Viele Italiener mögen geglaubt haben, was sie von der Regierung Berlusconi regelmäßig zu hören bekamen. Die 2.900 seit fast drei Jahren im Irak stationierten eigenen Soldaten erfüllten dort eine "humanitäre Mission". Zuweilen hätten sie einen Streit zwischen zerstrittenen Clans oder Glaubensgemeinschaften zu schlichten, dann wieder den "amerikanischen Freunden" bei ihrer Aufbau- und Aufräumarbeit unter die Arme zu greifen. Waffen trage man nur, um sich den gebührenden Respekt zu verschaffen.
Bedauerlich, dass ausgerechnet kurz vor Weihnachten ein Video auftauchte, aus dem sich ersehen ließ, wie sich die Italiener im Spätsommer 2004 in Nasiriyya (zwischen Nadschaf und Basra) auf höchst autoritäre Weise Respekt verschafften. Eig
fften. Eigentlich nichts Besonderes, wären da nicht die von der Regierung kolportierten Mythen über den Irak-Einsatz, der dank seines euphemistischen Codes Antikes Babylon vielen die Sinne vernebelt. Das Video wurde prompt durch Berlusconis TV-Kanal Italia 1 zensiert und blockiert. Begründung: es handle sich "um sehr verwirrende Bilder unserer unter Beschuss stehenden Soldaten", der Begleitkommentar vermittle einen Eindruck, der "weit von der Realität entfernt" sei.Dabei sind die Szenen aus dem Irak kaum spektakulär: Italienische Soldaten, postiert auf dem Dach eines Gebäudes am Euphrat, stehen in der so genannten "Schlacht der Brücken" Anfang August 2004 und beschießen einen zunächst unsichtbaren Feind, gelegentlich gerät auch die Zivilbevölkerung ins Visier. Mehr als das verrät der Dialog zwischen zwei Soldaten, der deutlich zu hören ist, wie menschenverachtend auch die Italiener ihren Krieg zu führen verstehen. Durch ein Zielfernrohr wird ein verwundeter Gegner am anderen Ufer des Euphrat ausgemacht: "Sieh mal, wie niedlich der ist. Der da drüben auf der Erde", sagt ein Soldat. "Siehst du, dass er den Kopf bewegt?", fragt der andere zurück. "Schau dir das an, wie dieser Bastard sich bewegt. Luca, vernichte ihn!"Dass man dieses Video aus Nasiriyya schließlich doch ungeschnitten sehen konnte, war dem Nachrichtenkanal Rainews24 zu verdanken. Postwendend verurteilte der Presseoffizier des italienischen Irak-Korps zwar die Wortwahl der Soldaten, beschwichtigte aber zugleich, man müsse unter den gegebenen Umständen Verständnis für derartige Reaktionen aufbringen."Die von Rainews gesendeten Bilder haben uns auf dramatische Weise vom Krieg der Italiener in Nasiriyya erzählt", meinte hingegen Marco Minniti, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksdemokraten (DS) im römischen Parlament. "Der Premier hat als erster die Pflicht, der Kammer zu berichten, was damals tatsächlich geschehen ist." Rifondazione Comunista hatte nach der "Schlacht der Brücken" sofort Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft verlangt, als bekannt wurde, dass es zwischen dem 5. und 6. August 2004 in Nasiriyya auch zivile Opfer gegeben hatte.Verteidigungsminister Martino ließ sich davon nicht beirren. Bis Ende Januar will er das Kontingent zwar verringern (auf etwa 2.600 Soldaten), "aber nicht unser Engagement". Und trotz mehrerer zehntausend toter Iraker spricht Martino unverblümt von einer Erfolgsmission. Wenn ausnahmsweise doch mal geschossen werden müsse, dann nur zum Wohle der Iraker. Ganz anders sieht das Antonio Savino, Präsident der Nationalen Vereinigung der Carabinieri. In einem Interview wies er darauf hin, dass viel zu oft unerfahrene Soldaten für den Irak-Einsatz rekrutiert würden, die sich vom höheren Sold locken ließen. Darunter seien sogar Carabinieri aus Spezialeinheiten für die Lebensmittelkontrolle (NAS) gewesen, die sich normalerweise nur mit Salmonellen beschäftigten. Auch Schmiergelder seien gezahlt worden, um beim lukrativen Auslandseinsatz dabei zu sein. "Vor Ort mussten die Betreffenden dann eine Erklärung unterschreiben, die besagte, dass sie von nun an dem Kriegsrecht unterworfen seien", sagt Savino. "Beweis genug, dass wir Krieg führen und die Soldaten ohne jede Vorbereitung in eine kriegerische Mission geschickt wurden." Offenbar habe auch der italienische Ölkonzern ENI das eigene Militär für seine Geschäfte in Anspruch genommen. Dass man ein Truppenkontingent ausgerechnet in Nasiriyya stationiert habe, so Savino, hänge nicht zuletzt damit zusammen, dass dort große Erdölressourcen lagerten: Geschätzte 2,5 bis vier Milliarden Barrel, für deren Ausbeutung ENI noch vor der US-Intervention im März 2003 einen äußerst vorteilhaften Vertrag mit Saddam Hussein geschlossen habe.Hier schließt sich der Kreis, um die Motive des italienischen Engagements zu ergründen: Wer im Irak-Geschäft bleiben wollte, musste mit den USA kooperieren, was Berlusconi nicht schwer fiel. Ergo: Die italienischen Truppen schützen in erster Linie nationale Wirtschaftsinteressen im Irak. Wenn möglich, auf humanitäre Weise. Wird der Gegner widerspenstig, dann eben anders.