Angelina, Marcelino und Orchidea sitzen am Tisch und reden sich in Fahrt. In Form einer Live-Radioshow lassen die drei jungen Sinti ihr eigenes Leben zwischen DSDS und Marginalisierung Revue passieren und erzählen zugleich die Geschichte des Sinti-Boxers Johann Rukeli Trollmann, der 1933 kurz deutscher Meister war und dann von den Nazis umgebracht wurde. Mit seinem Alltagsparlando unterscheidet sich der Abend zunächst kaum von Schultheater, endet dann aber mit einem pathosgetränkten Box-Hochamt samt georgeltem „Rocky“-Thema in einer Kirche.
Die Hannoveraner Produktion „Trollmanns Kampf“ ist ein Beispiel dafür, wie die Bühnen seit Jahren um neue Legitimation kämpfen. Für welches Publikum wird gespielt? Welche Gesellschaft soll repräsentiert werden? Kann von Repräsentanz überhaupt noch die Rede sein kann? Seit 2006 wurden die Bühnen dabei vom Fonds Heimspiel der Kulturstiftung des Bundes unterstützt. Zum Abschluss dieser Fördermaßnahme zeigte das Festival Heimspiel 2011. Wem gehört die Bühne? in Köln einige in- und ausländische Beispiele und veranstaltete ein mehrtägiges Symposium.
Switchen zwischen Selbstdarstellung und Rollenspiel
Zentralthema war dabei die Frage nach der Partizipation im Theater. Keine ganz neue Frage, standen doch bereits bei Aischylos Laien auf der Bühne. Darauf verwies der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann. Der Realitätshunger, die Hyperinflation des Narrativen und die Ablösung des Schauspielers durch den Performer haben dabei für die gegenwärtige Konjunktur gesorgt. In Pol Heyvaerts Stück „Fuck my Life“ geben dreizehn Jugendliche, zwischen Gesangseinlagen, Liebeserklärungen und sexueller Protzerei einen Einblick in ihr Leben im irischen Cork. Es ist gerade das ständige Switchen zwischen Selbstdarstellung und Rollenspiel, das für nachhaltige Irritation sorgt.
Ob in „Fuck my Life“, in „Trollmanns Kampf“ oder in Alain Platels „Gardenia“, das alterne Transvestiten und Transsexuelle zwischen kultureller Geschlechtskonstruktion und Verwandlung zeigt – Partizipation bewegt sich oft gefährlich nah am eventhaften Randgruppenauftrieb auf der Bühne. Vor diesem Effekt warnte der Berliner Intendant Ulrich Khuon zurecht, verwies aber auch auf eine neue Kultur des Aushaltens von Diversitäten und des Zuhörens. Dem pflichtet seine Freiburger Kollegin Barbara Mundel insofern bei, als sie für eine Auflösung der theatralen Deutungshoheit von Gesellschaft in einen multiperspektivischen Blick plädierte. Zu fragen wäre allerdings, inwieweit die exemplarische Deutung des Kunstwerks ersetzt wird durch ein bloßes authentisches Reden über Gesellschaft. Gerade aus dieser Reibung von Kunst und Nichtkunst schlug der Dramaturg Carl Hegemann dann am Beispiel von Arbeiten Christoph Schlingensiefs wiederum ästhetische Funken.
Partizipation greift aber auch grundlegend in die Strukturen des Theaters ein. So stellte Miriam Tscholl die Bürgerbühne Dresden vor, die vor zwei Jahren am Staatsschauspiel ins Leben gerufen wurde. Jährlich werden sechs Produktionen realisiert, die ausschließlich mit Laien besetzt sind. In Lancaster wiederum hat das Nuffield Theatre und sein Leiter Matt Fenton das Programm einer Saison von sieben Bürgern der Stadt, die nicht im künstlerischen Bereich arbeiten, gestalten lassen. Ob Mode oder Zukunftsmodell, Partizipation ist derzeit der wirkungsvollste Stachel im Fleisch des saturierten Stadttheaters.
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