Von Helmut Schmidt bis Annalena Baerbock – der Trenchcoat ist in
A-Z Weil er praktisch war, trugen ihn die Soldaten der britischen Armee, später Filmstars und Politiker:innen. Jetzt hat Annalena Baerbock den Trenchcoat wieder hip gemacht. Zeit, dem Mantel ein Lexikon zu widmen
Antibes Wir waren in Nizza und fuhren nach Antibes, die kleine südfranzösische Hafenstadt, wo Picasso malte und lebte. Wir besuchten sein ehemaliges Atelier, schlenderten über den Markt und gingen dann in die Absinth-Bar (zu stark!). Auf dem Rückweg fiel mir ein unauffälliger Stand auf, eigentlich war es nur ein Kleiderständer, eine ältere Frau saß daneben auf einem Korbstuhl. Nichts Besonderes, nur dieser Trench, wie aus einem Romy-Schneider-Alain-Delon-Film, als hätten sie ihn hier vergessen. Ich probierte das Vintage-Teil, beige, mit Stoff ➝ gürtel, für 150 Euro (er soll mal mehr als 20.000 Francs wert gewesen sein, erklärte mir die Frau).Ich war keine Französin, aber wollte mich wie eine fühlen. Und kaufte i
n, aber wollte mich wie eine fühlen. Und kaufte ihn. In Berlin hängte ich den Trench in den Schrank, den Designerbügel hatte ich gleich miterstanden. Seitdem hängt er da, seit Jahren, ich ziehe ihn nie an, so als würde ich auf „die“ Gelegenheit warten. Womöglich ist Berlin einfach nicht der Ort fürs Verwegensein. Maxi LeinkaufBBritpop Paul Weller, der Modfather, der Godfather of Britpop, ist ein Mann, der einen Ruf zu verteidigen hat. Den, einer der glamourösesten Männer Großbritanniens zu sein. Seit seinen frühen, wilden Jahren mit den Mod-Punkern von The Jam ist der 1958 geborene Weller eine Stilikone. Ein Dandy, der gerne durch die verschiedensten musikalischen Genres flaniert, der aber weiß, wo er herkommt. Tief aus den soulbeseelten Sixties. Weller ist einer, der immer schon ein paar Jahre vorher ahnt, was demnächst cool sein wird. Und das auch modisch: Seiner Liebe zum Trenchcoat frönte er von Anfang an. Eine Fotografie zeigt ihn neben seinem großen Vorbild Pete Townshend von The Who, natürlich auch im Trenchcoat. Auf dem ersten Album seiner Band The Style Council trägt Weller einen Trench, Mick Talbot auch. Eleganter und stilsicherer sah Britpop nie mehr aus. Marc PeschkeCColumbo War es ein Trenchcoat oder ein beiger Regenmantel, der zu seinem Markenzeichen wurde, darüber streiten sich die Geister. Egal wie das Klima in Kalifornien ist, Inspektor Columbo legt ihn nicht ab. Darunter trägt er einen schlecht sitzenden Anzug, ebenfalls zerknittert und verblichen. Gern kramt er in seinen vielen Taschen nach Dienstausweis, Notizblock, Stift, Streichhölzern – und findet plötzlich ein Beweismittel. Übermüdet und unrasiert steigt er aus seinem Peugeot 403 Cabriolet, Baujahr 1959, schick, aber mit Unfallschäden. Wie ein armer Trottel will er uns erscheinen, so zerstreut, wie er ist. Perfekte Tarnung? Oder müssen wir unsere Vorstellungen von Perfektion überdenken? Denn plötzlich greift er sich an den Kopf und hat die Lösung, die einen arroganten, oft reichen Verbrecher entlarvt. Faszinierend, dieser Detektiv.Die 69 Episoden der US-amerikanischen Fernsehserie, von 1969 bis 2003 mit Unterbrechungen produziert, wurden auch hierzulande populär. Das Original des Trenchcoats gehörte übrigens Columbo-Darsteller Peter Falk, der in der allerersten Folge fror. Irmtraud GutschkeDDresscode Wer Stil ernten will muss Wissen säen. Spätestens wenn man auf einer dieser kruden Hochzeiten war: Männer in Zuständen des Polyesterzuschnitts, die mit ihrer Anzugjacke kreisend einen jeden Cowboy blamieren. Der Deutsche-Welle-Moderator Gerhard Elfers hat in vielen Folgen seiner Serie „Dresscode“ den Männern dieser Zeit wieder Stil eingehaucht. Einmal widmet er sich dem Klassiker, genauer gesagt, seinen Details, die seine Geschichte erzählen. Wussten Sie, dass die Schnallen am ➝ Gürtel des Trenchcoats eigentlich für Handgranaten gedacht waren? Oder dass die Frontpartie als Gewehrklappe verhinderte, dass beim Anlegen der Waffe der Regen in den Mantel lief (➝ Military)? Jan C. Behmann GGürtel Sie sind ein wichtiges Teil am Trenchcoat. Da lohnt ein „Genderblick“: Frauen ignorieren oft die Schnalle, sie binden den Gürtel (➝ Antibes) lässig zu einem Knoten. Schauspielerinnen der 1950er, 60er Jahre trugen ihn so. Audrey Hepburn zum Beispiel in Breakfast at Tiffany’s. Mit dem Knoten wird ein uniformes Kleidungsstück nonkonformistischer. Für manche Figuren ist es besser, wenn der Gürtel hinten locker gebunden ist. Funktionslos, nur so als Accessoire. Männer tragen den Trenchcoat meist offen oder mit korrekt geschlossenem Gürtel, aber nicht immer. Auch die Gürtelsitten lockern sich – und die Geschlechter gürten sich ähnlich. Magda Geisler KKanadisch Mit 20 kaufte ich mir in Buenos Aires Julio Cortázars Anti-Roman Rayuela. Ich verstand das meiste, aber natürlich nicht alles. Der Protagonist Horacio Oliveira hüllt sich dabei immer wieder in eine Canadiense, was man als Kanadische oder Kanadierin übersetzen kann. Weil der erste Teil des Buchs im Paris der 1960er spielt und diese Canadiense einen Kragen hat, den Oliveira immer wieder hochschlägt, schloss ich: Das muss ein Trenchcoat sein. Und speicherte das Wort ab. Später stellte sich heraus: Weder bedeutet „canadiense“ etwas anderes als kanadisch, noch gibt es ein spanisches Wort für Trenchcoat. Klar, weder in der trocken-heißen Extremadura noch im subtropisch-heißen Sommer in Buenos Aires braucht man einen. In Kanada schon eher. Bleibt das Rätsel: Warum verwendete Cortázar dieses seltsame Wort? Und was meinte er damit? In meinem Kopf wird Oliveira jedenfalls weiterhin einen Trench tragen. Leander F. Badura MMilitary Die wahre Geburt des Trenchcoats fand im Schützengraben statt. Ende des 19. Jahrhunderts für die britische Armee erfunden, begleitete er das hunderttausendfache Sterben im Stellungskrieg. Vom Graben (Englisch: trench) stammt sein Name. Danach eroberte das Stück die Modewelt, als frühes Beispiel des Military-Looks, der zivile Kleidungsstücke mit militärischen kombiniert. In der 68er- und Friedensbewegung war der aus der Bundeswehr stammende Parka beliebt, weil er so praktisch ist (➝ Unauffällig). Bomberjacken wurden bei Skinheads und später Neonazis zur uniformen Stilikone. Mittlerweile gehört Military-Look zum Mainstream. Oft werden Tarnmuster extra auf normale Kleidung aufgedruckt. Bei den Cargohosen, jenen mit Taschen im Oberschenkelbereich, fühlen sich nur wenige an deren Ursprung in den US-Feldhosen des Zweiten Weltkriegs erinnert. Glaubt man einem Onlineshop, kommt der Trenchcoat der DDR-Volkspolizei zurück. Hoffentlich nicht.Tobias PrüwerPPopeline Das Wort leitet sich vermutlich vom französischen „papelaine“ ab, das ursprünglich einen Seidenstoff bezeichnete, später ein Gemisch von Wolle und Seide, wie es gerade für die kalte Jahreszeit das Beste ist. Trenchcoats bestehen häufig aus Popeline: nur aus Baumwolle oder gemischt mit Polyester, damit sie nicht knittern (➝ Columbo). Auf das Material kommt es bei diesem Begriff indes nicht an, sondern auf die „Leinwandbindung“, die entsteht, wenn eine feine, dichte Kette mit einem weniger dichten, aber dicken Schussfaden verwoben wird. Wen interessieren solche Web-Besonderheiten heute noch? Ob ein Trenchcoat aus Popeline („Leinwandbindung“) oder Twill („Körperbindung“) besteht, wird oft gar nicht mehr ausgewiesen. Irmtraud GutschkeTTrenchcoat Mafia Im gelben Trenchcoat kämpft Dick Tracey gegen die Gangster im Chicago der Dreißigerjahre. Zwar ist der Detektiv nur ein Cartoonheld, die Mafia gab es. Al Capone kontrollierte damals das Syndikat namens Chicago Outfit, man trug aber Anzug. „Trenchcoat Mafia“ soll sich eine Gruppe von Schülern genannt haben, zu denen die zwei Amokschützen gehörten, die 1999 in der Columbine High School zwölf Schüler und einen Lehrer töteten. Diese Gruppe sei Anhänger einer Gothic-Subkultur gewesen und von anderen Mitschülern gemobbt worden. Darin suchten Politik und Medien damals den Grund für das sinnlose Morden. Die Clique hat es so nicht gegeben. Wie Journalisten später herausfanden, wurde der Trenchcoat umsonst als Symbol des Unfassbaren bemüht. Tobias PrüwerUUnauffällig Der uniforme Dress der Siebzigerjahre stammte aus US-Militärbeständen und war von einem schmutzigen Olivgrün. Der Parka war überaus praktisch, wenn man nachts einen besetzten Bauplatz bewachen musste, und eine super Tarnung, etwa bei Auseinandersetzungen mit der Polizei (➝ Military). Alle sahen wir gleich aus, und die Kapuze fiel, wenn ich mich recht erinnere, nicht unters Vermummungsverbot. Die auffällige Unauffälligkeit teilt der Allzweckanorak mit dem Trenchcoat, mit dem sich die Gegenseite verkleidete. Nichts stach mehr ins Auge als der Mann im beigen Mantel, der sich so angestrengt unsichtbar unters Volk mischte. Die Mimikry teilten wir, die Ziele nicht. Ulrike BaureithelVVolljährig Der Trenchcoat war für mich immer das erwachsenste Kleidungsstück, das ich mir vorstellen konnte, man sah eben sehr elegant angezogen (➝ Britpop) aus. Als Teenagerin machte ich mir dieses vermeintliche Attribut zunutze und klaute meiner Mutter ihren Trenchcoat aus dem Schrank. Ich stellte mich vor Berliner-Club-Türen in die Schlange und hoffte mit meinem volljährigen Look problemlos die Alterskontrolle zu überwinden. Zu meiner Überraschung hat das auch in den meisten Fällen geklappt. Ich muss zugeben, dass ich nicht nur den Mantel meiner Mutter, sondern auch ihren Ersatz-Autoschlüssel hatte, den ich dann vor den Türstehern kurz aus der Tasche gezogen und – total lässig – damit rumgewedelt habe.Die Nächte waren natürlich nie so gut wie das Reinkommen. Und es war auch immer eine echte Tortur, den Trenchcoat wieder in den Originalzustand zu versetzen. Rauchgeruch und Getränkeflecken sind schwer rauszukriegen, auch als Erwachsene.Clara von RauchZZustand Ein Superheldenkostüm trug Hans-Dietrich Genscher nur in den Genschman-Comics, mit denen die Titanic dem allgegenwärtigen Außenminister ein Denkmal setzte. Einmal streifte er sich zwar aus Jux eine Fledermausmaske über, doch der Trenchcoat war die bevorzugte Arbeitskleidung. Das färbte aufs Personal ab. Ein Gruppenfoto des Arbeitsstabs des Auswärtigen Amtes auf dem Roten Platz in Moskau 1990 zeigt alle sieben Herren in dem nässeabweisenden Textil. Legendär ist auch die Trenchcoattreue des ideellen Gesamtstaatsmannes Helmut Schmidt, der sich erst von seinem blauen Lieblingsexemplar trennte, als ihn seine Sekretärin darauf hinwies, dass es aufgrund seines zerschlissenen Zustands eine Reinigung nicht überstehen würde. Das könnte Annalena Baerbock, die diese Tradition farbenfroh weiterpflegt, wohl nicht passieren. Joachim Feldmann