Eine weit verbreitete Definition von Mut ist die „Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden“ oder auch die „Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte“. Demnach gibt es an der Wall Street viele sehr mutige Menschen. Nehmen wir die Private-Equity-Gesellschaften, auch bekannt als Heuschrecken.
Im vergangenen Jahr haben sie für die von ihnen aufgekauften Unternehmen 70 Milliarden Dollar an Junk-Bonds, also Müllanleihen, herausgegeben. Diese geliehene Summe, ein neuer Rekord, haben sie nicht etwa in den Bau neuer Fabriken oder die Entwicklung neuer Produkte bei diesen Unternehmen gesteckt. Stattdessen haben die Private-Equity-Firmen die 70 Milliarden als „Dividende“ an sich ausgeschüttet. Um die „Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte“ dahinter zu begreifen, muss man wissen, dass die Unternehmen durch die Junk-Bonds Gefahr laufen, sich zu überschulden. Im schlimmsten Fall können sie zusammenbrechen. Wie mutig von den Private-Equity-Firmen, diese Unternehmen auszuhöhlen, um kurzfristig Kasse zu machen!
Oder nehmen wir couragierte Hedge Funds, etwa Blackstone. Seit 2008 wissen wir, dass Wertpapiere, die auf Wackelhypotheken basieren, gern mal platzen und Verluste bringen. Dennoch hat Blackstone in den vergangenen drei Jahren billig Zehntausende Häuser, vornehmlich in von der Immobilienkrise heimgesuchten Gegenden, aufgekauft und vermietet. Dann bewiesen die Manager die „Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation Angst zu überwinden“, bündelten die Mietobjekte in Pools und verkauften Wertpapiere auf die Mieteinnahmen. Die gleiche Finanzalchemie wie einst mit den Hypotheken – nur dass es in diesem Fall nicht einmal eine Immobilie als Sicherheit gibt. Zwar trägt das Risiko dabei nicht Blackstone, sondern dessen Kunden wie Pensionskassen, Versicherer und Stiftungen. Aber es kann schon unangenehm sein, wenn es Verlierer gibt und diese sich bei Blackstone beklagen.
Definiert man Mut weniger als die Fähigkeit zu russischem Roulette und mehr als Zivilcourage, dann verkörpern ihn an der Wall Street die Ratten. Rats werden Mitarbeiter genannt, die Missstände in der eigenen Firma aufdecken und denen dafür selten Applaus winkt. Anfang dieses Monats wurde Miriam Freier beim Hedge Fund Vertical Capital gefeuert. Auf Geheiß ihrer Bosse sollte sie Kunden verschweigen, dass die Börsenaufsicht SEC Ermittlungen gegen Vertical eingeleitet hatte. Nur wenige Wochen zuvor hatte Carmen Segarra, eine Mitarbeiterin der New Yorker Notenbank, das verschmuste Verhältnis zwischen deren Aufsehern und der Investmentbank Goldman Sachs öffentlich gemacht. In einem Spionagegeschäft hatte sie sich mit einem Miniaufnahmegerät ausgerüstet und 46 Stunden Beweismaterial in Konferenzen aufgezeichnet. Auch Segarra verlor ihren Job.
Verräter sind die wahren Helden der Wall Street. Wie wäre es, dem Bronzebullen eine Ratte zur Seite zu stellen? Die Private-Equity-Firmen könnten ihre Dividenden dafür spenden.
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