Die kleine Gruppe HKS 13, benannt nach der im Druckgewerbe üblichen Bezeichnung für eine knallrote Offsetfarbe, hat vor vier Jahren begonnen, Plakate politischer, autonomer und sozialer Bewegungen zu sammeln, zu fotografieren und thematisch zu erfassen. Zunächst glaubte HKS 13, kaum mehr als 1.000 Plakate finden zu können, doch mittlerweile ist der Bestand auf über 9.000 aus den vergangenen 35 Jahren angewachsen. Hier eine kleine Auswahl.
Wer macht sich schon die Mühe, trockene Diskussionspapiere oder Flugblätter von vor zehn, zwanzig Jahren nachzulesen? Und an was erinnern sie? An endlose Streitereien um Halbsätze und faule Formulierungskompromisse. Wie viel einfacher und erfreulicher ist es, alte Plakate anzusehen und sich an nächtliche Rundg&
8;chtliche Rundgänge im Kiez mit Kleistereimer und Quast zu erinnern. Manchmal mit der Sorge, beim wilden Plakatieren erwischt zu werden, ganz sicher aber mit der Vorfreude, bei Tageslicht die Früchte der nächtlichen Plackerei bewundern zu können. "Plakat" kommt übrigens wirklich von "anplacken", wie ankleben. Und wie viel schöner und interessanter ist doch eine frisch plakatierte Mauer im Vergleich zu einer frisch getünchten! Plakate sind nur sehr flüchtige Begleiter sozialer und politischer Bewegungen. Kaum sieht man sie an einer Hauswand, einem Bauzaun oder einem S-Bahn-Brückenpfeiler, schon sind sie wieder unter den aktuellen Konzerthinweisen verschwunden, vom Regen oder eilfertigen Saubermannhänden entfernt. Die wenigsten gilben friedlich im Lauf der Monate vor sich hin und erinnern den interessierten Betrachter noch länger an Veranstaltungen, Aktionen oder Ereignisse vergangener Tage. Über einen längeren Zeitraum zusammengenommen sind sie ein visueller Speicher engagierter Praxis und (linker) Geschichte. Die üblichen Plakatrollen unter dem Bett enthalten allerdings nur schwer aufdrehbare Papierwürste, die beim Betrachten zusammenschnappen und die als Plakatbeschwerer aufgelegte Kaffeetassen schnell mal auf den Teppich befördern. Und manche Sammlungen bestehen aus der halben Auflage eines Plakates, weil man es einfach nicht geschafft hat, sie noch zu verteilen oder gar zu kleben - höchstens ihre unbedruckte Rückseite ist für malwütige Kindergartenbelegschaften noch von Interesse. Die wenigsten besorgen sich irgendwann Planschränke oder große Mappen für ihre Plakatschätze, viel öfter wandern alte Plakate bei Umzügen oder nach dem Ende der eigenen politischen Aktivitäten auf den Müll. Nehmen wir die Spur der anarchisch geklebten Plakate bis zurück in die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf! Die Poster der APO erzählen Geschichte(n), die die heutigen PlakatkleberInnen kaum mehr kennen. Zum Beispiel diese: In der Nacht zum 4. Februar 1966 wurde von Leuten aus dem Vietnam-Arbeitskreis des SDS in sieben Berliner Bezirken und an der Freien Universität zweifarbig gedruckte Plakate im A2-Überformat geklebt, auf denen eine "Internationale Befreiungsfront" auch heute noch bedenkenswerte Aussagen zur internationalen Situation verbreitete. Leider wurden fünf PlakatkleberInnen von der Polizei erwischt, und das löste im Berliner SDS anhaltende Debatten aus. Von älteren SDS-Mitgliedern wurde dem Plakat "schlechter Satzbau" vorgeworfen, und es wurde sogar überlegt, die Delinquenten aus dem Verband auszuschließen. Auf einem danach angesetzten Jour fixe des SDS zum Thema "Legalität und Illegalität", an dem 150 SDS-Mitglieder teilnahmen, wurde acht lange Stunden auch über die Bedeutung jener Plakataktion diskutiert. Die Plakate der Chile-Solidarität nach dem Militärputsch 1973 oder die der Anti-Apartheidbewegung, der vielleicht ältesten aber auch erfolgreichsten Solidaritätsbewegung, erzählen von den internationalistischen Anstrengungen für eine gerechtere Welt - Vorläufer der heutigen "Anti-Globalisierungsbewegung", deren Plakate aktuell immer wieder zu finden sind. Kritisch lässt sich die Abbildung des in Genua getöteten Carlo Giuliani betrachten. Sein Gesicht ist nicht erkennbar, alleingelassen liegt er vor heranstürmenden schwer gerüsteten Polizeitruppen da. Ist solch ein Plakat wirklich geeignet, die Hoffnungen auf eine bessere Welt und die Erinnerung an einen - wie auch immer - von Staatsdienern erschossenen Globalisierungsgegner darzustellen? Im Unterschied dazu das berühmte Bild vom 2. Juni 1967, das den sterbenden, aber als Person erkennbaren und nicht alleingelassenen Benno Ohnesorg zeigt. Zwei Plakate, zwei Tote, zwischen denen 35 Jahre liegen. Viel subtiler agieren Plakate, die mit der Macht und Ohnmacht der Symbole spielen. Anfang November berichtete das Stuttgarter Stadtmagazin Lift: "War das ein Spaß! 1.500 Bundeswehrsoldaten wurden nicht nur mit großem Bundeswehrblasorchester und Zapfenstreich aufs deutsche Land vereidigt, sondern stilecht von drei der größten deutschen Rockbands der neunziger Jahre begleitet. Pur spielte Wenn ich am Boden liege, sorgst Du dafür, dass ich bald nach Kosovo fliege. Die politisch hyperkorrekten Kölschrocker Bap sangen Verdamp lang her, dat mir im Graben lagen, und die Scorpions spielten Wind of Change mit der Bundeswehrtanzkapelle Günther Noris. Problem: Nichts stimmte." Was war passiert? In jenem Herbst wollten Bundeswehr und CDU-Landesregierung rund um das Stuttgarter Schloss 1.500 Rekruten öffentlich geloben lassen. Die GelöbnisgegnerInnen führten einen regelrechten Symbolkampf, in dessen Verlauf auch ein Plakat auftauchte, das "im Rahmen der Gelöbnisfeier" ein Open-Air-Freiluftkonzert von Pur, Scorpions und Bap ankündigte. Als Veranstalter wurden der SWR 3, die Stadt Stuttgart und die Bundeswehr genannt, der Eintritt sollte frei sein. Das Plakat machte Furore und der Staatsapparat vermutete eine "perfide Taktik der Autonomen": Sie würden versuchen, eine große Zahl harmloser Schlagerfans anzulocken, um dann aus dieser Menschenansammlung heraus gewalttätige Angriffe zu unternehmen. Dieses Plakat und weitere Fake-Aktionen trieben die Gelöbniskosten auf 500.000 Mark und die Stuttgarter Nachrichten vom 19.10.1999 zitierten erboste Zuschauer: "Man könne nicht vom öffentlichen Gelöbnis sprechen und die Zuschauer dann 100 Meter hinter Absperrungen verbannen". Ein gelungener Fake kann wirkungsvoll mit falschen Informationen wahre Ereignisse provozieren. Viele Plakate werben allerdings für sehr reale Musikveranstaltungen und Parties, und gerade die der Schwulen- oder Lesben-Bewegung haben oft einen politischen Subtext, da sie sich immer Orte schaffen müssen, die jenseits der heteronormalen einen (Frei)Raum für eigene kulturelle und politische Praxen bilden. Die Plakatgeschichten dieser Bewegungen unterschieden sich oft deutlich in der Gestaltung und den Parolen von denen der (heterosexuellen) linken oder sozialen Bewegungen. Das reicht von Aufrufen gegen den Paragraphen 218 bis hin zu Queer-Parties in einem angesagten Club wie dem SO 36 in Berlin-Kreuzberg. Ganz anders die Plakate der Marxismus-Leninismus-Bewegung, die heute auch nicht unbedingt schöner wirken als vor 30 Jahren, aber allen jüngeren Menschen zeigen, was ihnen im heutigen Straßenbild erspart bleibt. Solche Plakate sind in privaten Sammlungen übrigens nur schwer zu finden, da die meisten alten ML-AktivistInnen ihre Vergangenheit samt Plakaten rückstandslos entsorgt haben ... Auch die heutigen Grünen werden kaum Interesse daran haben, ihre eigenen alten Plakate heute noch vorgehalten zu bekommen - allzu deutlich lassen sie den Verfall der pazifistischen und ökologischen Ideale erkennen. Zwischen ihrer plakativen Abrüstungsforderung und dem "Drei Liter Panzer" liegen 20 Jahre und ein steiler Abstieg. (Wobei das Plakat zum "Drei Liter Panzer" wie alle guten Fakes so treffend ist, dass es kaum als eine Fälschung auffällt). Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch dann gute Plakate gemacht werden, wenn die Politik nicht ganz so gut oder weit sein sollte. Auf dass wir mit offenen Augen durch die Straßen gehen und uns an sinnvoll plakatierten Wänden erfreuen können.Die in unserer Druckausgabe abgebildeten Plakate stammen aus dem von HKS 13 vor kurzem herausgegebenen Buch vorwärts bis zum nieder mit - 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen". Der Band enthält 800 vierfarbig abgebildete Plakate von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart und eine CD-ROM mit insgesamt 8.300 Bilddateien (Verlag Assoziation A, 288 S., 25,50 Euro). - Ein erstes von HKS 13 herausgegebenes Plakatbuch hoch die kampf dem mit Plakaten der achtziger und neunziger Jahre ist mittlerweile vergriffen.