ALLTAG Im Genfer "Hotel Intercontinental" treffen sich Größen der Weltpolitik und Zellulite-Spezialisten. Auch in Sachen Afghanistan wird hier verhandelt
Seine rechte Hand winkt ins Leere: Tony Blair hat vergessen - wer mag es ihm verdenken, vor einigen Stunden erst startete er aus Karatschi - dass in der Hotelhalle keine Kameras aufgebaut sind. Auch George Bush lächelt mechanisch nach links und rechts, kneift dabei die Augen sympathisch zusammen ... ins mediale Nichts. Denn in diesem Hotel pflegt man "schweizerische Diskretion". Kameras bleiben vor der Tür.
Dieses Gebäude ist nicht schön. "Reduziert", sagen Genf-Liebhaber. Klare Linien bescheinigen avantgardistische Architekturkritiker dem 18-stöckigen Bauwerk. Das Hotel Intercontinental in Genf ist bei weitem kein Prachtbau, wie es bei fünf Sternen und horrenden Zimmerpreisen vielleicht zu erwarten wäre. Im Gegenteil, die Form folgt dem Zweck - in designc
weck - in designcalvinistischer Überstrenge. Die Leuchtschrift "Hotel Intercontinental" auf dem Dach des Hauses strahlt nur psychedelisch-blass durch das blinde Blau der Kunststoffbuchstaben. Stammgäste des Hotels verweisen auf ein tiefes "Understanding" - man hält sich auch mit seiner Leuchtreklame vornehm zurück. Noblesse oblige.Gerade in Zeiten medialen Supergaus kehren der britische Regierungschef wie auch George W. Bush gern hier ein, für ein Zwei-Stunden-Gespräch mit Regierungsmitgliedern verschiedener Golfstaaten, als Zwischenstopp auf seinem Heimweg nach London aus Afghanistan. Unbemerkt ist dieses Hotel zu einem der wenigen Orte geworden, an denen sich seit Jahrzehnten kontinuierlich die in Bücherclub-Bildbänden beschworene sogenannte "große Weltgeschichte" abspielt. Nicht vollkommen unbemerkt: Im Fernsehbild rechts-oben ist sie zu sehen, die Messing-Drehtür des Hotels - davor ein eifriger Korrespondent. Immer wieder seit Jahrzehnten. Wichtige Persönlichkeiten sind in all den Jahren auf- und abgetreten, aber die Messing-Drehtür bleibt stets im Bildhintergrund der Nachrichtensendungen.Am Gebäude kann es nicht gelegen haben, dass in den vier Jahrzehnten fast sämtliche Größen und anrüchigen Figuren der Weltpolitik in dem schmucklosen Hotel abgestiegen sind. Martin Luther King, König Faisal, Indira Ghandi, Willy Brandt, Jimmy Carter, Nelson Mandela, ja auch Mobuto Sese Seko oder Jean-Bedel Bokassa. Mancher Name der Weltgeschichte findet sich im Gästebuch des Hotels. Zehn Minuten zum Flughafen und fünf Minuten zum großen Sitzungssaal der UNO, profitiert das Intercontinental vor allem von seiner günstigen Lage und hat sich - kein Wunder - den Titel "Schlafsaal der Vereinten Nationen" erworben. Mehr noch als eine traditionelle holzgetäfelte helvetische Jugendherberge ist das Interconti komfortable Ruhestätte mit Pianobar im Erdgeschoss und Herberge "großer Ereignisse" in seinen Sitzungssälen.. Denn - so absurd es klingt - im Weltdorf Genf finden die wenigsten politischen Konferenzen von faktischer Bedeutung in den Gebäuden der UNO statt. Deren Räumlichkeiten sind meist schon über Monate hinaus reserviert. Gesprächige Arbeitsgruppen mit Administrationspersonal der Mitgliedsländer brüten über Verträgen, Verordnungen und mannigfaltig weihevollen Deklaration, die - läuft alles optimal - Jahre später von ihren Regierungen medienwirksam verabschiedet werden.Kein Platz für die wirklich Wichtigen im Haus der UNO - viel Platz im Hotel Intercontinental. Schließlich behält sich das Management vor, ein Zehntel aller Zimmer ständig frei zu halten, egal ob der Genfer Autosalon oder die Uhrenmesse ein volles Hotel garantieren würde. Das weiß man in Regierungskreisen. Organisatorisch optimal ausgestattet, sicherheitstechnisch einfach und klar in der ohnehin ruhigen Schweiz zu überblicken, hat das Interconti Genf eine eigene diplomatische Polizei und bestens ausgerüstete private Sicherheitsdienste mit Schießerlaubnis sowie Anschluss an die diplomatischen Vertretungen. Eine eilig einberufene Konferenz zwischen Israelis und Arabern oder Amerikanern und Russen wird möglich gemacht - und ein Sitzungssaal in den vier hohen Wänden des Hotels irgendwie organisiert.Und so kommt es häufiger vor, dass die Teilnehmer einer medizinischen Zellulite-Konferenz im Salle Genève, die Gäste einer vornehmen Hochzeit im Salle Léman nur wenige Meter entfernt von Bill Clinton Forschungsergebnisse austauschen oder zum Toast ansetzen. Stoisch blickt man geradeaus, wenn man sich zufällig beim Gang zum Händewaschen begegnen sollte.Ebenso wie die Sultane und Prinzen einiger Emirate ist Yassir Arafat Stammgast. Mag sein, dass er seit Jahrzehnten den atemberaubenden Blick vom 15. Stock auf den Mont Blanc genießt, zumeist ist sein Aufenthalt aber eher ein kurzweiliger Pflichtbesuch: In den Sommermonaten befindet sich so mancher Gönner "seiner Sache" im Hotel. Über entscheidende Gespräche mit Israelis, Amerikanern und Russen berichtet Arafat nicht nur seinen Vertrauten in Gaza oder Jericho, sondern auch seinen Sponsoren. Denn einige arabische Staatsoberhäupter ziehen es vor, den Sommer im milden Klima des Genfer Sees zu verbringen.Aufgrund der strengen Schweizer Aufenthaltsbestimmungen ist der Immobilienerwerb in der Schweiz selbst für Milliardäre äußerst kompliziert, und das nur wenige Kilometer entfernte französische Umland wird, wie ein Kenner meint, aus Prestigegründen erst langsam von dieser Klientel erschlossen. (Schließlich klingt die Aussage, man sei in Genf, anders als wenn man sagt, man sei in Annemasse oder in St. Genis.) Einzige Möglichkeit, den Sommer dennoch im moderaten Genfer Klima zu verbringen, ist deshalb ein längerer Aufenthalt im Hotel. Ein Glücksfall für das Intercontinental: Bei Sonderbuchungen werden die beiden oberen Etagen vollständig für den Publikumsverkehr geschlossen. Vollständig: Selbst die Mitarbeiter des Hotels haben keinen Zutritt mehr zu diesen Zimmern. Alles wird sorgsam hergerichtet und neu ausgestattet: Schmucke Möbel (vorzugsweise antik), wertvolle Teppiche, Leuchter, Bilder, teurer Kristall-Nippes. Im Erdgeschoss wird ein Sitzungssaal zum Sicherheitszentrum umfunktioniert. Dieses Geschäftsgebaren ist nicht ganz selbstlos. Ein Bankett-Manager erklärt das Prinzip: "All das, was den Gästen gefällt, kann mitgenommen werden. Wir setzen die fehlenden Stücke dann auf die Endabrechnung. Inzwischen haben wir eine gewisse Erfahrung, was behagt, so dass ein Großteil allen Interieurs tatsächlich gekauft wird."Im Foyer des Hotels arbeiten zu diesem Zeitpunkt die ansonsten verwaisten Boutiquen auf Hochtouren. In wenigen Wochen machen sie ihren Jahresumsatz - zuvor haben sie ein ganzes Jahr eine Mode-Kollektion zusammengestellt und verkaufen nun ihr gesamtes Lager. Den Rest des Jahres haben sie fast ständig geschlossen.Der innenarchitektonische Konservatismus hat keine Veränderung zugelassen. Fernab aller globalisiert-einheitlichen Hoteleinrichtungen des modernen Weltbürgertums - Rezeption in hellem Kirschholz mit Videotext-Monitoren im Hintergrund, pastellfarbene Vorhänge mit gelber Borte, moderne Fotografie in den Gängen -, pflegt das Hotel detailbesessen den Einrichtungsstil der sechziger Jahre. Braun und Dunkelgrün sind die vorherrschenden Farben, dort wo es möglich ist, eingefasst in goldenen Kunststoff. James Bond scheint jede Minute über den Gang zu schweben. Über dem Welcome-Desk befindet sich eine Weltkarte aus edlen Hölzern, die die Grenzen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg abbildet. Political Correctness unterliegt Geschichtsbewusstsein. Szenegastronomen in Berlin, Zürich oder Hamburg würden für diese Location morden. Und alles ist echt - keine billige Nachahmung. Das Hotel Intercontinental in Genf verkörperte sechziger Jahre und spielt es nicht nur.Und so müssen sich kein Prinz, kein Sultan, kein Präsident oder "a. D." umgewöhnen. Die Veränderungen der Welt sind in den Konferenzsälen Genfs teilweise dramatisch schnell sichtbar - im Interconti bleibt alles beim Alten. Ruhe und Geborgenheit für die Macher. Neuerungen bleiben vor der Messing-Drehtür. Kein Wunder also, dass die psychologisch geschulten Berater George Bushs und Tony Blairs gerade wieder diesen vertrauensvollen Ort gewählt haben, um ihre sensiblen arabischen Gesprächspartner über die Militäraktionen in Afghanistan zu informieren.
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