestellen der Singularität und der Präzedenzlosigkeit des Holocaust einher.«
Über die objektive Dimension des Holocaust als zusammenhängende Sequenz konzertierter Massenvernichtungsereignisse muss hoffentlich kein Wort verloren werden. Die Frage bleibt trotzdem, ob die Charakterisierung als singuläres und präzedenzloses Ereignis vom Willen zur Vermittlung der historischen Wirklichkeit getrieben ist oder politisch motivierten Imperativen folgt.
Beim Vergleich von Genoziden kann es m.E. nicht darum gehen, ein "Ranking der Fürchterlichkeit" aufzustellen - jeder Genozid ist für diejenigen, die ihm zum Opfer fallen, und noch mehr für diejenigen, die ihm entkommen, aber vom ihm "gestreift wurden, nebest allen betroffenen Angehörigen von adäquater subjektiver Fürchterlichkeit im Erleben der Antastung des eigenen Lebens. Der Vergleich von Genoziden ist somit lediglich ein akademisches Ereignis, und das gilt m.E. auch bei Einbeziehung des Holocaust. Die Anerkennung seiner objektiven Fürchterlichkeit und deren Dimension kommt ohne seine Überhöhung ist Singuläre und Präzendenzlose aus.
Es steht außerdem zu befürchten, dass diese Überhöhung langfristig eher kontraproduktiv auf die Bereitschaft nachkommender Generationen einwirkt, sich noch auf die Shoa beziehen zu lassen, eine Kontraproduktivität, die sich steigern wird, je mehr Moral und Hypermoral die Bereitschaft zur Anerkennung der Einzigartigkeit einfordern. Daher halte ich es für vernünftig, die Aufarbeitung in Unterricht und Wissenschaft an den reinen Sachverhalten zu orientieren. Die sind fürcherlich genug.
wer sich dem extremen grauen der massen-vernichtung*
unter gouvernmentaler verantwortung und in organisiertem betrieb,
einsichtig und ohne scheu vor den details stellt,
hat kein grund-vertrauen mehr in irgendeine gemein-schaft,
wie rational sie sich auch geben möge.
dann kommen die medial-gewonnenen info-gewißheiten
unter bei-hilfe-verdacht und die ganze gesellschaftliche
verfaßtheit.
*in krieg und "ethnischen säuberungs-aktionen".
"Die zionistische Bewegung war eine aus Europa kommende (wenn auch nicht im 'klassischen' Sinn) kolonialistische Bewegung. Die zionistischen Siedler unterdrückten die nichteuropäische Bevölkerung Palästinas und beeinträchtigten ihre Existenzgrundlagen. Der Staat Israel vertrieb einen Teil dieser Bevölkerung und diskriminierte den im Land verbliebenen Teil. In den besetzten Gebieten agiert er wie eine Kolonialmacht. Er benutzt das Holocaust-Gedenken, um eine gewisse Immunität zu genießen. Dem steht diese Sicht entgegen: Die zionistische Bewegung war die antikolonialistische Befreiungsbewegung einer in Europa unterdrückten, 'intern kolonisierten' Minderheit. Es gab im Zionismus sozialistisch-anarchistische Strömungen, die nicht auf Staatsgründung abzielten. Diese ist indessen als ein Akt der Emanzipation und Dekolonisierung zu verstehen – ein Akt, der die Rückkehr des jüdischen Volkes aus dem Exil ermöglichte. Der Staat Israel ist berechtigt, seine Legitimität durch Bezug auf den Holocaust zu stärken, denn er bot den Überlebenden des Holocaust Zuflucht." - Ja, die beiden Ansichten werden (Stichwort "Partikularismus") gegeneinander gestellt. Das Verzwickte ist aber, dass beide etwas richtiges abbilden.
"Es geht 'nicht um Universalismus gegen Partikularismus, sondern um das Austauschen von verschiedenen Partikularismen.' Anders ausgedrückt: Es geht darum, das Leiden der Anderen ebenso in den Blick zu nehmen und anzuerkennen wie das eigene und so die entgegengesetzten partikularen Positionen in einer neuen Beschreibung aufzubrechen." - Aus diesem Raster heraus gedacht, wird nie überwunden werden können, dass einem das Hemd näher ist als der Rock. Es muss darum gehen, im "Universalen" das "Partikulare" zu sehen und umgekehrt, im Besonderen das Allgemeine. Das "Austauschen von verschiedenen Partikularismen" ist nur der erste Schritt dahin. Das "Verbinden" der Partikularsmen der zweite. Eine universale Geschichtssicht, die - aktuell - das zusammenbekommt, was zwischen den 2 Jahrhunderten des kriegerischen und völkermörderischen kapitalistischen Nationbuildings in der Moderne (von Cromwell bis 1865 und 1871) bis zum großrussischen Angriffsskrieg 2022 geschehen ist, wäre das Ziel.
"Universale Geschichtssicht", naja, nennen wir es doch gleich beim richtigen Namen: Dialektischer und historischer Materialismus.
ein großteil des fortgezeugten haßes über erlittenes
beruht auf fehlender (oder verweigerter) zeugen-schaft
sich abseits-haltender.
eine kritische welt-öffentlichkeit könnte dem eine wende geben.
"wahrheits-kommissionen" können den ermordeten
be-achtung zukommen lassen...
Ein vernünftiges Wort zur Scheinheiligkeit der Instrumentalisierung von Erinnerung und Narrationsbildung. Es darf nicht um das richtige Wir gegen das falsche Ihr gehen, nicht um die Konstitution eines Partikularismus, sondern um die Befreiung zum Universalismus. Man störe sich nicht daran, daß das ein bißchen pathetisch formuliert ist. Statt instrumentalisierter Erinnerung die Erinnerung als „Mahnmal an die allgegenwärtige Barbarei“ und die „Banalität des Bösen“. Der erste Schritt dazu ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, die Sache nicht nur vom eigenen Standpunkt aus zu sehen, sondern auch von dem des Anderen. Das führt zu einer Koexistenz des Diversen. Das ist jedoch erst der halbe Weg zur Emanzipation. Der formale Universalismus muß zu einem substantiellen werden, zur Solidarität. Wir sind als Individuen und wir sind als Mitglieder von Kollektiven Partikularitäten, und das ist auch gut so. Aber vor allem sind wir auf eine fantastische Weise Gleiche, sogar als Tierart gleichen wir den anderen, auch wenn manche faszinierend anders sind, sind wir funktional äquivalente Lebensformen. Über allen unseren Differenzen sollten wir diesen Universalismus verstehen. Das ist die Emanzipation von allen destruktiven Arten des Partikularismus. Das Erinnern des Menschseins wurde von Kipphardt auf den Begriff gebracht: Bruder Eichmann.
Schade, dass dieser Artikel den Diskurs um den Zusammenhang von Kolonialismus und Holocaust nicht erweitert. Es fehlt der Bezug zu dem US-amerikanischen Soziologen George Steinmetz, der aus meiner Sicht das beste Gegenmittel gegen eindimensionale Konstrukte ist.
ach, bruder endemann,
wieviel universalismus steckt in putins krieg ?
und wieviel übernahme von putins perspektive
läßt seinen krieg als "militärische spezial-operation"
zur entferning des ukrainischen nazi-krebses
gut-heißen ?
tell us more !
Die Denkzone der Putinomanie.
ach, bruder putin-freund !
ach, bruder endemann,
soll ich Ihnen zuliebe meine ausgeprägte despotie -abneigung,
diesmal parikularistisch auf herrn putin abzielend,
in eine mehr universale russophobie umformen ?
soweit geht meine bruder-liebe nicht !
Mitte der 1980er im Leistungskurs Geschichte in Bayern: Zwar drehte sich der bleiern schwere, graue Unterricht zwei Jahre lang hauptsächlich um Weimarer Republik und Drittes Reich, trotzdem hat es der Lehrbeamte geschafft, die Wörter Holocaust, Shoah, Porajmos nicht ein einziges Mal in den Mund zu nehmen. Zumindest, wenn ich im Unterricht war. Freundinnen und Freunde, die zu der Zeit in anderen Bundesländern aufs Gymnasium gingen, haben sich in den letzten beiden Schuljahren im Geschichtsunterricht fast nur mit dem Holocaust beschäftigt. Meiner Meinung nach beides falsch. Das ganze Ausmaß der Shoah habe ich erst gänzlich begreifen können, als ich das ehemalige Galizien und die ehemalige Bukowina bereiste.
Manchmal beschleicht mich das Gefühl: er hängt da so über Allem, losgelöst von Allem, der Holocaust. Das unendliche Leid und die unendliche Barbarei, sind wie ein Fetisch mit einem Zaun von Tabus umstellt, der eine Aufarbeitung vollkommen unmöglich gemacht hat. Es ist ja auch niemand gewesen... .
Vergleiche erlaubt der bürgerliche Diskurs höchstens mit dem Stalinismus. Wie 2013 im Deutschen Historischen Museum in Berlin, als die Museumsverantwortlichen in einem Stockwerk eine Ausstellung zum Thema "Berlin in der Nazizeit" zeigten, nur um ein Stockwerk darüber eine Ausstellung zu den sowjetischen Gulags zu zeigen. Das Eine mit dem Anderen aufzuwiegen versuchten. Voll daneben oder Schlimmeres und damit sind wir dann wieder im Brandaktuellen und sehen, imho, dass uns unsere ganze fetischisierende Beschäftigung mit dem Holocaust aber so gleich gar keinen Lerneffekt gebracht hat.
Die abschließenden Zitate von Zygmunt Bauman und Nathan Sznaider sprechen mir aus dem Herzen.
Die Diskussion um Holocaust- versus Kolonial-Geschichts-Erinnerung bzw. Strukturalität versus Singularität krankt zunächst vor allem an einer historisch viel zu beschränkten Faschismustheorie. Entgegen dem berechtigten Diktum, dass vom Faschismus schweigen solle, wer nicht über den Kapitalismus reden will, wird in Deutschland seit dem Ende des "3.Reiches" vor allem eine viel zu verengte Faschismustheorie diskutiert, die seine strukturelle Geburt im Kapitalismus, der immer wieder in Schwierigkeiten steckt, im Kern ausklammert und leugnet. Die Weltwirtschaftskrise 1929/1930 wird zwar als wichtig für den Aufstieg der NSDAP begriffen, letztlich wird aber geleugnet, dass die kapitalistische Verwertungskrise inhärent und strukturell immer wieder zu starken faschistischen Strömungen in jeder Gesellschaft führt oder zumindest führen kann, die kapitalistisch organsiert ist. Der Faschismus ist eine wenn nicht gar "die" wesentliche Erscheinungsform des Kapitalismus in großen Krisenzeiten, er ist sein (untauglicher) "Lösungsversuch". Anti-Semitismus, der Hintergrund auf dem der Holocaust möglich wurde, ist auch immer, was wird im Westen sehr sehr gerne vergessen, eine versteckte Kapitalismuskritik. Geboren aus dem Hass auf den Zins (Ohne Zins keine Schuld ohne Schuld kein Kapital), der biblische Sünde und eine Geissel vor allem der Armen und Benachteiligten war und ist, hat sich dieser auf Juden übertragen, weil man diesen über lange Zeit als einzigen erlaubte, Zins- und Bankengeschäfte zu organisieren. Der Hass auf die Verzinsung & Kapitalisierung der gesamten Gesellschaft hat sich danach verselbständigt und von der Anti-Verzinsungs zum Anti-Semitismus verschoben und hat so eine wesentliche Voraussetzung für den Holocaust geschaffen. Als zweite kam die globale Krise des Kapitalismus in den 20'er/30'er Jahren hinzu und als dritte vermutlich die Singularität Hitlers im Zusammenspiel mit eben Kapitalismuskrise und Antisemitismus. Geschichte wird von denen, die unter ihr vor allem bis heute immer noch viel zu oft die eher zufällige Ansammlung von parallelen Ereignissen verstehen nicht im multikausalen ursächlichen Zusammenhang von Strukturentwicklungen gedacht und beschrieben. Dabei gibt es einen roten Faden, der uns vor der unhistorischen Verdinglichug einer vom Himmel gefallenen "Singularität" auch eines Extrem-Verbrechens wie dem Holocaust bewahren kann: Antisemitismus, Kapitalismus, Imperialismus, Kolonialismus und Globale Kapitalismuskrisen sind strukturell wie historisch ineinander verwoben und existieren nicht unabhängig voneinander oder ohne alle anderen Elemente.