Antworten ist besser

Kommentar Zuwanderungsdebatte

Vorige Woche Donnerstag, als Bundesinnenminister Schily nach dem gescheiterten Koalitionsgespräch vor die Kameras trat, ließ er einen bemerkenswerten Satz fallen: Das Zuwanderungsgesetz werde in seinem Ministerium vorbereitet und nicht in der Koalitionsrunde. Gesetze werden also im Regierungsapparat gemacht und nicht im Parlament? Was spricht denn gegen Koalitionsparteien und ihre gewählten Abgeordneten? Als Herr Schily noch RAF-Verteidiger war, hat er nicht so - gelinde gesagt - ungenau über den Rechtsstaat gesprochen.

So redet man eben daher, wenn man sich mit der Union statt mit den Grünen auf ein Zuwanderungsgesetz einigen will. Aber glaubt Gerhard Schröder, er könne jetzt ganz offen, Koalitionspartner hin oder her, mit wechselnden Verbündeten regieren? Dieses Regierungssystem wird doch (vorerst) nur so lange funktionieren, wie die Grünen mitspielen. Der Kanzler weiß das. Er sieht auch, sie haben diesmal Nein gesagt und vom möglichen Ende der Koalition gesprochen. Also drängt sich der Schluss auf, dass wir einem Pokerspiel beiwohnen. Schröder wird sich sagen, es sei geradezu klug, wenigstens bis kurz vor jenem 26.9. zu pokern, an dem das Kabinett die Gesetzesvorlage beschließen soll. Denn dann sind gerade die Hamburger Bürgerschaftswahlen vorbei.

Freilich, wenn das ausgestanden ist, wird die Lage für Schröder nicht einfacher. Wahrscheinlich reichen wenige Zugeständnisse an die Grünen aus, um die im Moment noch unsichere Abwehrfront der Union gegen das Zuwanderungsgesetz zu festigen. Schröder wird sehen, was das für den heraufziehenden Bundestagswahlkampf bedeutet. Die Union könnte ein nationalistisches Gebräu anrühren: zu viel Zuwanderung bei wieder steigender Arbeitslosigkeit, der Verlust der Deutschen Mark und Roland Kochs Vorschlag, über »nationale Identität« zu debattieren... Was soll die Regierung tun? Ausweichen oder antworten? Antworten wäre besser - aber der Kanzler zieht sicher die Defensive vor.

Niemand würde es verstehen, wenn die Grünen wegen der Zuwanderungsfrage die Regierung verließen. Aber sie können Schröder statt der Roten Karte den Schwarzen Peter zeigen. Vorerst ist Cem Özdemirs Forderung richtig: Der Kanzler soll sich im Bundestag nur auf die einfache Mehrheit der Koalition stützen, um dann einige unionsregierte Länder mit dem Argument zu überzeugen, dass die Regierung die Kosten für die Ausländer-Integration übernehme. Wenn Schröder darauf nicht eingeht, sondern lieber schon im Bundestag mit der CDU zusammenarbeitet, sollten die Grünen geschlossen gegen Schilys Gesetz stimmen, ohne aber die Regierung zu verlassen. Augenblicklich würde es sich dann zeigen, dass die Grünen mit einem System wechselnder Mehrheiten sehr gut leben können, zumal wenn sie gleichzeitig Bundesminister stellen. Der Kanzler jedoch hätte sein sicheres Machthinterland verloren, von dem aus er die Union und die FDP unter Druck setzen kann. Er wäre entzaubert.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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