Zumindest wenn es nach dem Streaming-Anbieter Spotify geht, ist Hip-Hop heute das beliebteste Musikgenre der Welt. Und nicht nur das: Er hat sich zu einem lukrativen Milliardengeschäft entwickelt. Schließlich lassen sich nicht nur seine Songs, sondern auch das dazugehörige Gefühl hervorragend monetarisieren. Vor allem teure „Lifestyle-Brands“ haben seine Vertreter an die Spitze der Liste der wohlhabendsten Musiker unserer Zeit katapultiert.
Dass Rapper Kanye West mit einem geschätzten Vermögen von zwei Milliarden Dollar als reichster Interpret der Welt gilt, hat er wohl zuerst seiner Marke Yeezy zu verdanken, die in Kooperation mit Sportriese Adidas hochpreisige Streetwear und Sneakers vertreibt. Der Hype um einige Schuhmodelle hat derartige Hö
t derartige Höhen erreicht, dass sie als rentable Geldanlage gehandelt werden.Die jungen Helden der neuen Arte-Serie Die Welt von morgen würden über die Umdeutung des Hip-Hops als einträgliches Businesskonzept sicher verächtlich ihre Nasen rümpfen. Basierend auf der frühen Vita von Bruno Lopes (Anthony Bajon), Didier Morville (Melvin Boomer) und Daniel Bigeault (Andranic Manet) erzählen Showrunner Katell Quillévéré und Hélier Cisterne von den ganz und gar unprätentiösen Anfängen des Hip-Hops in Frankreich in den 1980er und 1990ern als konfrontative Subkultur.Dementsprechend geht es denn auch sehr wenig um Glanz und Glamour, sondern viel um die häufig zitierte, erfinderisch machende Not. Den Auftakt dazu macht Daniel, später als Dee Nasty bekannt, der in Kalifornien eine Beinah-Erleuchtung erlebt, als er erstmals einer Party mit DJs beiwohnt. Fest davon überzeugt, „die Zukunft“, soll heißen etwas Echtes und ganz und gar Lebendiges gesehen zu haben, beschließt Daniel, Bass gegen Plattenteller auszutauschen und seinem Heimatland Frankreich den Hip-Hop nahezubringen – ohne finanzielle Mittel, ohne Ausrüstung, von seiner gerade ausgeraubten kleinen Bude in einem armutsgebeutelten Arrondissement von Paris aus.Dee Nastys Werdegang wird geschickt mit dem von Bruno und Didier (später bekannt als Suprême NTM) verwoben, die in nicht minder prekären Verhältnissen im Banlieue Saint-Denis, nördlich der Hauptstadt, aufwachsen. Didier leidet unter dem streng-religiösen Vater, der ihn regelmäßig mit Prügeln bestraft. Bruno wird von einem ähnlich herrischen Familienoberhaupt dazu gedrängt, auf das Angebot eines Talentscouts einzugehen und sich zum Profi-Fußballer ausbilden zu lassen. Doch nachdem er Straßenkünstler beim Breakdance gesehen hat, fasst Bruno andere Pläne. Kurzerhand schließt er sich mit Didier, der im Tanzen erstmals eine Möglichkeit sieht, als Schwarzer eine gewisse Anerkennung zu erfahren, zu einem Duo zusammen.Über sechs Folgen hinweg zeichnet Die Welt von morgen zwischen illegalen Hinterhofpartys und nächtlichen Sprayer-Touren die persönliche wie kreative Entwicklung der drei Protagonisten und den von ihnen in Frankreich maßgeblich ins Rollen gebrachten Beginn einer musikalischen Ära nach. Mit einer märchenhaften Aufstiegsgeschichte, wie sie das Hollywood-Kino gerne erzählt, hat das allerdings nichts gemein. Wie der Hip-Hop in seinem Zentrum kommt auch die Serie ohne großes inszenatorisches Spektakel aus.Daniel nimmt als Dee Nasty das erste französische Rap-Album Paname City Rappin’ auf dem Bauernhof seiner Großmutter auf, zwischen krähendem Hahn und Traktorengeratter. Bruno tritt trotz Vokuhila zwischenzeitlich eine Lehre in der Bank an, weil sich mit der Kunst zunächst kein Geld verdienen lässt. Und Didier wird zum Wehrdienst eingezogen, bevor die Freunde als Suprême NTM erste, kleine Erfolge feiern können.Die Welt von morgen setzt stattdessen auf eine genaue Charakterzeichnung und ist somit ein außergewöhnlich bodenständiges Biopic, das vor allem von seinen sympathischen Figuren zehrt. Mit Lady V (Laïka Blanc-Francard), die als einzige Frau eine Sonderstellung in der männerdominierten Sprayer-Szene einnimmt, und Béatrice (Léo Chalié), die mit einem viel besseren Geschäftssinn als Freund Daniel ausgestattet ist und so maßgeblich zu dessen Erfolg beiträgt, gehören auch bemerkenswerte weibliche Perspektiven dazu.Lebensecht wirken die Figuren nicht zuletzt durch die authentisch anmutende Sicht auf ihren sozioökonomischen Hintergrund, durch den die Serie gleichsam zu einer überzeugenden Milieustudie wird. Ohne in „poverty porn“, einen ausbeuterischen Blick auf Armut, zu verfallen, wird hier mit eingebaut, wie in den von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung geprägten Pariser Vorstädten der Konsum billigen Heroins epidemische Züge annimmt und wie sich rassistisch motivierte Polizeigewalt parallel zum Aufstieg des Front National häuft.Zuallererst ist Die Welt von morgen aber eine liebevolle Huldigung an eine Kunst, die sich als Ausdrucksform versteht, um gesellschaftliche Missstände anzuprangern – und als ein Weg, der eigenen Ausgrenzung erhobenen Hauptes entgegenzutreten. Um die zu genießen, muss man Hip-Hop nicht einmal etwas abgewinnen können. Weder in seiner sozialkritischen, seinen Wurzeln treu gebliebenen Form, noch in seinen dekadenteren Spielarten, für die heute Selbstdarsteller wie Kanye West stehen.Placeholder infobox-1