Annäherung

Im Kino "Die Dolmetscherin" von Sydney Pollack

Sacht erfüllt dieser Film, was eigentlich die Aufgabe jedes Politthrillers ist: das aktuelle Klima einzufangen. Die machtpolitischen Alleingänge der USA werden beiläufig angesprochen, die amerikanische Skepsis gegenüber der Diplomatie im Allgemeinen und den Vereinten Nationen im Besonderen schwebt wie ein Damoklesschwert über seiner Handlung, ohne freilich das letzte Wort zu behalten. Diese Diskretion darf man indes schon als Tugend begrüßen, immerhin ist der Zeitbezug diesem Genre in Hollywood letzthin doch sträflich abhanden gekommen.

Dazu gehört schließlich immer auch ein Interesse an Kulturen jenseits der eigenen Landesgrenzen. Die UNO stellt in dieser Hinsicht eine verdrießliche Herausforderung dar, als eine Exklave ungeliebter Internationalität mitten in Manhattan. Sydney Pollacks Thriller spielt mithin für amerikanische Zuschauer auf metaphernreichem Terrain. Die Titelheldin, die Dolmetscherin Silvia Broome (Nicole Kidman) hört durch Zufall mit an, dass der Herrscher des fiktiven afrikanischen Staates Maboto während einer Rede vor der Generalversammlung ermordet werden soll. Der für den Personenschutz zuständige Agent des amerikanischen Secret Service, Tobin Keller (Sean Penn), begegnet ihr mit äußerstem Misstrauen. Silvia stammt selbst aus Maboto, ihre Vergangenheit scheint ihre Glaubwürdigkeit als Zeugin zusehends zu kompromittieren.

Es mag zwar fraglich sein, ob Pollacks Thriller über Ideale und ihre Korruption später einmal den Rang eines Schlüsselfilms einnehmen wird wie sein vor 30 Jahren entstandenes Meisterwerk Die drei Tage des Condor. Dessen paranoide Geheimdienstintrige mündete in der Ungewissheit, ob die Furcht der Amerikaner, bald könnten die Zapfsäulen ihrer Tankstellen versiegen, sie nicht einen Überwachungsstaat akzeptieren ließe.

Das Dilemma dieses Regisseurs besteht darin, dass sich seine Filme einerseits zu einem staunenswerten Anteil in glücklicher Eintracht befinden mit den Bedürfnissen der großen Studios, mithin des Mainstream-Publikums - und andererseits stets die Ambition eines Autorenfilms geltend machen. Dieser Widerspruch spiegelt sich zuverlässig in der Struktur seiner Filme, in denen eine private Geschichte mählich neben der Handlung eines etablierten Genres an Kontur gewinnt. Pollack lässt sich die Drehbücher stets von einer Vielzahl an Autoren schreiben - der Vorspann verzeichnet allein fünf; am Ende des Abspanns wird überdies verschämt der Roman The Interpreter von Susan Glass als Quelle der Grundidee genannt. Diese Vielstimmigkeit der Perspektiven ist Garant eines faszinierenden Paradoxons. Einerseits erklärt sich aus ihr die überaus komplexe Logistik des Plots, wo jede gewissenhaft gewonnene Klarheit sogleich Widerspruch und Zweifel nach sich zieht. Andererseits schwört der Regisseur seine Autoren darauf ein, das emotionale Rückgrat der Geschichte zu finden, jenen thematischen und affektiven Strom, der alle Erzählimpulse bündelt.

Der Dolmetscherin eignet ein umsichtiger Erzählrhythmus, in dem sich behutsam Atmosphäre und Plot verdichten. Pollack nimmt sich gebührend Zeit für die privaten Tragödien seiner Protagonisten, für deren unverwundenen Verluste und die Schwierigkeit, heimzukehren. Er hat ein Faible für Charaktere, die die Liebe verlegen und befangen macht. Pollacks Romanzen basieren stets auf der Gegensätzlichkeit ihrer Lebensprinzipien; ohne die Wendungen des Plots würden sich seine Hauptfiguren gewiss nie begegnen. Weshalb man diese Parallelführung auch nie als einen Wechsel der Ebenen wahrnimmt, sondern als deren stetige Verknüpfung. Ihr professionelles Ethos macht die Dolmetscherin und den Secret-Service-Beamten zu Antipoden: Sie konzentriert sich auf Stimmen, er auf Gesichter; sie muss Begriffe präzis voneinander unterscheiden können, während er den Worten misstraut. Es braucht seine Zeit, bis er von ihr lernt, dass die Wahrheit immer einen spezifischen Kontext hat.

Im Wiederholen von Schauplätzen und Dialogstellen besiegelt der Film die mühsam gewonnene Vertrautheit der Figuren, und etabliert zugleich seine eigene Mythologie. Die Dolmetscherin richtet sich an aufmerksame Zuschauer, die auch eine Kinostunde später noch den Wortlaut erinnern, den eine Figur benutzt hat. In der Systematik, mit welcher der Film Schauplätze und Dialoge aufgreift, lädt er ein, an ihrem Erfahrungsprozess teilzuhaben. Bei einem Pollack-Film offenbart sich oft erst beim zweiten Sehen, wie zuverlässig in der Konstruktion Saat und Ernte miteinander verbunden sind.


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