Anpfiff

Spielzeitauftakt Einige Theater wechseln in dieser Saison den Trainer aus und in China gab es eine Rote Karte
Ausgabe 38/2018

Wer wird sich nicht auf den nächsten Castorf freuen (Galilei im Berliner Ensemble mit Jürgen Holtz) oder auf das Experiment von Lars Eidinger und Vegard Vinge an der Berliner Schaubühne? Oder auch darauf, als auf Performance gestimmter Besucher demnächst in die Welt hinter der Mauer von Ilja Krsanowskis Dau in Berlin-Mitte einzutauchen?

Das sind einige bevorstehende Aufmerksamkeitshighlights, die – insbesondere aus der Perspektive eines Berliner Schreibtischs – manchmal vergessen lassen, dass Theater hierzulande eine beinahe flächendeckende Angelegenheit ist. Und zuallererst von einem Publikum in seinen regionalen Zentren wahrgenommen wird. Dieser Saisonauftakt ist auch der sogenannte Neustart für zahlreiche Theater, die mit einer neuen Leitung ein Versprechen auf die Zukunft ihrer Häuser geben. Im Moment ist die selbstredend tautologische Lieblingsvokabel von neuen Intendanten, ein „relevantes Theater“ anzukündigen. In Stuttgart zum Beispiel folgt auf Armin Petras als Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski, der dafür aus Mannheim wechselt, wo auf ihn wiederum Christian Holtzhauer vom Kunstfest Weimar folgt. Den dem Theater nicht so Zugeneigten mag das wie die manchmal abrupten Trainerwechsel in der Bundesliga erscheinen, aber es handelt sich hierbei um planvolle Neuberufungen mit mindestens anderthalb Jahren Vorlauf zur Programmvorbereitung und Ensembleneuzusammenstellung. Was einen natürlich sofort daran erinnert, wann denn der Berliner Kultursenator die nächste Intendanz der Volksbühne zu entscheiden gedenkt oder in München eine Lösung für die Kammerspiele nach Matthias Lilienthal bekannt gegeben wird. Zu den Neustarts gehört auch eine neue Intendantin, Bettina Jahnke in Potsdam. Womit die Frage nach den Frauen an der Spitze von Theaterleitungen eine gewisse Richtung bekommt. Nächstes Jahr übernimmt Sonja Anders, bis eben noch Chefdramaturgin am Deutschen Theater Berlin, in Hannover, und man erkennt daran, dass dieser Schritt von der leitenden Dramaturgin zur Chefin eines Theaters inzwischen zu einem ganz normalen Karriereaufstieg gehört.

Nicht normal waren die Auseinandersetzungen um die propalästinensische Bewegung BDS bei der Ruhrtriennale, deren Leiterin Stefanie Carp wegen der Einladung der Band Young Fathers in eine Gemengelage geriet, bei der niemand gewinnen konnte. Das mit dem BDS und seinen ganz unterschiedlich gearteten Anhängern brodelnde Phänomen von Boykott und Gegenboykott dürfte die hiesige Theaterszene und insbesondere die Veranstalter von internationalen Programmen (die es ja mittlerweile auch an vielen Stadttheatern gibt) auf lange Sicht beschäftigen. Es ist an der Zeit, dafür ein paar für alle geltende Regeln festzulegen, soll der internationale Austausch im Theater nicht ernsthaft beschädigt werden. Die könnten etwa so aussehen, dass Boykottaufrufe und Agitation auf deutschen Bühnen zu unterbleiben haben, während der Status und die tatsächliche Einstellung zum Staat Israel von Sympathisanten in dieser losen, nicht als Organisation strukturierten Bewegung ohnehin schwer festzustellen ist. Andernfalls entsteht die schizophrene Situation, dass etwa der Belgier Alain Platel, dessen wunderbare Inszenierungen nur mit staatlichen Subventionen möglich sind, sanktioniert werden müsste, während ein Roger Waters seine kommerziellen Konzerte praktisch ungehindert als Plattform für BDS-Propaganda benutzen kann. Hier braucht es Moderation und Verabredungen, aber auch eine klare Linie dafür, die von Organisationen wie dem Deutschen Bühnenverein und dem ITI (Internationales Theaterinstitut) abgesteckt sein sollte.

Zerrissenheit, Zensoren

Ohne klare Linie musste die Berliner Schaubühne ihre China-Tournee abbrechen, weil offenbar Zensoren, die Thomas Ostermeiers mittlerweile legendäre Volksfeind-Inszenierung zunächst ohne Einwände begutachteten, vor den Äußerungen des Pekinger Publikums in der zur Teilnahme offenen Volksversammlungsszene erschraken. Dass China in den letzten Jahren nicht nur ein faszinierendes Interesse an europäischem Theater zeigt und dabei einen auch für deutsche Theater verheißungsvollen Markt darstellt (der Freitag 20/2018), diese Entwicklung dürfte damit einen ziemlichen Rückschlag erfahren haben. Dass die Tourneeleitung der Schaubühne sich äußerst diplomatisch verhalten hat und darauf verzichtete, auf europäische Standards der Meinungsfreiheit zu pochen, um die chinesischen Kontrollfunktionäre nicht noch weiter zu reizen, darf man in diesem Fall als ausgesprochen besonnen bezeichnen. Was das für die Zukunft der deutschen Theaterlieblinge in China bedeutet, ist indes noch nicht abzuschätzen.

Beide Beispiele zeigen auf unterschiedliche Weise, wie die Auseinandersetzungen um die Kunstfreiheit in einer wieder ideologisierten Welt das Theater erreicht haben. Wobei man präzisieren muss, es geht zunächst einmal darum, in welchem Kontext Theater gezeigt wird. Gerade die immense Unvergleichbarkeit zwischen der künstlerisch gefeierten Ruhrtriennale und einem deutschen Gastspiel in China könnte aber zusätzlich dafür sensibilisieren, wie die Dinge im Einzelnen zu betrachten sind. Um Eingriffe in die künstlerische Produktion muss man sich hier vorerst keine Sorgen machen. Und doch hat die Welt mit ihrer neuen Zerrissenheit das Theater längst erfasst.

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