Arbeit hinter Gittern - lohnt sich das?

RESOZIALISIERUNG Die Möglichkeiten, im Knast zu arbeiten, sind rar und die Entlohnung nicht geeignet, auf ein Leben danach vorzubereiten

Verfasser dieses Artikels ist die (zur Zeit sechsköpfige) Redaktionsgemeinschaft des Gefangenenmagazins der lichtblick. Herausgeber, Verleger und Drucker dieses bundesweit ältesten, auflagenstärksten und extramural editierten Magazins sind ausschließlich Strafgefangene der JVA-Tegel, die auch den presserechtlich verantwortlichen Redakteur stellen. (Red.-Freitag)

Überraschenderweise gibt es in deutschen Gefängnissen nur wenige Menschen, die mit Sokrates, dem Wegbereiter des gesunden Menschenverstandes, übereinstimmend meinen, Glückseligkeit scheine in der Muße zu liegen. Die meisten, die in einer modernen Justizvollzugsanstalt (JVA) gefangen gehalten werden, leben stattdessen nach der Devise des Spezialisten für wissenschaftliche Wege, Aristoteles: ein glückliches Leben ist dasjenige, in dem sich Tüchtigkeit ungehindert entfalten kann.

Moderne Glücksforscher geben dem Platonschüler (und damit den Knackis) recht: "Momente der Erfüllung und Bestätigung stellen sich bei der Arbeit eher ein als in der hochgeschätzten Freizeit - die entpuppte sich als eine Quelle von Stress und Langeweile" (Der Spiegel). Da wundert es nicht, dass die Arbeitsverwaltung der JVA-Tegel schon mal "Vormelder" (Anträge) erhält, auf denen mit einem Wort Senecas um Beschäftigung gebeten wird: "Muße ohne sinnvolle Betätigung ist wie Tod und Lebendigbegrabensein - hiermit bitte ich Sie, dies zu bedenken und mir eine Arbeit zuzuweisen."

Was aber ist eigentlich Arbeit? Welchen (Stellen-)Wert hat sie im Strafvollzug? Wie steht es um die Arbeitsmöglichkeiten von Strafgefangenen?

So kurz wie möglich und so detailliert wie nötig wird im folgenden versucht, das Spektrum sinnvoller Antworten auszuloten und dabei die Bedeutung sowie die rechtlichen Grundlagen eines angemessenen Lohnsystems für Häftlingsarbeit zu berücksichtigen.

Zunächst einmal lässt sich Arbeit als "jegliche planvolle Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Verbesserung der Lebensbedingungen" definieren und dann als "Grundbedingung menschlichen Lebens und Fundament aller Kulturleistungen" (Höffe, Lexikon der Ethik) charakterisieren.

Arbeit und Lebensbedingungen bedingen und fördern sich also gegenseitig. Gerade für Häftlinge, die wegen des zunehmenden Mangels an Personal immer häufiger und immer länger in ihren winzigen Zellen eingeschlossen werden, ist der Weg zum und die Betätigung am Arbeitsplatz die einzige Möglichkeit, soziales Verhalten in direktem Kontakt mit anderen Menschen zu üben.

In der Regel wird (insbesondere Erwerbs-) Arbeit drinnen wie draußen zunächst ihren etymologischen Wurzeln entsprechend eher als mühselige Pflicht erlebt; durch die Gewöhnung an (berufliches) Tätigsein wird dann aber, zumal wenn die Aufgabenbewältigung zu befriedigenden Ergebnissen führt, das erfreuliche Potential erfahrbar: die Bewältigung der Arbeit kann nämlich, bei entsprechender Entlohnung, materielle Wünsche befriedigen helfen und für innere Befriedigung sorgen; die Auseinandersetzung mit gestellten Aufgaben kann dem Leben Sinn und (zum Beispiel eine zeitliche) Struktur geben; aus der Erfüllung von Leistungsvorgaben kann ein erhebliches Selbstwertgefühl erwachsen. Außerdem findet durch Arbeit auch im Strafvollzug eine Erweiterung des sozialen Umfeldes statt, was zu einer immer stärkeren Anbindung an Gesellschaftsziele und -leistungen führt - zumal dann, wenn Rückkopplungseffekte hinsichtlich der Zuweisung von sozialer Reputation auftreten.

Arbeit ist also ein sicheres Mittel, Selbstbestätigung und das Gefühl eines erfüllten Lebens zu erlangen. Und wenn, was häufig auch extra muros der Fall ist, aufgabenorientiertes Tätigsein ein Ersatz für notwendige, aber nicht - oder zumindest nicht ausreichend - erlebte Familienbeziehungen ist, bietet das soziale Kraftfeld, in dem Arbeit stattfindet, die wichtigste, wenn nicht sogar einzige Möglichkeit, Selbstwert-, Freiheits- und andere daseinsbereichernde Empfindungen zu bilden und zu schützen.

Für die meisten dürfte sich hier all das widerspiegeln, was "Resozialisierung" bewirken soll. Auch wenn der Begriff recht unglücklich ist, weil sich ja Straftaten stets auf mangelnde oder fehlerhafte Sozialisierung zurückführen lassen und Straftäter daher nicht re- sondern neusozialisiert werden müssen, ist es völlig unverständlich, dass einige Vollzugsexperten dazu auffordern, Arbeit und das 1998 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut festgestellte Resozialisierungsgebot voneinander zu trennen.

Tatsächlich muss Arbeit noch viel mehr in den Mittelpunkt von Resozialisierungsbemühungen gerückt werden: denn kein Häftling ist anders oder gar besser als durch Gewöhnung an Arbeit zu befähigen, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" (§ 2 Satz 1 StVollzG). Denn selbst unter den sehr beschränkten Arbeitsmöglichkeiten im Strafvollzug sind es hauptsächlich die durch Arbeit ausgelösten Gefühle, die zu einem gesellschaftlich erwünschten Selbstvertrauen führen. Und es ist gerade dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, das es möglich und wünschenswert erscheinen lässt, auf sozial verträgliche Weise Einfluss auf die Umwelt zu nehmen. In dem Maße, wie es Häftlingen ermöglicht wird, sich mit rechtlich und moralisch einwandfreien Tätigkeiten mit ihrer Umwelt in Einklang zu bringen, erlangen sie neue Selbst- und Umwelteinschätzungen. Ob und inwieweit diese Neubewertungen positive Auswirkungen haben, liegt zu einem großen Teil an der Art und Weise, wie Arbeit organisiert und honoriert wird.

Die Bezahlung drückt aus, wie die eigene Leistung von anderen (zum Beispiel von Vorgesetzten) bewertet wird, wie erfolgreich Kontrolle über Arbeitsbedingungen ausgeübt werden konnte, wie gerecht Vorgesetzte auf Erfolge oder Misserfolge, auf (gefährliche) Arbeitsbedingungen oder zusätzliche Leistungen reagieren.

Allerdings ist es nicht nur im Strafvollzug problematisch, die Arbeitsstellung mehr als die Arbeitsteilung zu entlohnen, was bei Festlohnregelungen aber der Fall ist. Andererseits ist gerade bei Häftlingen, die an regelmäßiges Arbeiten erst noch gewöhnt werden müssen, schon das kontinuierliche Erscheinen am Arbeitsplatz zu honorieren. Und diese Anerkennung muss auch für jene einen Arbeitsanreiz darstellen, die vor einer Entwöhnung bewahrt werden sollen.

Das aber ist so wenig der Fall, dass die Bundesverfassungsrichter am 1. 7. 1998 erklärten, die strafvollzugsgesetzliche Vorschrift (§ 200 I StVolllzg), mit der die Höhe des Arbeitsentgelts von Häftlingen geregelt wird, sei "mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 I io.V.m. Art. 1 I, 20 I GG unvereinbar". Häftlinge nämlich, die ihrer Arbeitspflicht gemäß § 41 I I StVollzG nachkommen, also "eine zugewiesene (...) arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigung" ausüben, sind zwar in die gesetzliche Unfall- und in die Arbeitslosenversicherung einbezogen, aber sie sind weder kranken-, noch pflege- oder rentenversichert. Und das durchschnittliche Entgelt eines Häftlings, das sich aus §§ 43 I, 200 I StVollzG ergibt, beträgt nur fünf Prozent dessen, was in § 18 I SGB IV als "Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung" bezeichnet wird. Wer mit Lohnstufe III (von insgesamt fünf Lohnstufen) die vollen fünf Prozent erhält, muss mit 10,58 DM pro Tag (monatlich etwa 220,- DM) auskommen, obwohl vor 22 Jahren in § 200 II StVollzG gesetzlich festgelegt wurde, dass über "eine Erhöhung (...) zum 31. Dezember 1980 befunden" wird. Den Arbeits- und Regierungsentwürfen jener Zeit ist zu entnehmen, wie die Erhöhung ausfallen sollte: stufenweise von fünf Prozent auf 40 bis 60 Prozent. Geschehen ist jedoch nichts.

Der skandalösen Untätigkeit soll nun ein handfester Betrug folgen: Die maßgeblichen Entscheidungsträger behaupten, den Häftlingslohn um 50 Prozent erhöhen zu wollen, was wenig genug wäre. Aber mit Lohn ist nicht das Arbeitsentgelt gemeint, sondern der Ecklohn, also die fünf Prozent, was sich netto als 0,42-prozentige Erhöhung auswirkt. Ersatzweise schlägt der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands die Einführung eines Mindeststundenlohns in Höhe von netto 2,50 DM (brutto: 10,- DM) vor.

Notwendig ist jedoch die sofortige Einbeziehung der Häftlinge in die Rentenversicherung und eine ebenfalls sofortige Anhebung des Ecklohns auf 20 Prozent, wobei eine stufenweise weitere Erhöhung (zum Beispiel alle fünf Jahre um weitere fünf Prozent) gesetzlich festzulegen ist.

Sinnvoll ist auch die Einführung einer good-time-Regelung. Allerdings nicht die vielfach vorgeschlagene, die für eine Woche Arbeit einen Tag Haftnachlass vorsieht: viele Richter würden auf derlei Haftzeitverkürzung mit höheren Strafmaßen reagieren, was für 57 Prozent der Häftlinge eine zusätzliche Härte wäre, weil sie wegen fehlender Arbeitsplätze gar nicht arbeiten können.

Unter der Prämisse, die "anthropologische Bedeutung der Arbeit" (Bundesverfassungsrichter Kruis) und damit das verfassungsrechtliche Gebot der Menschenwürde (Art. 1 IGG) künftig mehr zu beachten, sei der folgende Vorschlag zur Diskussion gestellt: Häftlinge, die länger als ein Drittel ihrer Freiheitsstrafe regelmäßig und beanstandungsfrei nach § 43 StVollzG eine zugewiesene Arbeit, eine sonstige Beschäftigung oder Hilfstätigkeit ausgeübt haben, erhalten den 1977 eingeführten Freigängerstatus. Das heißt, dass sie im Rahmen eines "freien Beschäftigungsverhältnisses" (§ 11 I Nr. 2 i.V.m. § 39 I 1 StVollzG) bei einem Unternehmen außerhalb der Anstalt einer arbeitsvertraglich geregelten Arbeit nachgehen, entsprechend entlohnt werden, sozialversichert sind und mit ihrem Einkommen für Haftkosten (§ 50 StVollzG), Schulden, Opferausgleichs-, Unterhaltsverpflichtungen et cetera aufkommen.

Häftlinge, die hier ein weiteres Drittel ihrer Haftzeit bewiesen haben, dass sie in gesellschaftlich erwünschten Formen sozialisiert sind, haben damit auch bewiesen, dass sie wiedereingliederungsfähig sind - einer vorzeitigen Entlassung (auf Bewährung) zum Zweidritteltermin sollte dann nichts mehr entgegenstehen.

Der am 25. 10. 1968 erstmals erschienenen lichtblick soll die Öffentlichkeit über den Strafvollzug informieren, und den Entscheidungsträgern innerhalb und außerhalb der Anstalt deutlich machen, wie ihre Anordnungen wirken, wo ihre Einflussnahme benötigt wird. Darüber hinaus soll Häftlingen, aber auch Vollzugsbediensteten mit dem Magazin ein Forum zur Verfügung gestellt werden, in dem sie Meinungen und Informationen austauschen können.

Das Redaktionsbüro (Seidelstr. 39, 13507 Berlin) ist in der Regel von 7.15 bis 20.30 Uhr (Sonntags nur bis 16.30 Uhr) geöffnet. Tel.: 030/43 83-530.

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