Arme gegen Arme

Sozialneid Lebensmittel für Bedürftige werden bei den Tafeln knapper. Wegen der Flüchtlinge, heißt es
Ausgabe 10/2016

Am liebsten spendet die Bundesbürgerin das, was ohnehin wegmuss. Kein Kleidungsstück ist zu unmodern, um nicht in einer Sammelstelle zu landen. Bestimmt freut sich jemand anderes wahnsinnig darüber, es zu tragen. Wer arm ist, soll dankbar sein. Wer arm ist, hat kein Recht darauf, sich nach der Mode oder dem eigenen Geschmack zu kleiden. Das gilt natürlich auch für Flüchtlinge, berichtete neulich eine Freundin. Sie brachte eine fast neue Markentasche zu einem Spendepunkt, wo ihr eine Helferin erklärte: „Die Tasche ist doch viel zu gut zum Abgeben.“

Bedürftige übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Irgendwo müssen die Reste unseres Überflusses ja hin! Ungeliebte Kleidungsstücke direkt in den Müll zu werfen, ist nicht gut für die Ökobilanz. Mit dem Essen verhält es sich ähnlich. Wer selber nichts hat, soll oder muss halt das verzehren, was die anderen nicht mehr haben wollen. Was gar nicht geht: dass jemand im Spendenpullover und einer (eh nie richtig en vogue gewesenen) Spendenjeans in einen Supermarkt geht und sich mit Lust auf ein saftiges Steak und frische Bohnen die feinen Zutaten einfach kauft.

Schließlich gibt es Organisationen, die diejenigen, die eine schmale Rente, Hartz IV oder andere Leistungen beziehen, rundum versorgen. Wie die 1993 in Berlin gegründeten, heute bundesweit aktiven Tafeln, die jährlich gut über 100.000 Tonnen Lebensmittelspenden verteilen – was nicht immer ohne Skandale abging. Da war zum Beispiel der Inhaber einer Bäckereikette, der erklärte, er denke nicht daran, übrig gebliebene Backwaren an Arme zu verteilen, sondern gebe diese Lebensmittel lieber an einen brandenburgischen Schweinemastbetrieb ab.

Und nun also das: Vor ein paar Tagen hat der Bundesverband Deutsche Tafel eine, gelinde gesagt, unbedacht formulierte Alarmmeldung herausgegeben. Wegen der Flüchtlinge werde das Spendenessen für deutsche Bedürftige knapper. Rund 1,5 Millionen Menschen decken sich regelmäßig bei den Tafeln mit Lebensmitteln ein. Nun kämen mindestens 250.000 Asylbewerber hinzu. Da komme bei denjenigen, die Schlange stehen, die Frage auf, wer „Vorrang bei der Verpflegung“ habe. Prompt empört sich der einschlägige Teil der deutschen Bevölkerung an den einschlägigen Orten – im Internet. Ohne freilich zu thematisieren, dass deutsche Bedürftige, etwa deutsche Obdachlose, von deutschen Mitbürgern ab und an auf deutsche Art zusammengeschlagen oder zu Tode getreten werden. Die Sorge, dass nach „unseren Frauen“ nun auch „unsere sozial Schwachen“ unter den Asylbewerbern zu leiden haben, ist jedenfalls groß.

Verwundert erinnern wir uns an eine Tafel im bayrischen Dachau, die vergangenen Herbst keine Lebensmittel mehr an Geflüchtete ausgab. Die Begründung lautete: Weil die Asylbewerber Geld für Lebensmittel erhielten, sollten sie auch lernen, mit dem Geld umzugehen.

Worüber es noch nie flächendeckend Aufregung gab, ist der Umstand, dass in einem der reichsten Länder der Welt zigtausende Menschen nicht einfach in einen Laden gehen können, um sich die Nahrungsmittel zu kaufen, auf die sie gerade Lust haben. Sondern dass sie in einer Ausgabestelle anstehen und geduldig auf das warten müssen, was für sie übrig geblieben ist – bevor es sowieso im Müll gelandet wäre.

Solange die Lage ist, wie sie ist, hilft tatsächlich nur, zu spenden. Am besten auf eine Art, die wirklich etwas kostet: Geld nämlich. Oder Zeit.

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