Arte Povera

Linksbündig Kultur und Sparen in Berlin

Der Ab-Räumer. Unaufhaltsam, geradezu naturnotwendig schien auf Berlins Kultursenator Thomas Flierl von der PDS dieses Etikett zuzukommen. Noch bevor er sein Amt angetreten hatte, geisterten von Woche zu Woche schlimmere Horrorszenarien über die Zukunft der Berliner Kultur durch den politischen Raum. Silberzunge Gregor Gysi, Freund der Musen, der Huren und der Kaufleute, zuvor selbst heiß gehandelt als Kultursenator, winkte früh ab, weil er wusste, was auf ihn zukommen und er sich an öffentlichen Sympathien verscherzen könnte, würde, müsste. Die Berliner Presse legte selbst Nebelbomben, wie im Fall der angeblich beschlossenen Schließung des gerade erst wieder vorsichtig auf Avantgardekurs getrimmten Maxim-Gorki-Theaters, um den Senat zu provozieren, schnell Farbe zu bekennen. Wann würde der Mann, der es sich in seiner Zeit als Baustadtrat in der Hauptstadt Mitte zur Aufgabe gemacht hatte, den öffentlichen Raum für den Stadt- und Diskursbürger zu retten, seinen Nährboden, den kulturellen Raum schließen müssen? Auf die Dialektik dieser Begründung war man mehr als gespannt.
Die Sparklausur, die in Berlin gerade zu Ende gegangen ist, ähnelt der Osterdiät des Altbundeskanzlers Kohl. Nach zwei Wochen bei trocken Brot und Wasser im Süden kam der Dicke meist so zurück, wie er gegangen war. Die Beschlüsse, die der Senat nun gefasst hat, sind zunächst eine Entlastung für Flierl. Hätte er auch nur eine Kulturinstitution schließen müssen, wäre der vage Vertrauensvorschuss, dem man dem spröden Intellektuellen mit dem hartnäckigen Widerstandsgeist in Berlins Mitte nach den atemberaubenden Personalwechseln im Kulturressort in den letzten Jahren noch eingeräumt hatte, so früh verbraucht gewesen, dass er die Legislaturperiode kaum überstanden hätte. Diesen Einstand haben ihm seine Senats-Kollegen vorerst erspart. Dass die Ballette der Deutschen Staatsoper Unter den Linden und der Deutschen Oper in der Bismarckstrasse "zusammengeführt" werden, lässt sich ebenso gerade noch verschmerzen wie die Verwaltungskooperation von Literaturhaus und Literarischem Colloquium. Doch die scheinbar neutrale Worthülse von den "strukturellen Umgestaltungen", die die Kulturverwaltung jetzt "zusammen mit den jeweiligen Institutionen" bis 2006 durchsetzen will, bedeutet nichts anderes als einen Hinrichtungsaufschub für vier Jahre. Insofern sind sie nur eine geschickte Umschreibung für die Grausamkeiten to come.
Dem jetzt beschlossenen Maßnahmenpaket ist die politische Vorsicht deutlich eingeschrieben. Trotz des wohlfeilen Bekenntnisses zum "Schwerpunkt Kultur" hat der Senat keine wegweisende Antwort auf die Frage gegeben, welchen Stellenwert die Kultur in Zukunft haben soll. Denn dass es bis 2006 degressiv nach unten gehen soll, scheint klar. Das korruptionsgeschüttelte Nordrhein-Westfalen ist zumindest an diesem Punkt weiter. Dort hat die "Kulturwirtschaft" längst die klassischen Schlüsselindustrien Chemie, Kohle, Stahl als Konjunkturlokomotiven abgelöst. Die Kulturwirtschaft wächst dort, wie der regelmäßige "Kulturwirtschaftsbericht" des Landes ausweist, doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft. Seit 1999 ist die Beschäftigung in der Kulturbranche sogar um neun Prozent gestiegen. Dazu braucht man aber funktionierende Kultureinrichtungen als Basis. Mit ihrer Nachfragewirkung. Die ausdifferenzierte Musikinstrumenteindustrie in NRW beispielsweise wäre nie entstanden, hätte es nicht den WDR mit Klaus Schöninghs Studio für neue Musik gegeben. Funktionsfähig bleiben Kultureinrichtungen aber nicht, selbst wenn man die Zuschüsse, wie es im Berliner Sparpapier so schön heißt, "in einem vertretbaren Maße abgesenkt" werden. Was will man mit einem Theater, in dem man mangels finanzieller Manövriermasse im Jahre 2006 höchstens noch die Fenster auf und zu machen kann?
Langsames Warten auf den Tod. Die Berliner Kultur auf dem Weg zur Arte Povera. So wie hier die Kulturbetriebe unsaniert und unbeweint vor sich hin rotten, ähneln sie dem Kunstwerk des italienischen Minimalisten Giovanni Anselmo aus dem Jahre 1970, das man noch vor kurzem in der Ausstellung der Sammlung Marzona im Hamburger Bahnhof bewundern konnte. Der hatte mittels eines Bildwerfers auf einen 1.000 Kilogramm schweren rostzerfressenen Eisenblock die Leuchtschrift "Dissolvenza" projiziert: Auflösung.

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