FREITAG: Die Wahlalternative will erst zur Bundestagswahl 2006 antreten. Müsste diese neue Linkspartei nicht viel früher interventionsfähig sein. Ab 1. Januar 2005 gilt Hartz IV, und schon jetzt kocht der Protest hoch?
KLAUS ERNST: Wir werden zu Ende des Jahres voraussichtlich per Urabstimmung über die Umwandlung unseres Vereines in eine Partei entscheiden, und die könnte dann ab Februar/März 2005 existieren. Wenn die SPD im Mai nächsten Jahres die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, dem wichtigsten Bundesland, verliert, und es dann zur vorgezogenen Neuwahl des Bundestages käme, würden wir antreten.
In den Grundsätzen der Wahlalternative wird die Rückkehr zum Sozialstaat gefordert. Aber der war doch nur in einer Ausnahmephase des Kapitalismus möglich, nämlich in der Zeit der Systemkonkurrenz. Seit 1990 aber herrscht wieder business as usual, das heißt Raubtierkapitalismus.
Und um so notwendiger ist angesichts dessen der Kampf für die Wiedereinführung sozialstaatlicher Sicherungen. Einen Regenschirm braucht man doch, wenn es regnet. In der Schönwetterperiode bis 1989/90 wurde er zur Verfügung gestellt - aber jetzt, wo es stürmt und schneit und er wirklich notwendig wäre, wird Kleinholz aus ihm gemacht. Der gesellschaftliche Rückschritt ist ungeheuer: Eine kleine Minderheit beherrscht die Wirtschaft, jede politische Kontrolle ist ausgeschaltet. Das können wir nicht hinnehmen.
Können Sie diesem gefräßigen Raubtier mit dem Regenschirm beikommen? Sollte eine neue Linkspartei nicht über die alten SPD-Slogans hinausgehen und wenigstens die der Jusos aufgreifen, also Vergesellschaftung der Großbanken und der Schlüsselindustrien?
Selbstverständlich können wir nicht bei der früheren SPD-Programmatik stehen bleiben. Wir müssen überlegen, wie der Rücksturz ins 19. Jahrhundert verhindert werden kann. Demnächst wird das Kapital die Wiedereinführung der Kinderarbeit fordern, weil Deutschland nur so gegenüber den indischen Billiglöhnern wettbewerbsfähig bleiben könne. Wir müssen die gesellschaftlichen Werte verteidigen, zum Beispiel die Würde des Menschen. Aber Enteignung und Vergesellschaftung jetzt zum Aktionsprogramm zu erheben, wäre nicht hilfreich Es muss eine breite gesellschaftliche Debatte über langfristige Alternativen geben - dem kann unsere Wahlalternative nicht mit fertigen Konzepten vorgreifen. Außerdem macht es wenig Sinn, nun mit Forderungen aufzuwarten, deren Durchsetzungschancen heute gleich Null sind. Wir brauchen Vorschläge für das Hier und Jetzt: Wie kann der Sozialstaat finanziert werden? Wie können die Großverdiener über ein gerechtes Steuersystem in die Pflicht genommen werden? Die Forderung nach Vergesellschaftung würde das Protestpotenzial spalten, anstatt es zusammenzuführen.
Vom Protestpotenzial zum Machtfaktor: Wenn sie eine schwarz-gelbe Bundesregierung verhindern wollen, müssten Sie eine Koalition mit Rot-Grün anstreben. Können Sie sich dieser Logik entziehen?
Es ist viel zu früh, um das zu entscheiden. Und selbst wenn es denn so weit käme, dass wir mit zehn oder mehr Prozent ein gewichtiger Faktor im nächsten Bundestag wären - viel naheliegender ist dann doch, dass die SPD eher mit der Union zusammengeht als mit uns? Programmatisch jedenfalls würden SPD und CDU viel besser zusammenpassen als SPD und Wahlalternative.
Es kann auch ganz anders kommen: Dass nämlich Wahlalternative und PDS bei knapp unter fünf Prozent hängen bleiben. André Brie und Lothar Bisky denken deshalb schon laut über eine Wahlabsprache mit Ihnen nach.
Im Augenblick ist die PDS im Westen so gut wie nicht existent. Und das Spezifikum im Osten ist nicht nur die PDS-Stärke, sondern die ständig zunehmende Wahlabstinenz. Gerade bei den Nichtwählern haben wir auch im Osten ein Potenzial. Viele Menschen wollen auch dort die PDS nicht wählen, weil sie als Koalitionspartner in Schwerin und Berlin die unsoziale Politik mitträgt. Deswegen dürfte es in den neuen Ländern für die PDS und für uns zum Einzug in die Parlamente reichen.
Das klärt noch nicht die Frage nach einer ruinösen Konkurrenz beider Parteien bei den Bundestagswahlen.
Wir sollten auf Bundesebene nur dann antreten, wenn wir in der Lage sind, aus eigener Kraft über die fünf Prozent zu kommen. Wenn wir drin sind, werden wir sicherlich auch mit der PDS zusammenarbeiten - wie mit allen anderen Parteien.
Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Wahlalternative auch bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 antritt?
Wir sollten uns nur an Wahlen beteiligen, wenn wir auch ins Parlament kommen. Es macht keinen Sinn, durch Wahlbeteiligung der SPD Stimmen wegzunehmen und so für eine CDU-Regierung zu sorgen, wenn wir dann nicht auch in den Düsseldorfer Landtag einziehen. Das wäre kontraproduktiv und würde ein ganz falsches Signal für die Bundestagswahlen setzen. Jede Beteiligung an Landtagswahlen muss unter dem Gesichtspunkt der bundesweiten Auswirkungen auf unser Projekt beurteilt werden. Die sozialpolitischen Veränderungen, die wir anstreben, können nur auf Bundesebene durchgesetzt werden.
Beim Aufbau eines Berliner Landesverbandes fühlt sich die bisherige Initiativgruppe übergangen, weil der Bundesvorstand unabgesprochen einen Landeskoordinator eingesetzt hat.
Das machen wir in allen Bundesländern so, und in der Satzung haben wir das vorgesehen, um möglichst schnell funktionierende Strukturen aufzubauen. Wir wollen niemanden ausgrenzen, brauchen aber ein möglichst breites Spektrum. Wir ernannten mit Lothar Nätebusch, dem Vorsitzenden der IG BAU in Berlin, einen Mann, der für gesellschaftliche Breite steht. Die bisherige Initiativgruppe aber betreibt mehrheitlich neben dem Aufbau der Wahlalternative auch ein Volksbegehren zum Sturz des Berliner Senats. Diese beiden Geschichten müssen sauber getrennt bleiben, alles andere wäre schädlich für uns.
Oskar Lafontaine hat angekündigt, die Wahlalternative zu unterstützen, wenn Schröder so weitermacht. Freuen Sie sich?
Bis jetzt ist er noch nicht beigetreten. Wir freuen uns über jede Unterstützung, selbstverständlich auch über die von Oskar Lafontaine.
Das Gespräch führte Jürgen Elsässer
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