Das Verbrechen ist so alt wie der Krieg, aber erst in der letzten Zeit gibt es vereinzelte Publikationen darüber. Es ist die konditionierte Scham, die dafür sorgt, dass die Vergewaltigung von Frauen im Krieg aus dem Bewusstsein verdrängt wird. Eine pervertierte Scham - denn nicht die Täter schämen sich, sondern die Opfer: Sie werden stigmatisiert und nicht selten von ihrer Gesellschaft und Familie verstoßen. Wer Opfer eines Diebstahls wird, kann sich des Mitgefühls seiner Umwelt sicher sein, die seine Wut teilt. Handelt es sich jedoch um ein Vergehen am weiblichen Körper, wehrt das patriarchale Denken oft genug ab und projiziert die Schuld auf die Frau. Dass die Vergewaltigung ein schweres Trauma hinterlässt, das professionell therapiert werden
en muss, will dann niemand wahrhaben.Mit ihrem Buch über die Schweizer Gynäkologin Monika Hauser leistet die Emma-Autorin Chantal Louis eine vergleichbare Pionierarbeit wie die Heldin des Buches, die vergangene Woche mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Tochter Südtiroler Eltern lebt heute in Köln. Nach dem Medizinstudium brach Hauser 1993 nach Bosnien auf, um den von der serbischen Soldateska systematisch vergewaltigten Bosnierinnen nicht nur gynäkologische, sondern auch psychotherapeutische Hilfe anzubieten. Sie gründete ein Therapiezentrum in Zenica, und legte den Grundstein für die Frauenorganisation Medica Mondiale, die Hauser als eine Organisation gegen sexualisierte Gewalt schlechthin verstanden wissen möchte, so wie Amnesty International mit politischen Gefangenen assoziiert wird.Die Basisarbeit mit den Frauen vor Ort ist das eine, die Politisierung des weltweit totgeschwiegenen Themas das andere. Mit ihrem unermüdlichem Einsatz ist es Hauser gelungen, die "sexualisierte Gewalt", wie sie die Vergewaltigung definiert, auf die politische Agenda zu bringen. Es ist Medica Mondiale zu verdanken, dass Vergewaltigungen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag - zum ersten Mal in der Geschichte - als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" behandelt werden. Für die betroffenen Bosnierinnen bedeutet dies nicht nur eine moralische Wiedergutmachung, sie haben als Kriegsopfer auch den Anspruch auf eine bescheidene Rente.Louis beschreibt Hauser als "Macherin". Atemlos eilen wir mit ihr von Bosnien ins Kosovo, und weiter nach Afghanistan und Liberia, wo neue Frauenzentren entstehen. Im Frauengefängnis von Kabul vegetieren vergewaltigte Mädchen und Frauen unter unvorstellbaren Haftbedingungen dahin, weil sie angeblich die Familienehre verletzt haben. Medica Mondiale bringt nicht nur Hilfsmittel nach Kabul, sondern hat auch darauf hingewirkt, dass Vergewaltiger in Afghanistan inzwischen härter bestraft werden. Aber so weit muss Hauser gar nicht immer reisen - das Trauma der Vergewaltigung ist auch in deutschen Pflegeheimen präsent. Was sowjetische Soldaten 1945 in deutschen Kellern angerichtet haben, kommt bei vielen Frauen im Alter oft wieder hoch. Das Pflegepersonal reagiert in der Regel hilflos auf diese Ängste und verabreicht dann gerne Psychopharmaka. Hauser wird nicht müde, auf Veranstaltungen immer wieder über die Traumatisierungen aufzuklären, die der Krieg bei den Frauen hinterlassen hat. Louis packt das Thema in ihrem Buch aus feministischer Perspektive an. Zunehmend gerät Hauser aus dem Blickfeld, stattdessen werden die "Überlebenden der sexualisierten Gewalt" - die Frauen sollen nicht auf ihre Opferrolle festgelegt werden - zu Heldinnen des Buches. Es sind starke Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Am Ende des Buches beschreibt Louis kosovarische Kriegswitwen, wie sie auf ihren Traktoren fahren, die ihnen Medica Mondiale besorgt hat. Mit dem Traktor, diesem Symbol der Kraft und der Selbstbestimmung, können Felder bestellt werden, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern - der absurden Ächtung durch die Dörfler zum Trotz: Eine Frau, die Traktor fährt, verstößt gegen die ihr zugewiesene Rolle.Zum Konzept von Medica Mondiale gehört das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe: Den Überlebenden soll ermöglicht werden, ihre ökonomische Selbstständigkeit wiederzugewinnen. Und ihre Gesundheit. Wenn Frauen, die vorher hilflos ihren Traumata ausgeliefert waren, am Ende lachend sagen können: "Wir sind auch Kriegsgewinnler, wir haben zwar kein Geld, dafür aner eine Kriegserfahrung gewonnen, denn im Krieg ist Lernen umsonst" - dann ist die Botschaft des Buches klar: Sich nicht unterkriegen zu lassen.Verbrechen gegen die Menschlichkeit findet Hauser auch anderswo, zum Beispiel in der Bar nebenan: Auch die Zwangsprostituierten spalten bei ihrer "Arbeit" die Gefühle ab, werden gefühlskalt oder apathisch. Diese Zustände endlich zu ändern, das ist die große Herausforderung. Dafür braucht es Bücher wie das von Chantal Louis. Vor allem aber braucht es Menschen wie Hauser, die uns durch ihr Leben und Werk vor Augen führen, wie dringlich diese Aufgabe ist.Chantal Louis Monika Hauser - Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen, rüffer Sachbuchverlag, Zürich 2008, 250 S., 19,80 EUR