Anna Schneider: „Identitätspolitik ist eine Form von Kollektivismus“
Interview Die „Welt“-Journalistin Anna Schneider hält Steuern für Raub und hat ein Buch über Freiheit geschrieben. Hasst sie alle Schwachen? Ein Gespräch über Kapitalismus, freie Marktwirtschaft – und wer sich dort um Pflegebedürftige kümmern würde
So stellen wir uns Anna Schneider beim Twittern vor
Foto: Chris Maggio/NYT/Redux/LAIF
Bei Twitter tritt die Österreicherin Anna Schneider krawallig auf: als Predigerin eines freien Marktes, aber gegen Gendern und „Opfergesellschaft“. Unter Linken hat sie das zum roten Tuch gemacht, die libertäre Bubble feiert sie. Im Axel-Springer-Neubau sprach sie über ihr neues Buch Freiheit beginnt beim Ich. Eine Liebeserklärung an den Liberalismus (dtv). Auf ihrem Arm: ein Tattoo des Bildes „Freiheit oder Tod“ von Regnault.
der Freitag: Frau Schneider, viele Leute in meinem Umfeld haben mir vor dem Interview gesagt: Mach das nicht, die ist ein rechter Twitter-Troll! Hören Sie das oft?
Anna Schneider: Ach, da schwingt immer dieses entbehrliche Gerede vom Keine-Bühne-Geben mit. Ich kann nicht behaupten, dass ich das selten höre. Wob
de vom Keine-Bühne-Geben mit. Ich kann nicht behaupten, dass ich das selten höre. Wobei ich erschreckend finde, dass sich Leute zu solchen Statements hinreißen lassen. Was ist bitte schön rechts an mir?In Ihrem Buch bezeichnen Sie sich selber als Extremistin.Das ist aber ironisch gemeint! Ich zitiere einen Twitter-User, der mich mal Freiheitsextremistin genannt hat. (lacht) Radikal, ja, das bin ich in meinen liberalen Ansichten. Aber Extremistin? Nee, ganz sicher nicht.Micky Beisenherz hat einen Shitstorm dafür bekommen, dass er Ihre Buchpremiere moderiert.Ja, tat mir total leid, dass er meinetwegen so viel Stress hatte. Aber auf welcher Grundlage hat man ihn verurteilt? Kontaktschuld? Das ist doch lächerlich! Micky ist politisch oft ganz anderer Meinung als ich. Das auszuhalten ist eine Frage der Ambiguitätstoleranz. Und wir mögen uns sogar trotzdem.Vielleicht spüren Ihre Kritiker, auf was für eine Gesellschaft Sie es abgesehen haben. In Ihrem Buch widmen Sie der Kapitalistin Ayn Rand ein eigenes Kapitel, um sie zu feiern. In deren Werk „The Fountainhead“ von 1943 werden Leute in armen Ländern als „Wilde“ bezeichnet und der Romanheld vergewaltigt eine Frau.Das ist ekelhaft, ja. Aber wir müssen uns jetzt nicht darüber streiten, was Kunst alles darf – oder? Wir feiern doch auch, wenn bei Caravaggio die Judith dem Holofernes den Kopf abschneidet. Das ist Mord, aber eben kein echter. Bei Rand kriegen deutsche Journalisten vor allem deswegen Ausschlag, weil sie eine amerikanische Individualistin ist.Na ja, Ayn Rand hat ja nicht nur Fiction geschrieben. Dann sprechen wir über ihre politischen Essays. In „Die Tugend des Egoismus“ wird die Frage aufgeworfen, wer sich in einer komplett freien Marktwirtschaft um die Behinderten kümmert. Rands Antwort: Wenn Sie das übernehmen wollen, dann nur zu! Hauptsache keine staatlichen Einrichtungen.Das muss man jetzt nicht so negativ sehen, wie Sie das sagen.Ich sehe das nicht negativ, ich finde das kriminell.Pff, kriminell, ich bitte Sie! Der Punkt von Rand ist der: Egoisten leben nicht auf Kosten anderer. Sie bestreitet keineswegs, dass Menschen einander helfen können – die Entscheidung, das zu tun, liegt aber immer beim Individuum.Bedeutet Liberalismus „Mehr Du wagen“? Christian Lindner redet so, um die FDP vom egoistischen Nimbus zu befreien.Ganz schlimm. Warum nicht mehr Ich wagen? (lacht)Was halten Sie denn von der FDP?Oft wird die FDP rein als wirtschaftsliberale Partei betrachtet, die für weniger Staat, Steuern etc. steht. In dieser Analyse gehen mir die identitätspolitischen Liebäugeleien von Leuten wie Agnes Strack-Zimmermann zu sehr unter. Sie hat kein Problem mit Gendern.Sie haben doch selber Gender-Studies studiert, 2019 in Wien.Ja, ich bin eine Veteranin! (lacht) Das war ein Selbstversuch, um eine Idee davon zu bekommen, was ich da eigentlich kritisiere. Ich habe auch Prüfungen absolviert und mich bei einem Referat für das Gender-kritische Buch Beißreflexe entschieden, in dem es auch einen Beitrag von Vojin Saša Vukadinović gibt. Da meinte die Professorin zu mir, der wäre ein Nestbeschmutzer, weil er auch Gender-Studies studiert hat und nun so kritisch ist. In dem Moment konnte ich schlecht sagen, dass es bei mir ganz genau so ist. Am Ende habe ich eine Eins bekommen für den Vortrag. Oder, hm, eine Zwei? Irgendwie so was.Für mich ist Identitätspolitik Ausdruck einer total liberalen Gesellschaft: Da geht es um Quoten in Aufsichtsräten, nicht um Steuern.Diesen Punkt machen viele intelligente Linke, auch Bernd Stegemann. Da reichen wir uns die Hand: Identitätspolitik ist nicht links, also nicht im sozialdemokratischen Sinn. Aber sie ist ebenso wenig liberal, weil es sich um eine Form von Kollektivismus handelt. Diese Leute gucken nicht, was zwischen ihren Ohren so los ist, sondern stecken sich in eine Schublade – sortiert nach Hautfarbe, Religion, sexueller Neigung usw. Das ist Pseudoindividualismus. Keiner will mehr einzeln sein.Wollen Sie denn einzeln sein?Ich glaube, ich bin einzeln.Placeholder infobox-1Sie haben noch eine Zwillingsschwester.Ja, des hab i. (lacht)Teilt die Ihre Meinung?Ne, die ist links. Mit der kann ich mich genauso schön streiten wie mit Ihnen gerade.Der Liberalismus, dem Sie eine „Liebeserklärung“ geschrieben haben, hat verschiedene Spielarten: linksliberal gehört dazu.Nein, sorry, sobald man ein Präfix vor liberal setzt, wird der Begriff verwässert.Sie bezeichnen sich doch selbst als „brutalliberal“?!Moment, Moment. Brutalliberal verstärkt das Wort liberal. Sozialliberal nennt man sich, wenn man sich mehr staatliche Leistungen wünscht. Und das steht im Widerspruch zu liberal.Ayn Rand nennt alle „Parasiten“, die auf den Staat angewiesen sind. Tun Sie das auch?Nein, ich finde das Wort schlimm. Das ist, als würde man Menschen als Ratten bezeichnen. Es muss auch nicht jeder so radikal sein wie Rand – mitnichten! Aber ich finde wichtig, dass radikale Positionen vertreten werden. Einfach zur Kalibrierung. Alle wollen immer in die Mitte, die FDP auch. Aber die Mitte ist der Kompromiss, nach dem niemand gefragt hat. Pluralismus hingegen lebt von unterschiedlichen Meinungen. Radikale Linke gehören für mich übrigens dazu: Ich würde mich, echt jetzt, nicht freuen, wenn die Linke aus dem Bundestag fliegen würde.Das klingt bei Twitter anders.Das liegt am Medium. Da funktioniert alles über kurze Botschaften. Einigen ist das wohl zu hart, zu unsympathisch. Das ändert sich aber oft, sobald die mich kennenlernen.Mögen Sie Martin Sellner?Den Sprecher der Identitären Bewegung? Mit dem habe ich nichts gemein. Das würde ich meinen linken Freunden und Nicht-Freunden gerne entgegensetzen, wenn sie zu mir sagen, ich bin rechts: Nation, Religion, traditionelles Familienbild – das ist nicht meine Welt.Wie halten Sie es mit Steuern?Steuern sind Raub. Legalisierter Raub, da gibt es nichts schönzureden. Was soll das sonst sein?Ausgleich einer prädistributiven Ungerechtigkeit?Blödsinn. Da wird einem unter Gewaltanwendung Geld abgeknöpft.Also zahlen Sie keine Steuern?Doch, leider. Als Liberaler ist man der Meinung, dass es Regeln und Ordnung braucht, wenn man unter Menschen lebt. Ich werde jetzt nicht alles umschmeißen und einen neuen Staat gründen. Mir fehlen aber Menschen, die das System mal ganz grundsätzlich in Zweifel ziehen: dieses Höchststeuerland, die viele Umverteilung ...Das finde ich irre in Ihrem Buch: Sie tun so, als sei hier der Sozialismus ausgerufen worden. Erinnern Sie sich an die Piketty-Studie aus dem Jahr 2017: Deutschland ist so ungleich wie zuletzt vor 100 Jahren im Kaiserreich.Ich sage ja nicht, dass wir kurz vorm Sozialismus stehen. Ich würde es aber auch nicht abwarten wollen. Ich sage, wenn die Sozialdemokraten es schaffen, in der Ampel ihre Ideen durchzudrücken, machen wir uns kaputt. Es vergeht ja keine Woche mehr, ohne dass Saskia Esken einen neuen Umverteilungsplan vorstellt.Was halten Sie vom Ayn-Rand-Modell der freiwilligen Steuern?Finde ich super!Und was passiert in Ihrer Utopie mit behinderten Menschen?Warum soll es Behinderten in einem liberalen Staat schlecht gehen? Warum soll es da niemanden geben, der sagt, das ist meine Lebensaufgabe, mich um diese Menschen zu kümmern? Man kann mit Pflege doch auch Geld verdienen.Viele Betroffene werden das nicht bezahlen können. Und dann?Wer eine Leistung erbringt, muss dafür eine Gegenleistung bekommen. Aber wenn ich sage, ich will einen Minimalstaat, heißt das nicht, dass es kein Netz geben soll für diejenigen, die sich wirklich absolut nicht selber helfen können.Also doch Sozialstaat, Steuern ...?Ich bin für eine verträgliche Mischung.Für die Mitte? Den Kompromiss?Jajaja, lassen Sie mich mal erklären. Also: Ich erkenne an, dass es den Staat gibt. Ich finde nur, dass er sich auf seine grundlegendsten Aufgaben beschränken sollte. Die deutsche Vorliebe für den fetten Wohlfahrtsstaat teile ich nicht.Wie weit muss Deutschland nach links, damit Sie auswandern?Na ja, es ist nicht gerade so, dass Österreich das Land der Freiheitshelden wäre. Aber da ist es irgendwie entspannter, es herrscht eine angenehme Wurschtigkeit. Dafür würde ich vielleicht wirklich wieder zurückwandern.Placeholder authorbio-1
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