Anton aus Tirol in der Schweinebucht

Kuba Eine politische Stadt- und Landpartie

Seine erste große Niederlage in Lateinamerika erlitt der Imperialismus in Playa Girón!« So steht es geschrieben auf einem großen Transparent in der Schweinebucht. Am 17. April 1961 waren hier an mehreren Stellen 1.500 schwerbewaffnete Exilkubaner gelandet. Boote hatten Panzer, Lastwagen und Kanonen abgesetzt, im Hinterland waren gleichzeitig Fallschirmjäger abgesprungen. Die Legionäre sollten in den unwegsamen Zapata-Sümpfen einen Brückenkopf bilden, halten und warten, bis nach ein paar Tagen die von der CIA zusammengestellte »Exilregierung« einfliegen würde. Aus dem Vorhaben wurde bekanntlich nichts. Die von der US-Regierung in Aussicht gestellte Militärhilfe blieb aus, kubanische Milizen schlugen die Angreifer unter hohen eigenen Verlusten zurück. 1.200 Gefangene wurden später gegen Arzneien und Lebensmittel ausgetauscht.

Der Ort Playa Girón besteht heute aus ein paar herunter gekommenen Häusern und einer Hotelanlage mit Bungalows. Vor allem Urlauber aus Deutschland und Österreich tummeln sich hier. Das Essen ist nicht berauschend, Bier und Rum werden in Styroporbechern ausgeschenkt. Zur abendlichen Animation versammeln sich die Gäste auf der Freifläche am Pool. Zu Anfang spielt eine Combo, dann wird ein Theaterstück gegeben, am Schluss ist Diskothek. Unvermittelt dröhnt das Sauflied »Anton aus Tirol« durch die Schweinebucht.

Ich fliehe in den Bungalow, wo mich eine schwarze Schlange in Angst und Schrecken versetzt. Ein furchtloser Hotelangestellter und ein ergrauter Schweinebucht-Veteran kommen zu Hilfe. Während der Soldat den Eingang sichert, zieht der Angestellte die ihrerseits in Panik geratene Schlange am Schwanz unter einem Sessel hervor und zertritt ihr den Kopf. Algo mas? fragt der Veteran - sonst noch einen Wunsch?

Jagd durch Camaguëy - in einer Sackgasse geht das Rennen unweigerlich verloren

Die Kolonialstadt Trinidad ist so schön wie im Reiseführer beschrieben, jedenfalls das mit UNESCO-Geldern sanierte Stadtzentrum. Die Häuser haben kleine Erker und Gitter aus Holz oder Eisen vor den Fenstern, nicht zur Abschottung, sondern als Öffnung nach draußen. Bleichgesichtige Touristen mit kurzen Hosen und langen Objektiven schnaufen kurzatmig durch die Gassen und fotografieren - ohne zu fragen - die Menschen in ihren Wohnzimmern.

Auf einem Hügel am Stadtrand von Trinidad sitzen Frauen vor einer verrammelten Kirche. Eine bietet Ketten aus vertrockneten Samen feil, die andere verschrumpelte Kokosnüsse. Sie würden nicht viel los hier oben, klagen die beiden. Unten im Zentrum profitierten alle vom Tourismus, doch hierher an die Peripherie verirrten sich »die Gringos« selten.

Die kubanische Regierung hat das ehrgeizige Ziel, spätestens 2010 zehn Millionen Touristen auf die Insel zu holen. Diese Marke scheint schon jetzt hinfällig. Im vergangenen Jahr waren es knapp 1,8 Millionen, mit zwei Millionen hatte man gerechnet. Wirtschaftsminister Carlos Lage führt externe Gründe wie den schwachen Euro oder Dumping-Angebote anderer Reiseländer in der Region als Ursache dafür an, dass der Trend den Erwartungen hinterher hinkt. Die hohen Preise, den teilweise miserablen Service in den staatlichen Hotels und Restaurants nennt er nicht.

Die Familie, die mich in Trinidad beherbergt, klagt wenig über fallende oder steigende Gästezahlen, sondern vor allem über »die viel zu hohen Steuern«, die Betreiber von Privatunterkünften und -lokalen unabhängig vom tatsächlich erzielten Umsatz zahlen müssen. 500 Dollar im Monat begehrt der Staat von den paladares - den oft nur zimmergroßen Familienrestaurants mit den eingeschränkten, aber exotischen Speisekarten sowie 100 Dollar Abgabe pro Zimmer bei Vermietungen. Wer Frühstück und Abendessen serviert, muss auch dafür Steuern zahlen. Werbung auf einem Schild an der Straße oder auf Visitenkarten kostet extra.

Die Einführung des Dollars vor acht Jahren hat für ganz neue Berufe gesorgt. Weil mein Auto durch das Nummernschild als Leihwagen zu erkennen ist und ich somit als Tourist auszumachen bin, heftet sich schon auf der Einfallstraße nach Camaguëy ein halbes Dutzend jugendliche Radfahrer an das Fahrzeug. Sie rufen mir beim Fahren die Namen von Zimmervermietern und paladares zu, reichen Visitenkarten durch das Fenster und lassen sich auch durch scharfes Beschleunigen nicht abschütteln. Immer mehr junge Männer nehmen auf ihren Rädern die Verfolgung auf und trachten, in halsbrecherischen Manövern vor und neben meinen Wagen zu gelangen. Irgendwann habe ich verloren, stehe in einer Sackgasse und muss mir nun die Vorzüge der angeblich besten Herbergen im Ort schildern lassen. Die Vermittler erhalten von den Vermietern und Restaurantbesitzern, denen sie Klienten bringen, eine Provision. In der Regel einen Dollar, manchmal aber auch mehr. So viel verdienen Beschäftigte in einer Fabrik oder in einem Hospital an einem ganzen Tag nicht.

Salsa in Santiago - die Combo aus ganz Alten und ganz Jungen heizt mächtig ein

In einer Salsa-Diskothek von Camaguëy geht nach Mitternacht die Post ab. Tanz, Anmache, Geschiebe und Gedrängel. Auf der Tanzfläche wächst sich ein Eifersuchtsdrama zur Schlägerei aus. Der alarmierter Polizist will schlichten, doch plötzlich richten sich die Aggressionen der Beteiligten gegen ihn. Er wird heftig geschlagen und unter lautem Gejohle nach draußen gedrängt. So etwas lassen sich Polizisten in keinem Land der Welt bieten, denke ich und warte auf die Fortsetzung der Ereignisse. Es gibt aber keine, die Polizei kommt nicht zurück.

Rastas und Straßenmusiker, schöne Frauen und Männer mit Sonnenbrillen, die meisten schwarz und sehr temperamentvoll, alle tanzen, und die Ausländer beobachten von der Terrasse des Hotels Casa Grande aus das Treiben. So etwa lässt sich ein erster Eindruck von Santiago de Cuba beschreiben. Der zweite: Bis auf den zentralen Platz - den Parque Cespedes mit Kathedrale und Rathaus, von dessen Balkon Fidel am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution verkündet und Santiago vorübergehend zur Hauptstadt ernannt hatte - sowie auf ein paar Seitenstraßen und Außenbezirke ist Kubas zweitgrößte Stadt ziemlich heruntergekommen. In den Vierteln zwischen Zentrum und Hafen hausen die Menschen in düsteren Verschlägen auf Hinterhöfen, teilweise in Ruinen. Das Abwasser steht knöchelhoch in den Gassen, im Rinnstein liegen tote Ratten. Die breite Promenade am Wasser, die Avenida Jesús Menendez, verbreitet eine düstere, fast gewalttätige Stimmung. Klapperdürre Pferden mühen sich mit vollbesetzten Kutschen ab und kriegen, wenn sie nicht schnell genug laufen, die Peitsche übergezogen. An der Straße stehen verfallene Lagerschuppen, die dem Abriss entgegen dämmern, und ein paar zwielichtige Kneipen mit nicht minder zwielichtigem Publikum. Ein Leben in Würde, wie es die Revolution den Kubanern versprochen hat, scheint hier kaum möglich.

Das Restaurant El Caribean in diesem Quartier wird offenbar illegal betrieben. Außen gibt es keine Reklame und abends kein Licht, die Rekrutierung der Gäste erfolgt mehrere Straßenecken entfernt, ein paar Halbwüchsige kontrollieren den Einlass. Die Camarónes in Tomatensoße sind aber exzellent, das Bier ist eiskalt, der Sitzplatz auf einer Dachterrasse und unter dem Sternenhimmel bietet einen Panoramablick über die erleuchtete Stadt

Nachts kühlt es hier kaum ab, daher sind viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Auf der Dachterrasse des erwähnten Hotels Casa Grande, in der Casa de la Trova, in der Casa del Arte und in anderen Kneipen spielen Bands. Unbeschränkten Einlass haben hier allerdings nur Touristen. Teils wegen der hohen Eintrittspreise, teils wegen »Überfüllung«, müssen kubanische Männer draußen bleiben. Und die Frauen drücken sich die Nasen an den vergitterten Fenstern platt, klimpern mit den getuschten Wimpern und hoffen, dass einer der »Gringos« sich erweichen lässt und sie mit hinein nimmt.

In einer kleinen Seitenstraße finde ich doch noch einen Saal, in den alle dürfen. Eine aus ganz alten und ganz jungen Männern zusammengesetzte Son-Combo heizt mächtig ein, der Trompeter spielt atemberaubend. Hier haben sich viele Prostituierte eingefunden, auch die Rasta-Leute sind da und betteln um Getränke, Zigaretten und Münzen.

Alltag in Baracoa - die Revolution hat die Brieftaubenzüchter erreicht

Ein Dorf am Strand bietet letzte Gelegenheit für eine Rast, bevor es die Passstraße La Farola hinauf und weiter nach Baracoa geht. Im einzigen Café des kleinen Ortes bekomme ich ohne Probleme ein Glas Wasser. Bier oder Limonade gibt es allerdings nur in Verbindung mit Frikassee, einem Tellergericht, das dem Augenschein nach hauptsächlich aus Reis besteht. Es ist unglaublich heiß, ich habe keinen Hunger, und Frikassee will ich schon gar nicht essen. Also bekomme ich auch kein Bier, gibt mir die Wirtin unbeeindruckt zu verstehen, tut ihr leid.

Eingebettet in eine schöne Landschaft aus Palmenhainen, Regenwald, Bananen- und Kakaoplantagen, Hügeln und Flüssen mit kristallklarem Wasser ist Baracoa so etwas wie das letzte Paradies auf Kuba. Die 40.000-Einwohner-Stadt wirkt geschäftig, aber nicht hektisch. Der knapp 20 Kilometer entfernte Strand Maguana ist postkarten-kitschig schön und - abgesehen vom einem idyllischen Vier-Zimmer-Hotel - noch unverbaut. Die Planer des Tourismus-Ministeriums, höre ich, haben das Gelände aber schon vermessen. Durch ein geöffnetes Fenster glaube ich eines Abends, Augen- und Ohrenzeuge der Sitzung eines der berühmt-berüchigten Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) zu werden. Vielleicht tagt sogar die örtliche Parteiorganisation. Egal, ich kann kubanische Basisdemokratie pur erleben. Es wird leidenschaftlich diskutiert, die Redner werden unterbrochen, Stimmen überschlagen sich, immer wieder ertönt das Wort comida. Steht womöglich eine Hungerrevolte bevor? Es dauert einige Minuten, bis ich merke, eine Zusammenkunft der Brieftaubenzüchter von Baracoa zu beobachten.

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