Anzeige ist raus!

Debatte Anstatt über Rassismus in der Polizei zu diskutieren, sollen Kritiker:innen von Polizeigewalt zum Schweigen gebracht werden. Über Versuche der Diskursumkehr von rechts
Ausgabe 26/2020
Hier hört der Spaß auf
Hier hört der Spaß auf

Foto: Philipp Guelland/Getty Images

So dreht man Debatten um. So stellt man die alte Ordnung wieder her. Nach nur einigen wenigen Wochen, da in Deutschland über Rassismus und Polizeigewalt diskutiert wurde, scheint es für viele an der Zeit, das Ansehen der Polizei wieder reinzuwaschen, sie gegen einen „Generalverdacht“ in Schutz zu nehmen. Folgerichtig: Ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Es folgt Diskursumkehr, wie sie im Buche steht: Ein Gesetz in Berlin, das es der Polizei unter Androhung von Schadensersatzzahlungen verbietet, Menschen zu diskriminieren, sei in Wahrheit Diskriminierung von Beamten. Wie gerufen kam da die taz-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah, die dank twitternder Kameraden in die Timeline der Polizeigewerkschaften gespült wurde. Hätte es den Text nicht gegeben, hätte sich ein anderer Anlass für den diskursiven Gegenschlag gefunden. Die Strafanzeige war jedenfalls schnell gestellt – egal, was daraus wird, so eine Anzeige hat genügend Nachrichtenwert, um nicht mehr sprechen zu müssen über mehr als 160 Tote in Polizeigewahrsam seit 1990 und die alltäglichen Diskriminierungen auf der Straße, von denen von Rassismus Betroffene seit Jahren immer wieder berichten.

Dann: Stuttgart. Spätestens jetzt lautete die Devise: Es muss aufgeräumt werden – in Stuttgart, auf der Straße, in den Redaktionen. Seehofer ließ über die Bild-Zeitung verkünden, die Autor_in anzeigen zu wollen. Auch hier ist völlig nebensächlich, ob diese Anzeige zu etwas führen, geschweige denn überhaupt erhoben wird: Alle sollen in Zukunft zweimal darüber nachdenken, bevor sie etwas Falsches schreiben.

Was wird hier salonfähig gemacht?

Dass die Law-And-Order-Fraktion auf bestem Wege ist, den Ring als Sieger zu verlassen, zeigt der Kommentar in den Tagesthemen am Montag: Yaghoobifarah und Esken seien geistige Brandstifter. Übergriffe der Polizei müssten angezeigt und gerichtlich geahndet werden, doch in Summe und Schwere der Taten seien diese nicht zu vergleichen mit den Angriffen auf Polizisten.

Unter dem Strich zeigt die Debatte einmal mehr: Auch wenn Rechte sich gerne als Opposition darstellen – sie haben offenbar strukturelle Vorteile im Diskurskampf. Wenn Rechte „Ausländer raus“ brüllen, Unterkünfte von Geflüchteten angreifen und Menschen durch die Straßen jagen, wird jahrelang über ihre Ängste und Sorgen philosophiert, also, die Ängste der Rechten, nicht der von ihnen gejagten. Die sogenannten Sagbarkeitsfenster werden weit geöffnet. Denen aber, die Sorgen und Ängste haben, von der Polizei verhaftet, verprügelt, getötet zu werden, wird sofort die Nase vor der Tür zugeschlagen. Und anschließend ein Riegel vorgeschoben.

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