Um der expansiven Politik der USA im Mittleren Osten wirksam begegnen zu können, sind sicherheitspolitische Allianzen regionaler Führungsmächte gefragt. Dank seiner Geschichte, vor allem aufgrund seiner geopolitischen Präsenz wäre Russland wie kaum ein zweites Land gefragt, dabei einen Part zu übernehmen. Aber wie kaum ein zweites Land hat sich Russland dem bislang verweigert. Nirgends wird dies deutlicher als in Moskaus aktueller Ost- sprich: Asien-Politik: In den Beziehungen mit Peking und Delhi häufen sich untrügliche Zeichen von Siechtum und Krise, seit Moskau in der ABM-Frage gegenüber den Amerikanern eingeknickt ist. Zwar versorgen russische Rüstungsproduzenten beide Staaten nach wie vor mit supermodernem Kriegsgerät - dies aller
lerdings nicht aus irgendwelchen strategischen Motiven heraus, sondern aus purem Profitstreben. Jüngstes Beispiel sind die innerrussischen Querelen um den Versand konventioneller U-Boote an China. Sie ließen die gerade beendete Peking-Visite von Verteidigungsminister Sergei Iwanow um Haaresbreite zum Fiasko werden. Damit nicht genug, ist der Kreml nunmehr auch damit beschäftigt, die Beziehungen zum Iran, der wichtigsten Regionalmacht südlich des Kaukasus, nachhaltig zu beschädigen. Als Wladimir Putin während des Moskau-Besuchs von Präsident Mohammed Khatami im März vergangenen Jahres verkündete, die unter Boris Jelzin eingefrorene Lieferung russischer Rüstungsgüter an Teheran wieder aufnehmen sowie beim Bauabschluss des ersten iranischen Kernkraftwerks in Bushehr am Persischen Golf behilflich sein zu wollen, wurde dies von beiden Seiten gefeiert. Dies geschah so demonstrativ und heftig, als hätten die mehr als fünfhundertjährigen russisch-persischen Beziehungen ihren ultimativen Zenit erreicht. Die Bush-Administration allerdings geißelte die Putin-Offerte sofort als "Anschlag auf den Weltfrieden", da die Islamische Republik Iran als Hort des internationalen Terrorismus den in Aussicht gestellten Technologietransfer einmal mehr dazu nutzen werde, den Westen zu bedrohen. Moskau schien zunächst unbeeindruckt. Noch drei Wochen nach dem 11. September 2001 unterzeichneten Verteidigungsminister Iwanow und sein iranischer Amtskollege Ali Shamkhani, ein Rahmenabkommen über militärische Kooperation. Wer nun aber glaubte, dieser Vertrag sei der endgültige Beweis dafür, dass Moskau gegenüber Teheran mehr als nur rein kommerzielle Absichten hege, sollte bald eines Besseren belehrt werden: Nachdem George W. Bush im Januar 2002 den Iran offiziell der "Achse des Bösen" zugeschlagen hatte, deren Nähe nur lebensmüde oder besonders unverfrorene Nationen suchen konnten, reagierte Moskau blitzschnell, lud den im Februar erwarteten iranischen Außenminister Kamal Kharrazi kurzerhand wieder aus und verschob den für das Frühjahr geplanten Iran-Besuch Putins auf unbestimmte Zeit. Als Kharrazi zwei Monate später dennoch zu Gesprächen anreiste, achtete der Kreml peinlichst darauf, dass es offiziell "kein Ergebnis" gab. Dieser Loyalitätsbeweis reichte den Amerikaner keineswegs. Im Gegenteil: Vor und während des russisch-amerikanischen Gipfels vom Mai wurden die Amerikaner nicht müde zu behaupten, der Kreml unterstütze Teheran dabei, sich ein gegen den Westen gerichtetes Raketenpotenzial anzuschaffen. So sehr Moskau auch beteuerte, das iranische Nuklearprogramm diene ausschließlich friedlichen Zwecken, begann Washington Ende Juli laut darüber nachzudenken, im Rahmen der neuen US-Erstschlagdoktrin Bushehr in Schutt und Asche zu legen. Gleichzeitig wuchs der Druck auf den Kreml. Dies um so mehr, als Russlands Premierminister Michail Kasjanow den Bau weiterer Kernreaktoren in Bushehr und Akhvaz angekündigt hatte. So warnte Anfang August US-Energieminister Spencer Abraham in Gesprächen mit der russischen Regierung, jede weitere Kooperation Moskau-Teheran werde die Beziehungen zwischen den USA und Russland schwer belasten. Abraham war noch nicht abgereist, da erklärte Atomminister Alexander Rumjanzew, Russland werde seine Entscheidung, im Iran weitere Reaktoren zu errichten, noch einmal "sehr gründlich überdenken". Erneut ein Kotau vor den USA, der Russland daran hindert, im internationalen Kräftespiel auf souveräne Weise Beziehungen zu einer Regionalmacht aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu entwickeln? Bestreiten lässt sich das kaum, auch wenn sich in diesem Fall wieder einmal Putins Pragmatismus bemerkbar macht. Man lässt Staaten fallen, die mit ihrem internationalen Aktionsradius Moskau nicht ebenbürtig und daher von eher geringem Nutzen sind.